Wann brennt dein Haus?

Wie Parteipolitik und Extremismusdebatte vom Wesentlichen ablenken können

Limbach-Oberfrohna ist ein friedliches kleines Städtchen südwestlich von Chemnitz. So könnte es zumindest einem zufälligen Besucher erscheinen, der an einem sonnigen Nachmittag in einem Café auf dem Marktplatz sitzt. Zu anderen Zeiten und an anderen Orten sieht die Realität leider anders aus.

Es brennt

In der Nacht zum 13. November 2010 brannte das Haus der „Sozialen und politischen Bildungsvereinigung Limbach-Oberfrohna e.V.“ Durch ein eingeschlagenes Fenster waren Brandstifter in das Gebäude eingedrungen und hatten mehrere Gegenstände angezündet. Benachbarte Anwohner konnte die Feuerwehr glücklicherweise noch retten.

Eine Woche vorher wurde die frisch sanierte Fassade der örtlichen Mittelschule mit Sprüchen wie „Die Schule ist deutsch“ und „Zecken-Pack“ beschmiert.

Wiederum in der Nacht davor wurde auf das Wahlkreisbüro eines Bundestagsabgeordneten ein Anschlag verübt: Ein Fenster des Büros wurde mit Steinen und einer Bierflasche eingeworfen. In der Woche zuvor war bereits das Gleiche passiert, während Jugendliche durch die Stadt zogen, Notrufnummern anriefen um dort Naziparolen zu gröhlen.

National befreite Zone?

Was in der Stadt nur wenige wahr haben wollen: Limbach-Oberfrohna nimmt innerhalb der rechtsextremen Infrastruktur einen wichtigen Platz ein. Die Gaststätte „Mannheim“ ist immer wieder Austragungsort von NPD-Versammlungen. Damit einher geht eine aktive Szene von Neonazis, die auch vor dem Einsatz schwerer Gewalt nicht zurückschrecken. Diese jüngsten Vorfälle haben Vorgeschichten. Seit vielen Monaten haben es manche Jugendliche schwer, abends allein durch die Stadt zu gehen. Wenn sie sich öffentlich gegen Rechtsextremismus positioniert haben oder einfach nur durch ihr Äußeres, durch Haarfarbe oder Kleidung in das Feindschema der rechten Schläger geraten, leben sie bedroht. Seit 2004 wurden in Limbach-Oberfrohna 71 Straftaten mit rechtsextremem Hintergrund festgestellt. Im Juni 2010 wurde ein Jugendlicher von fünf Neonazis angegriffen, die aus einem vorbeifahrenden Transporter gesprungen kamen und ihn mit einer Bierflasche auf den Kopf niederschlugen.

Untaugliche Erklärungen

Seitens der Stadt und der Kirchgemeine trug man sich sehr schwer, überhaupt ein Problem zu sehen und anzuerkennen. Rechtsextremisten in der Stadt sind schlecht für das Image. „Die sind doch gar nicht von hier“ versuchte man sich zu beruhigen. Das sind doch nur Rangeleien unter zwei Jugendszenen. Das eigentliche Problem seien vielmehr „die Linken“. Die provozieren doch immer die Rechten. Da müsse man sich doch nicht wundern. Und überhaupt – wer weiß denn, ob das alles so stimmt. Die übertreiben doch bestimmt. Die brauchen doch Skandale, um unsere Stadt und die Stadtverwaltung in den Medien schlecht zu machen. Es wäre gewiss ganz friedlich, wenn „die Linken“ nicht da wären. 

Mehrfach wurden in dem alternativen Jugendklub die Scheiben eingeworfen, bis der Vermieter gekündigt hat. In Gesprächen ging es soweit, dass den Jugendlichen unterstellt wurde, sie hätten selbst ihre Scheibe eingeworfen, um Aufmerksamkeit zu bekommen.
Es ist eine perfide Logik, die in solcher Weise die Opfer als Täter darstellt. Anstelle von Beistand und Unterstützung, wie sie von Gewalt Betroffene nötig hätten, erfahren sie Misstrauen und Ausgrenzung.

Bei einem Gespräch mit den betroffenen Jugendlichen treffe ich auf sehr nachdenkliche und friedfertige junge Menschen, die ihren bewussten Beitrag für das Gemeinwohl leisten wollen. Mit der Partei „Die Linke“ sind sie nur dadurch in Berührung gekommen, weil sie von denen nicht ausgegrenzt wurden. Mit einem militanten Linksextremismus haben sie nichts zu tun – weder von ihren Überzeugungen, noch von ihren Handlungen. Nur will das scheinbar kaum jemand außerhalb wahrnehmen, denn dann hätte man ja wirklich ein „rechtes“ und kein „linkes“ Problem.

Die Extremismusfalle

Wie sehr das Denken in den unpassenden Schubladen von „Rechts“ und „Links“ und der falschen folgenschweren Gleichsetzung von „Rechtsextremismus“ und „Linksextremismus“ an der Realität vorbei geht, konnte man auch in Limbach-Oberfrohna vorexerziert bekommen.
Als selbst die Eltern der betroffenen Jugendlichen bedroht wurden, stieg der politische Druck. Es wurde zur Gründung eines „Bündnisses gegen Extremismus“ aufgerufen. Das sollte gut klingen und einseitige parteipolitische Festlegungen vermeiden, weil damit ja gleichermaßen Rechts- und Linksextremismus betroffen sein sollten. Nur wurde es damit zum zahnlosen Tiger, denn an dem Gründungsaufruf nahm auch der NPD-Stadtrat mit teil, der sich gern in diesem Rahmen gegen vermeintlichen Linksextremismus engagieren wollte. Bei der Gründungsversammlung meinten die Organisatoren, die NPD nur dann heraushalten zu können, wenn zugleich auch die Partei „Die Linke“ aus dem Bündnis ausgeschlossen würde – obwohl diese laut sächsischem Verfassungsschutzbericht gar nicht extremistisch ist.

Kriminalisiertes Gedenken

Den Betroffenen hat dieses Bündnis bislang nichts genützt. Sie erlitten weiterhin von ihnen als Behördenwillkür empfundene Diskriminierungen. Nach dem Überfall auf ein Mitglied des Vereines wurde zur öffentlichen Mahnung an die in den letzten Jahren durch Neonazis zu Tode gekommenen Menschen erinnert und dazu für jeden Getöteten mit Straßenkreide die Umrisse von Personen aufgezeichnet. Daraufhin beauftragte die Stadt unverzüglich die Feuerwehr, mit schwerem Gerät die „Schmierereien“ zu beseitigen. Der nächste Regen hätte es auch getan, aber so wurde den „Verursachern“ eine saftige Rechnung präsentiert und damit ein friedliches Gedenken kriminalisiert.

Politische Schubladen

Warum gelingt es nicht, der „Sozialen und politischen Bildungsvereinigung“ die notwendige Unterstützung und Anteilnahme zukommen zu lassen? Das Problem dahinter weist über Limbach-Oberfrohna hinaus und scheint grundsätzlicherer Natur. Von entscheidender Bedeutung ist dabei das Denken in verallgemeinernden Kategorien politischer Schubladen. Die dabei vorgenommenen pauschalen Zuordnungen können den Blick für die konkrete Situation offenbar in erheblichem Maß trüben. 

Gefahr „von Links“

In Gesprächen mit Vertretern der Kirchgemeinden wird deutlich, dass dort eine große Gefahr „von Links“ gesehen wird. Das hat vor allem historische Wurzeln. Viele haben unter den antikirchlichen Repressalien des DDR-Staates erheblich gelitten. Sie sehen personale und inhaltliche Kontinuitäten zwischen den Ideologen von damals und der Partei „Die Linke“. Deswegen existieren unverkennbare Abneigungen gegenüber allem, was damit in Zusammenhang stehen könnte – wie auch immer die Verbindungen laufen mögen.

Weil sich „die Linken“ traditionell schon lange intensiv gegen Rechtsextremismus engagieren, gibt es im konservativen Lager immer wieder schwere Bedenken, es ihnen gleichzutun oder gar – wo sie in Regierungsverantwortung sind – noch öffentliche Unterstützung zu gewähren. Denn wenn man auch „die Linken“ in ihrem Kampf gegen Rechts unterstützt, könnte es ja passieren, dass man mittelbar den politischen Gegner fördert. Das soll aber auf keinen Fall geschehen. Die parteitaktischen Erwägungen verhindern so ein entschiedenes Eingreifen und eine Solidarisierung mit denen, die aufgrund ihres Engagements zur ersten Zielscheibe des Terrors neonazistischer Gruppen geworden sind. Der Umgang mit der „Sozialen und politischen Bildungsvereinigung“ scheint ein Kollateralschaden dieser Sichtweise zu sein: Weil manche von ihnen gefärbte Haare haben, weil manche von ihnen Punkmusik hören, gelten sie als potenziell linksextrem und damit scheinen alle Konflikte erklärt.

Das Problem dabei: Es stimmt nicht und es hilft nicht. Die betroffenen Jugendlichen engagieren sich nicht für die Abschaffung der Demokratie im Anarchismus, sondern für eine aktive Gestaltung der Demokratie. Mit den antikirchlichen Ressentiments des DDR-Regimes haben sie nichts zu schaffen – schon allein, weil sie zu einer ganz anderen Generation gehören. Die politischen Schubladen passen nicht. Für ihr Engagement werden sie verfolgt, niedergeschlagen, ihre Scheiben eingeschlagen und ihr Haus angezündet. Doch statt Hilfe und Unterstützung erfahren sie Ausgrenzung und Schikanierung einer Stadtverwaltung, die auf ihr gutes Verhältnis zur Kirche großen Wert legt. Wenn sich aus solchen Erfahrungen neue Vorbehalte gegen Kirche entwickeln, wäre es freilich nicht verwunderlich. Als der barmherzige Samariter den Überfallenen auf eigene Kosten pflegte und versorgte, fragte er nicht nach Glaubensrichtung oder Parteibuch (Lukas 10). Solches Handeln eines gerade nicht „rechtgläubigen“ Ausländers stellt Jesus als Erfüllung des höchsten Gebotes für alle Christen dar.

Antiextremismusklausel

Ähnliche parteitaktische Erwägungen haben am 9. 11. die Verleihung des Förderpreises für Demokratie an der Dresdner Frauenkirche platzen lassen. Der von der Jury ausgewählte Verein AKuBiZ aus Pirna war dem Vertreter der Staatsregierung möglicherweise zu weit „Links“ angesiedelt. Widerspruch entzündete sich daran, dass der Verein auf seiner Webseite einen Link auf die „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten“ gesetzt hatte. Diese Gruppe, die überwiegend aus Personen besteht, welche selbst unter Hitler im KZ gesessen hatten, betreibt eine intensive Gedenkstättenarbeit und erinnert an die Shoa. Aufgrund ihrer kommunistischen Einstellung sind sie auch gelegentlich in Verfassungsschutzberichten aufgetaucht. Nun wurde plötzlich von der Staatsregierung allen nominierten Preisträgern eine Extremismus-Ausschlussklausel zur Unterschrift vorgelegt. Diese enthielt nicht nur ein Bekenntnis zum Grundgesetz, sondern auch die Verpflichtung, dafür Sorge zu tragen, dass auch alle Kooperationspartner immer dem Grundgesetz förderliche Arbeit verrichten. Dazu sollten die Preisträger persönliche Kontakte, Presseartikel und Verfassungsschutzberichte auswerten. Die zunächst erwirkte Unterzeichnung einer solchen Spitzelverpflichtung zog der Verein nach einiger Überlegung zurück und verzichtete damit auf den mit 10 000 Euro dotierten Hauptpreis.

Demokratieverständnis

Nun hat keiner der Preisträger ein Problem, sich zur freiheitlich demokratischen Grundordnung zu bekennen. Gerade darum verwahren sie sich gegen den mit einer solchen Erklärung ausgedrückten Generalverdacht, dass wer sich gegen Rechtsextremismus engagiere, grundsätzlich potenziell mit verfassungsfeindlichen Linksextremisten unter einer Decke stecke, so dass man sich durch Abstandserklärungen schützen müsse. Der Versuch, politische Linienführung im Schneeballprinzip durch Verpflichtungen zum gegenseitigen Ausspionieren zu verankern, offenbart ein sehr verengtes Demokratieverständnis. Es ist sogar geplant, eine analoge Klausel allen Organisationen abzuverlangen, deren Engagement gegen Rechtsextremismus mit Landes- oder Bundesmitteln gefördert wird. Das Klima des Misstrauens und der Angst, welches durch solche Aktionen ausgedrückt wird, steht dem notwendigen Einsatz für Mitmenschlichkeit und Nächstenliebe diamentral entgegen.

Jetzt hat das Haus eines Vereins gebrannt. Welches wird das Nächste sein? Während aktiver Einsatz für demokratische Freiheit zu Gefährdungen für Leib und Leben führt, werden diejenigen, die es betrifft, selbst pauschal des Extremismus verdächtigt.

Was muss noch alles geschehen? Braucht es erst weitere Tote, bis die Untauglichkeit des Rechts-Links-Schematismus und eines schwammigen Extremismusbegriffes erkannt wird?

Was ist nötig?

Dringend erforderlich ist ein Umdenken weg von den stereotypen Begrifflichkeiten politischer Lagerzuordnungen von „rechts“ und „links“. Statt dessen sollten die tatsächlichen Handlungen und die dahinter stehenden Überzeugungen in den Fokus der Betrachtung gerückt werden. Es ist ein erheblicher Unterschied, ob eine rassisch begründete Ideologie der Ungleichwertigkeit dazu führt, dass Ausländer gejagt werden, oder ob eine Initiative, die sich für Asylbewerber und Asylbewerberinnen einsetzt, den geänderten §16a des Grundgesetzes kritisiert, der das Asylrecht enorm einschränkt. Wer beides als Widerspruch gegen das Grundgesetz zusammenfassend mit dem Extremismusbegriff belegt, kann überhaupt nicht mehr sachgerecht auf die tatsächlichen Probleme reagieren. Die Vorgänge in in Limbach und Dresden haben davon ein trauriges Zeugnis abgegeben. Wenn parteitaktische Balancerechnungen durch Empathie und Unterstützung für die Betroffenen rechtsextremer Gewalt ersetzt würden, wäre viel gewonnen.

Harald Lamprecht

Artikel-URL: https://www.confessio.de/artikel/256

Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 5/2010 ab Seite 04