Lebenswendung - wohin?

Säkulare Feiern im christlichen Haus als Alternative zur Jugendweihe?

In den Zeiten der DDR war die Jugendweihe gezielt als Konkurrenz zur christlichen Konfirmation bzw. Firmung aufgebaut worden -mit Erfolg, wie die Kirchen leider feststellen mussten. Kirchliche Gegenmaßnahmen, die Konfirmation zu verweigern oder zumindest ein Jahr herauszuschieben, wenn eine Jugendweihe erfolgte, vermochten den Gruppendruck zur Jugendweihe nicht aufzuwiegen. Nun ist die DDR vorbei, aber die Jugendweihe nach wie vor fest etabliert und weithin in Ostdeutschland zu einer eigenen Tradition geworden.

Ausgehend von Erfurt, inzwischen aber auch in Zwickau und Dresden wird von römisch-katholischer Seite ein neues Modell einer Lebenswendefeier erprobt, die zwischen säkularer Jugendweihe und christlicher Firmung angesiedelt ist. Die Feiern finden in kirchlichen Räumen statt (je nach Wunsch der Elternmehrheit manchmal in der Kirche, manchmal im Gemeinderaum), werden von kirchlichen Organisatoren angeboten, sind aber inhaltlich keine kirchlichen Veranstaltungen. Das Bekenntnis zu Gott steht gerade nicht im Mittelpunkt, sondern eine Betrachtung des bisherigen Lebens. Es geht um das Nachdenken über die eigene Vergangenheit, die Geschichte des Abendlandes, die Herausforderungen der Zukunft. Plüschtiere oder Spielsachen werden symbolisch als Abschied von der Kinderzeit nach vorn gebracht und Lebensweisheiten aus dem Kleinen Prinzen von Antoine de Saint-Exupéry rezitiert.

Die Organisatoren dieser Feiern stehen vor einem schwierigen Dilemma. Einerseits verbinden sie mit den Feiern durchaus ein missionarisches Anliegen. Die Hemmschwellen zur Kirche sollen gesenkt und Kontakte geknüpft werden. Positive Erfahrungen in biografisch wichtigen Momenten sollen mit der Kirche als Organisator verknüpft werden. Das Nachdenken über Lebensthemen, die auch in der Kirche bedacht werden, soll Lust auf Mehr machen, soll Fragen des Glaubens wecken, soll für das Christentum interessieren. Andererseits dürfen gerade diese eigentlichen Glaubensfragen in der Veranstaltung am besten gar nicht vorkommen. Um die Zielgruppe zu erreichen, darf es keinesfalls zu fromm werden. Schließlich wollen die Teilnehmer ja gerade kein Bekenntnis zum christlichen Glauben abgeben, keine Taufe oder Konfirmation feiern, sondern nur ein gut gestaltetes Ritual von einem passenden Dienstleister in Anspruch nehmen, der sich professionell in Ritualfragen auskennt. Die Wanderung verläuft auf einem sehr schmalen Grat und es ist fraglich, ob sie gelingen kann, ohne auf der einen oder der anderen Seite abzustürzen. Kommen die christlichen Inhalte zu kurz, so ist die Frage unvermeidlich, warum die Kirche sich hier selbst Konkurrenz macht und eine weitere Alternative zur Konfirmation bzw. Firmung etabliert. Diesen Charakter wird man den Feiern nicht völlig nehmen können. Auch wenn sie eigentlich nur für ungetaufte Jugendliche gedacht waren, wurde in der Praxis davon abgewichen. Zumindest aus Dresden ist bekannt, dass auch getaufte evangelische Jugendliche an der Lebenswendefeier teilnahmen, statt sich konfirmieren zu lassen. Werden hingegen die christlichen Anliegen deutlicher formuliert und die geistliche Prägung unmissverständlich eingebracht, springen möglicherweise die Teilnehmer ab, denn gerade dies wollten sie ja nicht.

Insofern bleiben doch mehr Fragen offen. Worin besteht die missionarische Dimension, wenn das Wesen des Christlichen gerade verschwiegen werden muss? Wohin führt die „Lebenswendung“ - so der Titel der Feier in Zwickau? Für Christen ist dieser Begriff mit der „Umkehr“ verknüpft, die Johannes der Täufer predigte und die auch am Beginn der Verkündigung von Jesus stand. Wir brauchen ohne Frage missionarische Phantasie, um Menschen zu erreichen, die dem christlichen Glauben und der Kirche fern stehen. Aber lockt man sie damit, wenn man bildlich gesprochen eine vielleicht besonders schöne, aber leere Brotdose überreicht, in der Hoffnung, dass sie dann nach dem Brot fragen, welches eigentlich dort hinein gehört? Müsste man nicht vielmehr fragen, warum viele Menschen lieber eine leere Brotdose wollen, wenn sie nur billiger zu haben ist? Die Meinungen darüber sind geteilt.
 

 

 

 

 

 

 

 

 

Dr. Harald Lamprecht

ist Beauftragter für Weltanschauungs- und Sektenfragen der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens und Geschäftsführer des Evangelischen Bundes Sachsen.

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Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 4/2007 ab Seite 09