Harmlose Gruselgeister?

Halloween im Trend

In den letzten Jahren hat ein Fest in erstaunlichem Maß an Attraktivität gewonnen, das zuvor in Deutschland relativ unbekannt war: Halloween. Als spezieller Horrorkarneval schwappt die Welle aus Amerika gewaltig über den großen Teich und sorgt zunehmend auch hierzulande für Schaufensterdekorationen aus dem Gruselkabinett.

Markttreiben

Halloween-MerchandisingMöglicherweise ist das Fest auch darum so erfolgreich, weil es sich gut kommerziell verwerten lässt. Ein kurzer Marktüberblick im Online-(Buch)laden Amazon.de ergab zum Stichwort Halloween 136 Bücher (vorwiegend mit Bastel- und Deko-Tipps für Kindergartenfeiern, vereinzelt auch Gruselkrimis für etwas ältere Kinder), 9 DVDs und 14 Videos der Sparte Horror („Nacht des Grauens“, „Das Grauen kehrt zurück“ etc.), 108 CDs und 943 englische Bücher. (Zum Vergleich: das Stichwort „Reformationstag“ – immerhin am gleichen Datum – ergab lediglich genau 1 lieferbares Buch - von CDs oder Filmen ganz zu schweigen.)

Auch im Internet ist das Thema Halloween sehr präsent. Eine Suchanfrage bei www.google.de liefert über 110000 Dokumente allein auf deutschsprachigen Internetseiten, weltweit über 3 Millionen (während es der wieder zum Vergleich herangezogene Reformationstag lediglich auf 4 850 Treffer bringt). Die meisten Internetseiten beschäftigen sich in ähnlicher Weise wie die Bücher mit Partyausstattungen, Deko-Ideen, Rezepten, Tipps für Gruselkostüme und dem obligatorischen ausgehöhlten Kürbis oder stellen einfach Einladungen zu künftigen oder Rückblicke auf erfolgte Partys szenegemäß dar.

Widersprüchliches

Durch das massenhafte Auftreten von Teufeln und Hexen in Gesellschaft von Vampiren, Fledermäusen und Geistern in fröhlicher Feierlaune fühlt sich mancher, der diese Bräuche noch nicht aus seinem Kindergarten kennt, verunsichert und fragt sich, wie das denn zusammenpasst - Grusel und Fröhlichkeit. Einerseits geben sich die Beteiligten größte Mühe, eine schaurige Stimmung zu erzeugen, verkleiden sich als furchterregende Figuren und umgeben sich mit anderen Schrecklichkeiten. Andererseits ist damit gar nicht wirklich beabsichtigt, in ängstliche oder düstere Stimmung zu geraten, sondern es wird fröhlich und ausgelassen gefeiert, die ganze dunkle Maskerade ist ein einziger Spaß und keiner scheint die Sache irgendwie ernst zu nehmen. Fast keiner, denn da sind auf der einen Seite manch christliche Kreise, die in dem spaßigen Treiben nicht nur Spaß sehen, sondern aufgrund der verwendeten Symbolik Einflüsse dämonischer Mächte fürchten. Auf der anderen Seite gibt es zunehmend mehr Anhänger einer neuheidnischen Szene, für die dies ein alter heidnischer Festtag ist, der entsprechend religiös begangen werden soll.

Diese Spannungen führen zu Fragen, z. B.: Kann man auch in einem evangelischen Kindergarten Halloween feiern? Wie soll man sich überhaupt als Christ zu diesem Fest verhalten? Was ist nun dieses Fest seinem Wesen nach? Christlich? Heidnisch? Amerikanisch? Von jedem etwas, und die Mischung der Elemente bestimmt seinen Charakter.

Ursprung im Keltenland

Seinen Ursprung hat das Fest in Irland. In der Nacht vom 31. Oktober zum 1. November feierten die Kelten Jahreswechsel, „Samhain“ genannt.

Über die Gestaltung dieses Festes kann man mitunter erstaunlich detaillierte Berichte finden, wobei sicher nicht selten die Phantasie bereitwillig Wissenslücken auffüllt. Zuverlässige Quellen über das religiöse Leben der Kelten sind nämlich rar. Archäologische Funde können Glaubensüberzeugungen nur sehr indirekt belegen. Die antiken Berichte (allen voran Caesars „De bello gallico“ - Über den Gallischen = Keltischen Krieg) haben mit der interpretatio romana auch eine polemische Absicht. Die ausführlicheren epischen Texte (Dichtungen, Sagen, Legenden etc.) entstammen alle späterer (christlicher) Zeit.

Deutlich ist der Bezug der keltischen Jahresfeste zur Agrarkultur. Eine Beziehung zum Kult der Totenseelen gilt als wahrscheinlich. „Bedeutsam ist bereits, dass das schreckliche Opferfest des Idols Crom Cruaich eben an diesem Tage stattfand. Das Opfer der Erstgeborenen war deshalb vermutlich das Mittel, die Mächte der Unterwelt zu beschwichtigen. Weil diese Mächte jedoch auch reiche Ernten schenken oder vorenthalten konnten, wird das Fest ebenfalls zur Förderung der Fruchtbarkeit gedient haben.“ (1)

Das Wort „Samuin“ bedeutet „Vereinigung“ und wird sowohl auf die Verbindungsaufnahme der Lebenden mit den Toten in dieser Nacht bezogen, als auch mit einem mythologischen Geschehen verbunden: der Vereinigung des Gottes Dagda mit Morrigu, der Göttin der Unterwelt und Königin der Spukgeister und Feenwelt.

Über den Zusammenhang des Festes mit den modernen Halloween-Bräuchen des Erbettelns von Speisen in gruseliger Verkleidung wird viel spekuliert. Eine Deutung geht davon aus, dass in der Nacht nach dem Ende des alten und vor dem Beginn des neuen Jahres die Geister der Toten die Erlaubnis hätten, in ihre früheren Häuser zurückzukehren. Um die Achtung vor den Toten auszudrücken und Schaden an Haus und Bewohnern zu vermeiden, habe man ihnen Speisen und Getränke hingestellt und sich zurückgezogen, um nicht von ihnen auf die Seite des Todes gezogen zu werden. „Hungrige Mitbürger“ auf der Suche nach Essbarem hätten dann in Verkleidung von Geistern und Verstorbenen diese Gaben für sich genutzt.

Andere Deutungen meinen, die Verkleidung diene dazu, die Totengeister abzuschrecken.

Gedenktag der Heiligen

Die zweite Wurzel von Halloween liegt im christlichen Allerheiligenfest. Bereits um 160 n. Chr. wurden Gedenktage örtlich bekannter Märtyrer gefeiert. Später ging die Märtyrerverehrung in den Heiligenkult über, indem auch solchen Vorbildern im Glauben gedacht wurde, die nicht den Märtyrertod erlitten hatten. Seit dem 4. Jahrhundert gab es in Syrien einen Festtag zum Gedenken aller Heiligen in der Zeit nach Ostern. Aus dem 7. Jahrhundert ist der 13. Mai als Allerheiligentag in Rom überliefert. Im 8./9. Jahrhundert verblasste offenbar der anfangs deutlichere Zusammenhang mit dem Osterfest, so dass Papst Gregor IV. im Jahr 837 den Termin auf den keltischen Jahresanfang umlegte. Dieser neue Termin hat sich ausgehend von Irland über Northumbrien in der gesamten lateinischen Kirche verbreitet. „Im Hintergrund steht nicht mehr Ostern, sondern die vergehende Natur, über der die unvergängliche Welt der Heiligen sichtbar wird.“

Das christliche Totengedenken war auf diese Weise mit dem vormals heidnischen Brauchtum verbunden worden. Auch das „Trick or Treat“ (Süßes oder Streiche!) mit dem verkleidete Kinder von Haus zu Haus ziehen und sich Süßigkeiten erbetteln, hat vermutlich christliche Wurzeln. Im 9. Jahrhundert wanderten im Zusammenhang mit dem Allerseelen-Gedenktag am 2. November Christen von Ort zu Ort und erbettelten „Seelenkuchen“ (quadratisches Brot mit Johannisbeeren), wofür sie versprachen, für die Seelen der verstorbenen Angehörigen zu beten.

Amerika

Auch in Amerika spielte dieses Fest keine herausgehobene Rolle, bis in den Jahren 1830–1850 infolge größerer Hungersnöte irische Auswanderer zu Hunderttausenden nach Amerika kamen und ihr Brauchtum mitbrachten, so auch die Angewohnheit, Licht in ausgehölte Früchte zu stecken. In Irland waren dies meist Rüben, in Amerika gab es besseres: den Kürbis. Der erleuchtete Kürbis mit dem grimmigen Gesicht ist zum zentralen Symbol von Halloween geworden. Aus dem Namen Jack O‘Lantern lässt sich die Beheimatung in der irischen Folklore noch ersehen (vgl. Kasten). In den USA wurde der Vorabend von Allerheiligen in der Verknüpfung mit den irischen Elementen als Halloween (= All Hallows Evening) zum Volksfest. Es verkörpert in dieser Form eine spezifisch amerikanische Tradition und ist mittlerweile das zweitgrößte Fest in Amerika.

Halloween in Deutschland

Über US-Soldaten und Amerikareisende vermittelt, gewann dieses Fest in den letzten zehn Jahren auch in Europa einen stets wachsenden Einfluss. In Deutschland wird es vor allem als Kostümfest begangen, bei dem der Spaß an seltsamen Verkleidungen im Vordergrund steht. Der Brauch des „Trick or Treat“ ist nicht so stark ausgeprägt wie in Amerika. Statt dessen gibt es häufig einfach ein Gespensterfest im Kindergarten. Weder mit den keltischen noch mit den christlichen Hintergründen können die meisten Partygäste etwas anfangen.

Der Reformationstag hat mit Halloween bzw. Allerheiligen nur insofern etwas zu tun, als Luther im Jahr 1517 an eben diesem Vorabend des Allerheiligenfestes seine berühmten 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche in Wittenberg nagelte und sich somit einer größeren öffentlichen Aufmerksamkeit am Sonntagmorgen gewiss sein konnte. Dass er damit den Beginn der Reformation markierte, war ihm sicherlich nicht bewusst. Erstmals seit 1617 wird in den meisten lutherischen und reformierten Gegenden dieses Ereignisses gedacht - ohne Kostüme und Süßigkeiten.

Halloween Psychologisch

Psychologisch lassen sich die Halloween-Festbräuche als Begegnung der Menschen mit ihrer eigenen Angst interpretieren. Die Geister und Gespenster, die eigentlich furchteinflößende Wesenheiten darstellen, werden durch die Verkleidung ihrer Gefährlichkeit beraubt. Es sind doch nur Menschen, die mir dort als Geist oder Hexe begegnen. Die ausgelassene Feier, der heitere Umgang, der so gar nicht zur Thematik der Kostüme zu passen scheint, ist gerade der Ausweg, um die Beklemmung zu vermeiden. Die gruseligsten Kostüme werden nicht gefürchtet, sondern prämiert.

Gehört Halloween damit zur „Spaßgesellschaft“? Ist das Brauchtum ein tauglicher Versuch, die Angst vor dem Tod zu überwinden und mit der eigenen Sterblichkeit umzugehen?

Neuheiden im Vormarsch

Besonderes Interesse an den keltischen Wurzeln von Halloween zeigt insbesondere die neuheidnische Szene. Dabei zeigt sich ein genereller Grundzug auch im Umgang mit diesem Fest: persönliche Glaubensüberzeugungen modernern Individualreligion werden auf vorchristliche Kultformen zurückprojiziert und jene dann zur Autorisierung der eigenen Auffassungen herangezogen. Es besteht zwar ein starkes Interesse an den alten Kulten, das aber nicht an wissenschaftlicher Exaktheit der Ergebnisse, sondern an der existenziellen Deutung und Nutzbarmachung vermuteter Kultpraxis orientiert ist. Deutlich wird dies z. B. an Außerungen wie dieser Interpretation des keltischen Samhain-Festes:

„Samhain ist das Ende des alten Jahres und der Beginn des Neuen. Es ist ein Fest des Abschieds, bei dem die Verstorbenen geehrt werden. Anders als die Christen glauben die meisten Heiden an die Reinkarnation, so dass der Tod eine Notwendigkeit für neues Leben darstellt. …Wenn sich nun die Naturenergien zur Ruhe begeben und die Dunkelheit des Winters regiert, ist es Zeit, sich selbst zu beobachten, auszuruhen und sich auf das kommende Jahr vorzubereiten. Es ist Zeit für einen Rückblick auf das, was im gerade vergangenen Jahr getan wurde und was das Jahr und die eigenen Taten gebracht haben. Es ist eine Gelegenheit, sich selbst kennenzulernen.“

Es sei erwähnt, dass Reinkarnationsvorstellungen für die Kelten gerade nicht belegt sind, aber in der gegenwärtigen Esoterik zum Allgemeingut zählen, ebenso wie die hier zum Ausdruck kommende Suche nach dem Selbst.

Die Verflechtung von unreligiöser Feierkultur mit neuheidnischen Elementen zeigt sich auch im Angebot der Internetseite http://www.ratgeber-halloween.de, auf der neben Kürbisrezepten auch diverse Links zu neuheidnischen Seiten eingetragen sind, die sich zu Halloween äußern.

Brauchtum und Religion

Für die Beurteilung einer Handlung ist im Leben oft nicht allein entscheidend, was man tut, sondern auch warum man es tut. Ahnlich ist es auch mit Festen und Brauchtum. Die Handlung ist das eine, die damit verbundene Begründung und Interpretation das andere. Bräuche sind oft dauerhafter als die Religionen, das hat die Geschichte immer wieder gezeigt. Jedoch prägen die religiösen Überzeugungen auch die Natur der Feste.

Es ist ein Unterschied, ob man den Tod der Gottheit bedenkt, die erst im Frühjahr wieder auferstehen wird und sich vor Wesen aus der „Anderwelt“ fürchtet, wie dies in der neuheidnischen Interpretation des Samhain der Fall ist, oder der Verstorbenen gedenkt, die in Gott neues Leben haben. Ist es eine Religion, die den Einzelnen gegenüber numinosen Naturmächten ausgeliefert sieht und Götter und Geister gnädig stimmen muss, so findet das Drama im Fest seinen Niederschlag. Aus dem Wissen heraus, dass das Böse in Christus besiegt ist, ist Christen jedoch ein viel ungezwungener Umgang mit dessen Machenschaften möglich. Die christliche Fassung der Legende von Jack O'Lantern (siehe Kasten) zeigt dies deutlich: Der Kürbis ist darin keine schreckliche gruslige Fratze, sondern das Erkennungszeichen derer, die über den Tod und Teufel Gewalt haben, da sie die Kraft des Kreuzes kennen. Vor diesem Hintergrund habe ich kein schlechtes Gefühl mehr, wenn meine Kinder im kirchlichen Kindergarten Kürbisgesichter ausschneiden.

Es ist Aufgabe aller Christen, ihren Glauben auch in die Welt und ihre Feiern hineinzutragen und gegenüber der Angst von der Freiheit durch Christus zu zeugen. Nicht ein ängstliches Vermeiden und Heraushalten aus allem, was auch (mal) einen heidnischen Bezug hat(te) hilft dazu. Dann hätten die Missionare gar nicht erst nach Irland aufbrechen dürfen. Aber auch nicht das gedanken- und unterschiedslose Mitmachen von allem, was die Populärkultur an Geschmacklosigkeiten hervorbringt, kann der Weg der Christen sein. Statt dessen gilt es, stets in der eigenen Umgebung darauf zu achten, wie die befreiende Kraft von der Erlösung durch Christus glaubhaft mit dem eigenen Leben bezeugt werden kann.

Harald Lamprecht (Oktober 2002)

Die Legende von Jack O‘Lantern

Ein Hufschmied namens Jack wurde sein ganzes Leben lang vom Teufel zu vielen bösen Taten verführt. Aus Rache brachte Jack ihn dazu, auf einen Baum zu klettern. Als der Teufel oben ankam, schnitzte Jack ein Kreuz in den Stamm und der Teufel war gefangen. Jack nahm dem Teufel das Versprechen ab, ihn nie wieder zu verführen. Noch im selben Jahr verstarb Jack in der Nacht vom 31. Oktober zum 1. November. Da er sein Leben lang fast nur Böses getan hatte, wurde ihm der Zutritt zum Himmel verweigert. Auch die Hölle blieb ihm versperrt, da der Teufel die Hinterlist nicht vergessen hatte.

Der Teufel gab ihm nur eine ausgehöhlte Kürbis-Laterne mit auf den Weg zurück zur Erde.

Damit wandert Jack seither durch die Finsternis. Seitdem fürchten alle Dämonen und Hexen an Halloween diejenigen unter den Menschen, bei denen eine Kürbis-Laterne im Fenster steht, da Jack diesen angeblich den Trick mit dem Teufel im Baum verraten hat.


  1. Jan de Fries: Keltische Religion (Die Religionen der Menschheit, Bd. 18), 229.

Dr. Harald Lamprecht

ist Beauftragter für Weltanschauungs- und Sektenfragen der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens und Geschäftsführer des Evangelischen Bundes Sachsen.

Artikel-URL: https://www.confessio.de/index.php/artikel/132

Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 5/2002 ab Seite 05