Konfessionskundliche Jubiläen 2004

Eine Auswahl aus dem Newsletter des Konfessionskundlichen Instituts

Das Konfessionskundliche Institut des Evangelischen Bundes hat in seinem Newsletter auf einige konfessionskundlich bedeutsame Jubiläen hingewiesen, die in diesem Jahr auf uns zukommen.

465 Jahre Konfirmandenunterricht „Ziegenhainer Zuchtordnung“

Woher kommt eigentlich die Konfirmation? Aus dem reformationsbewegten Hessen, wo Landgraf Philipp mit den Täufern zu kämpfen hatte, die Glaubenstaufe und strenge Gemeindezucht forderten. Martin Bucer entwarf 1539 die „Ziegenhainer Zuchtordnung“, wonach die getauften Kinder nach katechetischer Unterweisung auch ihr persönliches „Ja“ zum Glauben sprechen sollten. Über Predigt, Seelsorge und Unterricht wachten mit dem Pfarrer die Kirchenältesten. Die hessische Kirche „baute damit als erste evangelische Kirche auf der Gemeinde auf“ (Heinrich Steitz).

Pfarrer Dr. Peter Gemeinhardt, Pfarrer i.E. der Evang. Kirche von Kurhessen-Waldeck; z.Zt. Friedrich-Schiller-Universität Jena.

12. Februar 1804: 200. Todestag von Immanuel Kant

Weil unser Erkennen sich auf das beschränken muss, was zu unseren Bedingungen als Gegenstand möglicher Erfahrung für uns auftreten kann, ist von Gott kein theoretisches Wissen möglich. Der Gottesgedanke hat eine Funktion im Horizont unserer Lebenspraxis als Grund des Glaubens, dass Moral und Glückseligkeit zuletzt doch zusammenkommen: Mit der Trennung von „Wissen“ und „Glauben“ konnte Kant als „Philosoph des Protestantismus“ (miss-)verstanden werden. Katholische Theologie sucht auf seiner Linie heute Gott als Bedingung der Möglichkeit sittlicher Freiheit verstehbar zu machen.

Pfarrer Dr. Walter Schöpsdau, Referent für Moral- und Pastoraltheologie im Konfessionskundlichen Institut Bensheim

 

5. März 1904 - 30. März 1984: 100. Geburtstag und 20. Todestag von Karl Rahner

Mit seiner Gnadenlehre hat Karl Rahner (1904-1984) maßgeblich zur Neubestimmung des Verhältnisses von Kirche und Welt durch das Zweite Vatikanische Konzil beigetragen. Der Mensch kann Hörer eines endgültigen Wortes sein, weil er in seinem Existenzvollzug immer schon auf Begegnung mit unbedingtem Sein aus ist, die jeder Zuwendung zu einzelnem Seiendem als Möglichkeitsbedingung vorausliegt. Die Gnade kommt nicht als etwas Fremdes, auf Autorität hin Anzunehmendes zum Menschen. Sie ist Gott selbst in seiner freien Selbstmitteilung, auf die der Mensch immer schon bezogen ist und in der er zu sich selbst kommt. Die Einigung der Kirchen hielt Rahner in den bekannten Thesen von 1983 für „eine reale Möglichkeit“. In der Substanz sei Glaubenseinheit denkbar auch ohne positiv formulierbaren Konsens in allen Einzelfragen; in der Amtsfrage sei eine offenere katholische Praxis theologisch vertretbar.

Pfarrer Dr. Walter Schöpsdau

 

16. Mai 1204: 800 Jahre Eroberung von Konstantinopel

In Konstantinopel wird ein lateinisches Kaiserreich begründet und Balduin von Flandern als Kaiser in der Hagia Sophia feierlich gekrönt. Anstelle des orthodoxen Patriarchen wurde ein lateinischer Patriarch eingesetzt. Im Verlauf des vierten Kreuzzuges war Konstantinopel im April des Jahres 1204 erobert und drei Tage lang geplündert worden. Dieses Ereignis beschleunigte das endgültige Auseinanderbrechen der Ost- und Westkirche und führte zu einem tiefen Misstrauen zwischen den Kirchen. Bis heute bedeutet dieses Datum ein sehr schmerzhaftes Kapitel der Geschichte, das auch nach der Vergebungsbitte von Papst Johannes Paul II. während seiner Griechenlandreise 2001 noch immer ein schwieriges Problem in der Beziehung zwischen der römisch-katholischen und der orthodoxen Kirche ist.

Pfarrer Martin Bräuer, Bad Camberg,
Beratender Mitarbeiter des Konfessionskundlichen Instituts für den Bereich „Kirchen im Heiligen Land“

 

31. Mai 1934: 70 Jahre Barmer Theologische Erklärung

Was die erste Reichsbekenntnissynode am 31. Mai 1934 im Wuppertaler Stadtteil Barmen-Gemarke mit der „Theologischen Erklärung zur gegenwärtigen Lage der Deutschen Evangelische Kirche“ geschafft hat, ist ein echtes Wunder. Trotz offensichtlicher Unterschiede zwischen lutherischen, reformierten und unierten Standpunkten war es möglich, die Ansprüche des NS-Staates auf die evangelische Kirche zurückzuweisen. „Barmen“ wurde wegweisend für die Gründung der EKD als Gemeinschaft bekenntnisverschiedener Kirchen. Aber auch die 1973 erfolgte Gründung der „Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa“ (Leuenberger Kirchengemeinschaft) wäre ohne Barmen theologisch nur schwer denkbar. Nach 1945 fand dieser bekenntnisartige Text Eingang in die Grundordnungen oder Verfassungen vieler Landeskirchen. Kirchenälteste wie Pfarrerinnen und Pfarrer und andere kirchliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden bis heute darauf verpflichtet.

Pfarrer Dr. Walter Fleischmann-Bisten M.A., Geschäftsführer des Konfessionskundlichen Instituts Bensheim

 

5. Juni 754: 1250. Todestag von Bonifatius

Der ca. 675 geborene angelsächsische Mönch Wynfreth gehört als gelehrter Kirchenorganisator und Germanenmissionar zu den wichtigsten Personen der mittelalterlichen Geschichte. Seit 718 auf dem Kontinent tätig versicherte er sich sogleich der päpstlichen Unterstützung. Gregor II. erteilte ihm eine umfassende Missionsvollmacht für die Germanen und verlieh ihm den Namen des römischen Heiligen Bonifatius. 723 fällt er die von den Heiden verehrte Donareiche bei Geismar. Das 744 gegründete Kloster Fulda wurde das geistige Zentrum für den päpstlichen Missionslegaten. In einer Serie von Reformsynoden gelang ihm in enger Zusammenarbeit mit den Frankenherrschern die Erneuerung der Kirche in Bayern, Hessen und Thüringen. Am 5. Juni 754 fand er den Märtyrertod bei Dokkum in Friesland. Das Bonifatiuswerk, das Diasporawerk der römisch-katholischen Kirche, hat für den „Brückenbauer Europas“ ein interessantes Festbuch herausgegeben (http://www.bonifatiuswerk.de) und gefeiert wird mit einem neuen Pilgerweg (www.bonifatius-route.de). Schade, dass es kaum ökumenische Akzente zu geben scheint. Denn allein in Thüringen stehen 30 evangelische Bonifatiuskirchen.

Pfarrer Dr. Walter Fleischmann-Bisten

 

3. Juli 1904: 100. Todestag von Theodor Herzl

Theodor Herzl gilt als Leitfigur der zionistischen Bewegung. 1904 starb er mit nur 44 Jahren in Wien an einem Herzleiden. Im selben Jahr begann eine neue Einwanderungswelle nach Palästina, die zweite Alija.

Herzl durchlebte die größte Krise der zionistischen Bewegung auf und nach dem 6. Kongreß 1903. Auf der Suche nach einer baldigen Lösung für verfolgte russische Juden wollte er auf das britische Angebot eingehen, einen Teil von Uganda für jüdische Besiedlung zu bestimmen. Diesen Plan gab er kurz vor seinem Tod auf. Die zweite Alija brachte mit sozialistisch sozialisierten Flüchtlingen aus Russland den entscheidenden Impuls zur Agrarisierung Israels unter dem Motto „Eroberung der Arbeit“ mit sich. Ben Gurion, selbst Einwanderer der zweiten Alija, formulierte: „Der jüdische Arbeiter trägt wie die Arbeiter aller Länder die Vision der sozialen Befreiung in sich“.

Dieses und weitere entscheidende Daten des Judentums sind zu finden im soeben erschienenen Band: Ralf Meister, Kai Eckstein: Die 100 wichtigsten Daten: Judentum, Gütersloh 2003 (GTB)

Alexander F. Gemeinhardt M.A., Referent für Öffentlichkeitsarbeit im Konfessionskundlichen Institut Bensheim

 

16. Juli 1054: 950 Jahre Schisma

Am 16. 7. 2004 ist es 950 Jahre her, dass der römische Kardinal Humbert in Konstantinopel gegen Patriarch Michael Kerullarios die Exkommunikation aussprach (was dieser nicht unbeantwortet ließ). Obwohl 1965 diese Verwerfungen für aufgehoben erklärt wurden, steht „1054“ immer noch als Symbol des „Schisma“ zwischen Ost und West. Kein Datum zum Feiern, eher eines zum Nachdenken: Welches Brot beim Abendmahl gebraucht wird, ob der Heilige Geist vom Vater oder auch vom Sohn ausgeht, welche Autorität der Papst besitzt - darum ging es 1054. Müssen diese Fragen auch heute noch Kirchen trennen - oder haben wir gelernt, mit Differenzen zu leben?

Pfarrer Dr. Peter Gemeinhardt,

 

18.Juli 1504: 500. Geburtstag von Heinrich Bullinger

Als störrischer Anhänger Zwinglis gilt der Zürcher Theologe in Deutschland, der die von Martin Bucer betriebene Verständigung mit den Lutheranern sabotierte. Man kann ihn freilich auch anders sehen: als den Sachwalter der Schweizer Reformation, der in mehr als vierzig Jahren an der Spitze des Zürcher Kirchenwesens das Erbe Zwinglis konsolidierte; als theologischen Denker, dessen Confessio Helvetica Posterior von 1566 die geschlossenste reformierte Bekenntnisschrift darstellt und dessen Bundestheologie Bedeutung weit über die reformierte Tradition hinaus hatte und noch hat; als großen Europäer, der mit seiner Korrespondenz von Schottland bis Siebenbürgen, von den Pyrenäen bis Polen wirkte; und nicht zuletzt als Ökumeniker, der durch den Consensus Tigurinus einen Ausgleich mit Calvin erreichte und so aus drei Protestantismen zwei machte. Wenn die reformierten Kirchen in der Schweiz im Sommer 2004 ein großes Bullinger-Jubiläum feiern, dann werden sie das nicht im Sinne einer konfessionellen Nabelschau tun, sondern unter dem Motto der ökumenischen Öffnung auf einer klaren evangelischen Grundlage.

Prof. Dr. Martin Friedrich, Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa
(Leuenberger Kirchengemeinschaft)

 

20. Aug. 1854: 150. Todestag von Friedrich Wilhelm Joseph Schelling

Seine Büste zierte die Moskauer Geistliche Akademie. Im ‚johanneischen‘ Christentum der Zukunft sah er die höhere Synthese des ‚petrinischen‘ (römischen) und des ‚paulinischen‘ (protestantischen) Christentums. Philosophisch vollendet er den Deutschen Idealismus: Indem die Vernunft sich immer schon in ihren Vollzug eingesetzt findet, muss sie sich in ihrem Anspruch, das Erste zu sein, negieren und Gott als die wirkliche Möglichkeit reinen Sich-setzens über sich setzen. Gegen Hegel, für den Gott durch das Andere, die Welt, zu sich selbst kommt, will er weltliches Sein als Geschenk und Gabe einer nichts bedürfenden Gottheit, als Setzung aus Freiheit, begreifen.

Pfarrer Dr. Walter Schöpsdau,

 

1.-4. Oktober 1529: 475 Jahre Marburger Religionsgespräch

Von Philipp dem Großmütigen von Hessen einberufener Einigungsversuch der Reformatoren vom 1.-4. Oktober 1529 in Marburg an der Lahn. Als einziger Dissens blieb die Gegenwart Christi im Abendmahl: „Das ist (est) mein Leib“ (Luther) - „Das bezeichnet (significat) meinen Leib“ (Zwingli). Das Aramäische, Jesu Sprache, kennt das „ist“ nicht. Entsprechend der Wittenberger Konkordie „mit Brot und Wein“ (1536) erklärte die „Leuenberger Konkordie“ 1973 die Abendmahlsgemeinschaft der lutherischen und reformierten Kirchen in Europa.

Prof. Dr. Michael Plathow, Leiter des
Konfessionskundlichen Instituts Bensheim

 

31. Oktober 2004: 5 Jahre Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre

Am Reformationstag 1999 bestätigten sich in Augsburg in der „Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ (GER) Katholiken und Lutheraner gegenseitig offiziell, dass beide Kirchen in ihrer Sprache und Tradition das eine Heil in Jesus Christus verkündigen. Die Rechtfertigungslehre war Kernpunkt der Kirchentrennung vor fast 500 Jahren. Zum ersten Mal wurde damit in einem ökumenischen Dokument nach rund dreißigjährigem evangelisch/katholischen Dialog auf Weltebene eine Übereinstimmung in wesentlichen Grundaussagen der Rechtfertigungslehre beschrieben, die - nach kontroverser Diskussion vor allem in Deutschland - von den lutherischen Kirchen und von der römisch-katholischen Kirche angenommen wurde. Die beiden Hauptziele des Dokumentes werden in Nr. 5 zusammengefasst: Die GER „enthält nicht alles, was in jeder der Kirchen über Rechtfertigung gelehrt wird; sie umfasst aber einen Konsens in Grundwahrheiten der Rechtfertigungslehre und zeigt, dass die weiterhin unterschiedlichen Entfaltungen nicht länger Anlass für Lehrverurteilungen sind“. Bedeutung und Weiterführung der GER sind in und unter den Kirchen nach wie vor umstritten. Der in der GER beschriebene Konsens ist noch kein Lehrkonsens mit Konsequenzen für das Kirchen-, Sakraments- und Amtsverständnis zur Herstellung von evangelisch/katholischer Kirchengemeinschaft. Von der in der GER beschriebenen Übereinstimmung aus sollte aber jetzt in weiteren Schritten versucht werden, die verschiedenen Lehren und Ordnungen der Kirchen als legitimen Ausdruck des christlichen Glaubens zu verstehen und zu fragen, ob die verbleibenden Unterschiede weiterhin kirchentrennend wirken müssen.

Dr. Beatus Brenner, Referent für Ökumene im Konfessionskundlichen Institut Bensheim

 

21. November 1964: 40 Jahre Vatikanisches Ökumenismusdekret

Eine weltweite ökumenische Aufbruchstimmung zog vor 40 Jahren die Verabschiedung des Ökumenismusdekrets „Unitatis redintegratio“ am 21.11.1964 durch die Väter des Zweiten Vatikanischen Konzils nach sich. In dem Dekret, das in Verbindung mit der Kirchenkonstitution „Lumen gentium“ zu lesen ist, dokumentiert sich die Öffnung der römisch-katholischen Kirche für die Ökumene, die nach den Worten von Papst Johannes Paul II. „unumkehrbar“ ist. Das Dekret selbst konnte noch nicht die zwischenkirchlichen Probleme lösen, die in der Folgezeit in zahlreichen ökumenischen Dialogen thematisiert wurden, aber es setzte wichtige Wegmarken, die neue Wege aufeinander zu eröffnen wollten. So ist das Ökumenismusdekret für die katholischen Christen bis heute Herausforderung und Wegweisung zugleich.

Dr. Johannes Oeldemann, Direktor am Johann-Adam-Möhler-Institut
für Ökumenik, Paderborn.

Artikel-URL: https://www.confessio.de/artikel/158

Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 1/2004 ab Seite 15