Meditation extrem bei Sant Thakar Singh

Der innere Licht– und Tonstrom Sant Thakar Singhs und der Holosophischen Gesellschaft

Mit gewisser Regelmäßigkeit können aufmerksame Beobachter in Dresden und anderen Städten Plakate finden, auf denen eine Organisation mit dem klangvollen Namen „Holosophische Gesellschaft - Verein zur Förderung des ganzheitlich heilen Menschen“ zu Veranstaltungen einlädt.

Die großen und grundlegenden Fragen des Daseins, nach Ursprung und Ziel des Lebens, ziehen das Interesse vorübergehender Betrachter auf die Veranstaltungsplakate: Sehnsucht der Seele - Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Angeboten wird unter dieser Überschrift ein „Vortrag mit anschließender Einführung in die Meditation auf das innere Licht und den inneren Ton nach dem Weg des Sant Mat“.

Wer eine solche Veranstaltung der Holosophischen Gesellschaft besucht und nicht weiß, was Sant Mat bedeutet, sieht sich unvermittelt einem indischen Guru gegenübersitzen, der von einem großen vorn aufgehängten Bild herüberlächelt und auch im Mittelpunkt der meisten Bücher und Videos auf dem Büchertisch steht. Dieser Guru, dessen Name auf den Plakaten nicht genannt wird und der hinter der Holosophischen Gesellschaft steht, ist Sant Thakar Singh.

Sikhs und Radhasoami

Sant Thakar Singh und die Holosophische Gesellschaft gehören zu Sant Mat, jener auch als Radhasoami bezeichneten Religion, die im 19. Jahrhundert in Indien aus dem Sikhismus hervorgegangen ist. Sant Mat (Lehre der Heiligen, Pfad der Meister) verbindet darum hinduistische Vorstellungen, wie die Lehre von Reinkarnation und Karma, die Nichtigkeit der materiellen Welt und die Wichtigkeit eines persönlichen spirituellen Lehrers und Meisters (Guru) mit Elementen aus dem Islam (Monotheismus, Abschaffung des Kastenwesens, Turban). Im Gegensatz zum Sikhismus, der sich zu einer Schriftreligion entwickelt hat, spielt im Sant Mat - wie es der Name schon ausdrückt - die Person des lebenden Meisters, des Satguru, wieder eine zentrale Rolle. In seiner Geschichte hat sich der Sant-Mat-Guruismus in verschiedene Linien gespalten. Die fünfte Hauptlinie des Sant Mat, die wiederum verschiedene Nachfolgezweige entwickelt hat, geht auf Sant Kirpal Singh (1894–1974) zurück, der auch in der Holosophischen Gesellschaft noch hohes Ansehen genießt.

Der Satguru

1929 in einem Dorf im nordindischen Punjab geboren, war Thakar Singh zunächst Bewässerungsingenieur im indischen Staatsdienst und Vorsitzender einer Sikh-Organisation. 1965 wandte er sich Kirpal Singh zu und ließ sich von ihm initiieren, um dann nach dessen Tod die Nachfolge zu beanspruchen. Sant Thakar Singh war aber nicht der einzige, der sich als Nachfolger von Kirpal Singh sah und ist keineswegs von allen als rechtmäßiger Nachfolger anerkannt.

Für seine Anhänger nimmt Sant Thakar Singh eine schon fast gottähnliche Stellung ein. Als der „lebende kompetente Meister“ genießt er hohe Verehrung. Dies drückt sich z. B. in einem Bilderkult aus: möglichst überall soll ein Bild von ihm hängen, Kinder sollten keine anderen Bücher als solche mit Bildern des Meisters ansehen etc. Auch unmittelbar für die Erlösung des einzelnen Anhängers soll er als Person eine zentrale Funktion haben.

Das Karma und die Erlösung

Sant Thakar Singh lehrt, dass jeder Mensch unzählige Male wiedergeboren werden müsse, um sein aus vorigen Leben gesammeltes Karma abzutragen. Dabei unterscheidet er drei Arten von Karma: Die erste ist das sogenannte Vorratskarma, das jeder Mensch im Laufe vorangegangener Zeitalter aufgespeichert hat. Dieses ist riesengroß und schwerwiegend, so dass niemand sagen kann, wieviele Wiedergeburten zu seiner Tilgung noch nötig sein werden.

Einen (relativ kleinen) Teil dieser Karma-Masse bekommt der Mensch als Schicksals-Karma bei der Geburt zugeteilt, um es in diesem Leben abzuleisten. Damit steht das Programm des Lebens bis zur Todesstunde genau fest. Die dritte Karma–Art besteht in den neuen Karma–Saaten, die durch die Gedanken, Worte und Taten des aktuellen Lebens gelegt werden.

Die Erlösung, d. h. den Ausbruch aus diesem ewigen Kreislauf der Wiedergeburten und der Knechtschaft des Karma, könne nur erlangen, wer kein Karma mehr hat – Angesichts des riesigen Vorratskarmas ist dies keine sehr optimistisch stimmende Vorstellung. Um dennoch zur Erlösung kommen zu können, gilt die Hilfe des „lebenden kompetenten Meisters“ im Sant Mat als unerlässlich: Bei der Initiation verbrennt der Meister durch sein Wort das gesamte Vorratskarma. Lediglich Schicksalskarma und Saatkarma bleiben übrig, die in diesem Leben bezwungen werden müssen und wozu die „Meisterkraft“ den Initiierten Hilfestellungen und Erleichterungen verschaffen soll. Wer sein Leben in rechter Weise führt und zum Zeitpunkt des Todes kein Karma mehr hat, könne keine weitere Geburt erhalten und sei dann frei. Der Kontakt zum lebenden Meister ist für die Erlösung und Rettung aus dem Kreislauf der Wiedergeburten elementar notwendig.

Der innere Licht und Tonstrom

Die wichtigste spirituelle Übung im Sant Mat ist die Meditation auf das innere Licht und den inneren Ton. Gemäß indischer Überzeugung ist die äußere, sichtbare Welt nur Schein und Täuschung (Maya). Auch für Sant Thakar Singh ist weltliches Leben unwichtig. Das Wesentliche vollzieht sich im Inneren des Menschen. Dort könne durch die Initiation eine Verbindung mit Gott hergestellt, ein inneres Licht geschaut und ein innerer Ton gehört werden, der unmittelbar mit Gott in Verbindung steht und darum Quelle allen Glückes sei. Das Wahrnehmen des inneren Licht- und Tonstromes gilt darum als wichtigstes Ziel im Leben, dem man sich so früh und so oft wie irgend möglich widmen sollte.

Marathon-Meditation

Diese Einstellung hat zur Folge, dass von den Anhängern extensive Meditation erwartet wird. Mindestens zwei bis drei Stunden täglich und einmal im Jahr 40 Tage mit jeweils 16 Stunden Meditation sollen praktiziert werden - besser mehr. Über die Erfahrungen während der Meditation sollte möglichst nicht gesprochen werden. Besser sei es, sie in ein spirituelles Tagebuch zu schreiben, das als Selbstprüfungstagebuch auch eigene Vergehen und Unzulänglichkeiten enthalten soll. Ein Bild des Meisters sollte immer im Meditationsraum sein, um sich in der Meditation auf den Meister auszurichten. Problematisch erscheint, dass die umfangreiche Meditationspraxis und die damit verbundene Abschottung von der Außenwelt bereits für kleine Kinder empfohlen wird.

Skandale

Sant Thakar Singh ist immer wieder Ziel heftiger öffentlicher Kritik geworden und wird auch als „das schwarze Schaf des Sant Mat“ bezeichnet. Es ist die Rede von sexuellen Übergriffen, unklarem Verbleib von Spendengeldern, Exorzismen mit Todesfolge und insbesondere Kindesmisshandlungen durch extensiven Meditationszwang in den „Lichtheim–Zentren“.

Obwohl die meisten Vorwürfe aus der Mitte der 90er Jahre stammen, begann erst Ende 1999 die Holosophische Gesellschaft den Versuch, durch „gerichtliche Klärungen“ „die Verleumdungen, Lügen und Anschuldigungen gegen die Person des Meisters und gegen sein Werk“ zu unterbinden. Dafür wurde um Spenden auf ein „Sonderkonto“ gebeten. Von den rechtskräftig verurteilten Betreibern des Meditationszentrums Buchendorf, wo kleine Kinder mit Augenbinden und Ohrstöpseln zur Meditation gezwungen wurden, bis das Jugendamt einschritt, distanziert man sich und versucht dies als ein rein privates Unterfangen darzustellen. Die dem zugrundeliegenden Lehren sind jedoch nach wie vor gültig.

Der Meister als Gottmensch?

Aus christlicher Sicht ist die Lehre des Sant Mat im allgemeinen und die Ausprägung durch Sant Thakar Singh im speziellen in mehrfacher Hinsicht zu kritisieren. Insbesondere die Rolle des Guru mit seiner zentralen Stellung im Erlösungsgeschehen und seine Dominanz im Leben der Anhänger wirkt sehr anmaßend und lässt keinen Raum für eine kritische Distanz.

Der starke Rückzug aus der Gesellschaft mit der Konzentration auf eine rein innerlich beschriebene Göttlichkeit in exzessiver Meditation kann zu Isolation und Entfremdung führen. Insbesondere für Kinder sind bei den von Thakar Singh empfohlenen Meditationsmethoden Entwicklungsstörungen und schwere psychische Probleme zu erwarten.

Die Sehnsucht nach einem geistlichen Leben und einer inneren Verbindung mit Gott darf aus christlicher Sicht weder in eine Abhängigkeit von menschlichen Meistern noch zu einem Rückzug aus der Welt führen.

Dr. Harald Lamprecht

ist Beauftragter für Weltanschauungs- und Sektenfragen der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens und Geschäftsführer des Evangelischen Bundes Sachsen.

Artikel-URL: https://www.confessio.de/artikel/32