Wenn der lebende Meister nicht mehr lebt ...

Die Holosophische Gesellschaft und ihr neuer Guru

Meditation auf inneres Licht und inneren Ton - das versprechen die Einladungen, die mit dem charakteristischen Strahlenstern im Hintergrund auf die Veranstaltungen der Holosophischen Gesellschaft hinweisen. Ein solcher Vortrag fand am 27. April 2006in Dresden statt.

Radhasoami

Die Holosophische Gesellschaft ist der deutsche Zweig der Sant-Mat-Bewegung, einer indischen Religion, welche die besondere Bedeutung der persönlichen initiatischen Verbindung mit einem lebenden Meister betont. Religionsgeschichtlich ist diese auch Radhasoami genannte Richtung aus dem Sikhismus hervorgegangen, der wiederum eine Kreuzung aus Hinduismus und Islam darstellt. Äußerlich erkennbar ist dies an den Gurus, die Turban tragen. Theologisch zeigt sich die Verbindung z.B. in der Kombination einer islamisch beeinflussten monotheistisch anmutenden Rede von Gott als dem Schöpfer mit indischem Reinkarnationsdenken. Die Radhasoami-Religion ist in viele miteinander konkurrierende Zweige aufgesplittert, die jeweils den authentischen Sat-Guru in ihrer eigenen Linie behaupten.

Sant Thakar Singh

Von den verschiedenen Zweigen war die mit dem Namen des Gurus Sant Thakar Singh verbundene Richtung in den vergangenen Jahrzehnten die skandalträchtigste. Er lehrte, dass Gott nur im Inneren zu finden sei und propagierte exzessive Meditation „auf das innere Licht und den inneren Ton“. Deutsche Anhänger betrieben dies mit deutscher Gründlichkeit, verbanden Ihren Kindern Augen und Ohren und hielten sie zu stundenlanger Meditation an, bis das Jugendamt eingriff und die betroffenen Kinder „befreite“. Es kam zu mehreren Verurteilungen.

Danach war es in Deutschland einige Jahre ruhig geworden um Sant Thakar Singh, bis allmählich sein Name wieder auf den Plakaten auftauchte. Im März 2005 starb er im Alter von 75 Jahren in Indien. Die Nachfolge hat Sant Baljit Singh angetreten. Was bedeutet der Führungswechsel für eine solche auf die Führungspersönlichkeit zentrierte Organisation?

Weltensphären

In ihrem Vortrag erläuterte die Referentin anhand einer selbst aufgezeichneten Skizze den Aufbau des Universums und den Weg des Menschen zu dem Göttlichen. Auffällig war dabei, dass sie selbst - ganz im Gegensatz zu ihrem Meister - stets nur in dieser diffusen Weise von „dem Göttlichen“ sprach, während sowohl Sant Thakar Singh als auch jetzt Sant Baljit Singh stets sehr direkt von „Gott“ sprachen. In der Meditation soll sich der Mensch von der physischen Ebene über die Kausalebene und eine Superkausalebene in den Bereich des Göttlichen erheben, wo sich das Verhältnis von Geist und Materie verwandelt.

Der neue Meister

Literatur

Im Anschluss an die Kosmologie wurde ein ca. halbstündiges Video präsentiert, welches ein Interview mit Sant Baljit Singh wiedergab, das noch zu Lebzeiten von Sant Thakar Singh und vor der offiziellen Nominierung Baljit Singhs zum Nachfolger aufgenommen wurde. Darin schilderte Sant Baljit Singh ausführlich seine Biografie, wie er in schwierigen Verhältnissen aufgewachsen ist, er stellte die Umstände dar, warum er sich erst so spät hat initiieren lassen und welchen Eindruck die Begegnung mit Sant Thakar Singh auf ihn hatte. Nicht unwesentlich dürfte sein, dass er selbst alle sozialen Kontakte zu seinem Freundes- und Familienkreis abgebrochen hatte, als er sich für mehrere Monate zur Meditation zurückzog. Besorgniserregend war dann auch, dass er in dem Interview als größtes Hindernis auf dem Weg zu Gott „Beziehungen“ nannte - menschliche Beziehungen, soziale Beziehungen und auch Freundschaften.

Ballast abwerfen

Die Referentin illustrierte im Anschluss an die Videovorführung anhand der Skizze eines Heißluftballons, dass der Aufstieg in die höheren, reineren Sphären des Göttlichen voraussetzt, dass viel irdischer Ballast abgeworfen werden muss. Dazu gehört der Genuss von Alkohol, Tabak und Narkotika ebenso wie der Verzehr von Fleisch. Der eben noch vom Meister so nachdrücklich geforderte Abbruch der Sozialbeziehungen war hier interessanterweise nicht unter den abzuwerfenden symbolischen Sandsäcken. Ob dies als Zugeständnis an die europäische Situation mit Absicht geschah oder eher zufällig ist, muss offenbleiben. Jedenfalls hat die Referentin, die selbst seit über 20 Jahren Anhänger von Sant Thakar Singh ist, diesen Punkt dennoch in ihrem Leben verwirklicht: sie lebt allein, ohne Bindung an Familie oder Verwandschaft, wie sie später im persönlichen Gespräch mitteilte.

Meisterwechsel schwer

Ebenfalls deutlich wurde in dem Gespräch, wie schwer den langjährigen Anhängerinnen der Abschied von dem alten und die Annahme des neuen Meisters fiel. Die emotionalen Bindungen bestehen noch zu Sant Thakar Singh. Er war es, der diese Frauen „initiiert“ hatte, mit ihm hatten sie ihr Leben lang versucht, sich spirituell zu verbinden. Das geht nicht einfach auf den Nachfolger über. Diese - menschlich nur zu verständlichen - Reaktionen konterkarieren etwas die frühere Polemik Sant Thakar Singhs gegen andere Religionen, die nur tote Meister verehren würden, er aber sei der lebende Meister. Nun teilt er das Schicksal der früher Verspotteten: er wird auch als toter Meister noch verehrt.

Hürden hochgelegt

Die „Initiation“, die spirituelle Verbindung eines neuen Schülers mit dem Meister, ist jetzt deutlich schwieriger zu bekommen. War es unter Sant Thakar Singh üblich, Initiationen im Anschluss an Vortragsabende all jenen anzubieten, die bereit waren, nach dem Vortrag noch die prognostizierten zwei Stunden länger auszuharren, so sind nun die Hürden höher gelegt. Wer initiiert werden möchte, muss unter der Ägide von Sant Baljit Singh erst in einem mehrmonatigen Einführungskurs sein ernsthaftes Interesse unter Beweis stellen. Auch die Initiationsvermittler wurden neu auf die Richtlinien verpflichtet, die u.a. Meditationszeiten von 6 bzw. 4 Stunden täglich (!) vorschreiben. Diese neuen Richtlinien dürften dem Wachstum der Bewegung in Deutschland vorerst gewisse Grenzen setzen. Zur Dresdner Gruppe sollen derzeit ca. 15 Personen gehören. An diesem Abend waren davon vier anwesend, um gemeinsam mit zwei auswärtigen Gästen die drei Interessenten aus Dresden zu betreuen, die zu dem Vortrag gekommen waren, von denen wiederum einer der Schreiber dieses Berichtes war.

Dr. Harald Lamprecht

ist Beauftragter für Weltanschauungs- und Sektenfragen der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens und Geschäftsführer des Evangelischen Bundes Sachsen.

Artikel-URL: https://www.confessio.de/artikel/83

Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 3/2006 ab Seite 03