Fethullah Gülen und die Hizmet-Bewegung

Im Gespräch mit dem Evangelischen Bund Sachsen

In den letzten Jahren ist die türkisch-islamische „Hizmet“-Bewegung der Anhänger von Fethullah Gülen immer mehr in das Licht der deutschen Öffentlichkeit getreten. Trotz freundlichem Erscheinungsbild gibt es auch viel Kritik an der Bewegung. Was ist dran? Der Evangelische Bund Sachsen hat darum zum Gespräch in Leipzig eingeladen.

In den letzten Jahren ist die türkisch-islamische „Hizmet“-Bewegung der Anhänger von Fethullah Gülen immer mehr in das Licht der deutschen Öffentlichkeit getreten. Betrachtet man ihre Außendarstellung, so scheint sie der ideale Partner für den christlich-islamischen Dialog zu sein: Ihre Mitglieder sind gebildet, sprechen perfekt Deutsch, weil sie oftmals hier geboren sind oder zumindest schon lange in Deutschland leben und gut in der Gesellschaft sozialisiert sind. Die auf den Internetseiten der Bewegung präsentierten Werte beschreiben einen Islam, wie er in vielen Talkshows als Wunschtraum beschrieben wird: Dialogbereit, friedliebend, mit einem klaren Bekenntnis für die Demokratie, die Religionsfreiheit und die Menschenrechte.

Dennoch gibt es nicht wenig Kritik an dieser Bewegung um den Prediger Fethullah Gülen, der seit 1999 in den USA im Exil lebt. Es ist die Rede von einem „Wolf im Schafspelz“ und das hinter der freundlichen Fassade letztlich doch ein traditionell konservativer Islam verbreitet wird. Die Klagen und Befürchtungen reichen von Intransparenz und Unterwanderung bis zu Verschwörungstheorien.

Um in dieser Gemengelage einen etwas klareren Blick zu bekommen, hat der Evangelische Bund Sachsen Vertreter des in Leipzig ansässigen Vereins „Forum für interkulturellen Dialog“ (FID), der zur Gülen-Bewegung gehört, im evangelischen Studienhaus zum Gespräch eingeladen. Zu den Gesprächspartnern auf dem Podium gehörten Ercan Karakoyun, Vorsitzender der Stiftung „Dialog und Bildung“ in Berlin und Tayyar Kocak, der seit anderthalb Jahren FID e.V. in Leipzig leitet.

Geschichte

Die Hizmet-Bewegung in ihrer gegenwärtigen Gestalt wie auch die mit ihr verbundenen Kontroversen sind nur zu verstehen, wenn die Entwicklungen in der Türkei mit in den Blick genommen werden. Zentral ist dabei stets die Frage nach der Rolle der Religion in der Gesellschaft.
Das Osmanische Reich wurde von Ercan Karakoyun in dieser Hinsicht positiv verklärt beschrieben. Herausgestellt wird, dass es eine symbiotische Beziehung zwischen den Herrschern und den islamischen Gelehrten gegeben habe und in damals die Medresen und islamischen Schulen noch eine bedeutende Rolle gehabt hätten.

Im Zusammenhang mit der Formung der Türkei unter Atatürk als modernen westlichen Staat, der den Anschluss an Europa sucht und die empfundene Rückständigkeit osmanischer Zeiten überwindet, kam es zu tiefgreifenden Reformen des ganzen öffentlichen Lebens. Die Radikalität der türkischen Entwicklungen ist aus dem zeitlichen und geografischen Abstand des heutigen Deutschland schwer zu ermessen. Atatürk prägte einen säkularen Staat, und in der Folge wurde Religion in vielen Bereichen aus dem öffentlichen Leben verdrängt. Das Sultanat und das Kalifat wurden abgeschafft, der islamische durch den gregorianischen Kalender ersetzt. Die frühere religiöse Identität des Vielvölkerstaates wurde in eine nationale Identität umgeformt, die auf das Türkentum abstellt. Nicht nur das Alphabet wurde von arabischer auf lateinische Schrift umgestellt. Auch traditionelle Kleidung wurde verboten, Barttragen war verboten, Kopftücher wurden verboten u.v.a.m. Weil solche Maßnahmen verständlicherweise auch Widerstand in der Bevölkerung hervorrufen, befand sich der türkische Staat seit seiner Gründung in einer latenten Verteidigungshaltung gegen seine eigene Bevölkerung und versuchte mit seinen Gesetzen, den Staat vor dem Volk zu schützen.

Fethullah Gülen

In dieser Zeit einer staatlich geförderten Säkularisierung wurde Fethullah Gülen 1941 in Korucuk in einer ländlichen und konservativ geprägten Provinz der Türkei geboren. Auch sein Elternhaus war islamisch konservativ geprägt. Diese Wertvorstellungen bilden somit das Fundament von Gülens Wirken. Ercan Karakoyun unterschied in seiner Darstellung drei Wirkungsphasen Gülens:

1) 1959-1979: Zunächst wirkte Gülen als islamischer Prediger im Auftrag der staatlichen Religionsbehörde Diyanet in verschiedenen türkischen Provinzen. Seine rhetorische Begabung lässt Anhängerkreise entstehen. Die Themen dieser Zeit sind bestimmt von dem Bemühen um Bewahrung traditioneller religiöser Werte in einer zunehmend säkularen Gesellschaft.

2) 1979-1999: In einer zweiten Phase kommt es zu einer alternativen Öffnung. Er sucht Verbündete in verschiedenen Kreisen. Es werden gezielt Unternehmer angesprochen, Medien gegründet, eigene Zeitschriften herausgegeben, und - ganz wesentlich - auf seine Anregung hin immer mehr Schulen gegründet. Die pädagogischen Einrichtungen sind auch heute in Deutschland ein wesentlicher Faktor der Hizmet-Bewegung. So bestehen ca. 150 Nachhilfeeinrichtungen, 15 Dialogvereine (wie z.B. FID), 30 Schulen sowie Unternehmerverbände, Akademikerverbände etc.

3) Ab 1999 folgt die Internationalisierung und Transnationalisierung der Bewegung. Der politische Sieg der AKP in der Türkei verändert die Rahmenbedingungen und Gülen kam zunehmend in Spannung zur Regierung. Er setzte sich in die USA ab, wo er seitdem lebt. Die Bewegung breitet sich zunehmend international aus.

Von Fethullah Gülen existiert ein umfangreiches Schrifttum. Dabei handelt es sich jedoch nicht um von ihm selbst vorgenommene systematische Darlegungen seiner Lehre, sondern vielmehr um von den Anhängern gesammelte Mitschriften von Vorträgen in unterschiedlichen Situationen und Anlässen. Konservative Aussagen etwa zur Rolle von Frauen ordnete Ercan Karakoyun der ersten Phase zu, während Themen wie Religionsfreiheit und Menschenrechte vor allem in der 3. Phase wichtig geworden seien.

Konservativer Reformer?

In der Frage, ob Fethullah Gülen als Reformer oder als Konservativer zu charakterisieren sei, ist eine klare Antwort schwer. Kritiker verweisen darauf, dass Gülen, der stark von dem islamischen Mystiker Said Nursi (1876-1960) geprägt ist, nicht den Islam modernisieren, sondern die Moderne islamisieren wolle.1 Das ist nicht ganz von der Hand zu weisen, denn von seiner Prägung und Herkunft her ist sein Anliegen in der Tat, bestimmte traditionelle Glaubensbestände des Islam auch in einer säkularisierten Gesellschaft zu bewahren und mit Leben zu erfüllen. Wäre Gülen statt im türkischen Korucuk z.B. im sächsischen Erzgebirge geboren worden, dann würde er ein analoges Anliegen vielleicht im Rahmen eines pietistisch geprägten Christentums vertreten. Andererseits weisen Anhänger darauf hin, dass viele seiner Reden und Impulse über eine traditionelle Prägung hinausweisen und er folglich durchaus als Reformer angesehen werden könne. Es bleibt aber dabei, dass seine Koraninterpretation sich im sunnitischen Rahmen der hanafitischen Rechtsschule bewegt.

Gründer? Guru? Heiliger?

Die Rolle von Fethullah Gülen für und in der Hizmet-Bewegung ist ebenfalls ein Feld kontroverser Beurteilung. Vertreter der Gülen-Bewegung legen großen Wert darauf, dass die verschiedenen Einrichtungen und Schulen unabhängige selbständige und säkulare Institutionen darstellen. Gülen ist dort weder Firmeninhaber noch Vorstandsmitglied oder ähnliches, sondern sein Einfluss beschränkt sich darauf, die Gründung angeregt zu haben und dass dort engagierte Personen seine Ideen rezipieren. Das klingt nach einer sehr lockeren Verbindung. Rein formal betrachtet stimmt das auch. Allerdings ist unübersehbar, welche übermenschliche Verehrung Gülen im Kreis seiner Anhänger genießt. Wo ein Wink des Meisters genügt, braucht es keine Befehlsstrukturen. Von der Gülen-Bewegung wurde im renommierten katholischen Herder-Verlag mit erklärtem apologetischen Interesse eine Zusammenstellung von Interviews mit und Texten von Fethullah Gülen herausgegeben, um ihn von diversen Vorwürfen rein zu waschen. (Fethullah Gülen: Was ich denke, was ich glaube, Freiburg 2014) Die biografische Einführung dieses Buches liest sich wie eine Heiligenlegende. Alles an ihm scheint perfekt: sein Einfühlungsvermögen, seine Begabungen, seine Kenntnisse, seine vielseitigen Interessen, und wo es Schwierigkeiten gibt, sind diese stets durch äußere Umstände entschuldbar. Nun mag das auf der Faktenebene alles stimmen. Dennoch erzeugt diese nahezu völlige Abstinenz auch nur ansatzweiser interner Kritik kein realistisches Bild von einem Menschen, sondern eine Atmosphäre ehrwürdiger Verehrung. Auf die Frage, wo aus Sicht der Gesprächspartner Gülen geirrt habe, gab es auch lediglich zwei Punkte: dass er zu spät vor der AKP gewarnt habe und dass seine Sprache mitunter schwer verständlich sei. Alles andere macht er folglich richtig. Übrigens: Die Aussagen zu seiner Bescheidenheit, dass Gülen all den Kult um seine Person gar nicht wolle, gehören elementar mit zu dieser Stilisierung als vollkommener Heiliger.

Subversive Unterwanderungsstrategien

Die politische Situation in der Türkei ist einer offenen demokratischen Beteiligung an der Gestaltung der Gesellschaft nicht in jedem Fall förderlich. Fethullah Gülens langfristige Strategie, durch die Gründung von Schulen und Bildungseinrichtungen Personen aus dem eigenen Umfeld in die geistigen Eliten des Landes zu bringen, ist in der Türkei sehr wirksam geworden. Dass er konsequent auf säkulare Schulgründungen setzte, in denen nicht einmal Religionsunterricht angeboten wurde, hat dazu geführt, dass auch die kemalistischen Autoritäten seine Bildungsinitiativen unterstützt haben. Nun, ca. 30 Jahre später, fällt der AKP-Regierung plötzlich auf, dass an allen möglichen Schaltstellen in Politik, Wirtschaft und Verwaltung Personen tätig sind, die von diesen Schulen kommen und mehr oder weniger deutlich mit Gülens Netzwerk verbunden sind. Das wäre auch ganz ohne Verschwörungstheorie erklärbar, weil aufgrund des langfristig gepflegten Bildungsideals diese nun mal in beträchtlicher Zahl unter den Absolventen und möglichen Kandidaten auf wichtige Posten vertreten sind. Dass auch eine Strategie damit verbunden ist, scheint dennoch nicht ganz unwahrscheinlich. Die Angst vor dem sogenannten „tiefen Staat“, in dem Entscheidungen in Politik und Verwaltung nicht durch die offiziellen Wege, sondern durch tiefer liegende Verflechtungen und Abhängigkeiten bestimmt sind, ist in der Türkei schon länger verwurzelt. Das ergibt eine unübersichtliche Gemengelage, in der einerseits Kritiker der Gülen-Bewegung berichten, dass sie sich plötzlich Verhaftungen und staatlichen Repressionen ausgesetzt sehen. Auf der anderen Seite bezichtigt die Regierung die Gülen-Bewegung der staatsfeindlichen Unterwanderung, und bemüht sich, deren Einfluss in der Türkei zurückzudrängen, worauf jene mit noch besserer Tarnung und subversiven Aktivitäten reagieren.

In Deutschland ist die politische Situation anders. Hier gibt es eigentlich keine politischen Gründe für verdeckte Operationen. Doch lassen sich eingeübte Strategien wohl nicht einfach abstellen. So haben auch die deutschen Schulgründungen den Hintergrund in Fethullah Gülens Netzwerk oft sorgfältig verborgen gehalten. Auch bei den Dialoginitiativen war die Verbindung zu Gülen nicht immer gleich erkennbar. Ob in Leipzig Anhänger der Gülen-Bewegung tatsächlich versucht hatten, die Jugendorganisation der SPD zu unterwandern, wie es der MDR berichtet hatte,2 oder ob sie lediglich in eine innerparteiliche Auseinandersetzung geraten waren3 ist angesichts widersprechender Berichte schwer zu sagen. Aber in Deutschland müsste sich die Gülen-Bewegung eigentlich nicht verstecken. Das Klima ist hier religionsfreundlicher als in der Türkei und es ist besser, wenn man seine Ziele offen und ehrlich kommuniziert. Allmählich scheinen die Verantwortlichen das zu begreifen und sowohl FID e.V. als auch die Stiftung Dialog und Bildung in Berlin zeigen den Bezug zu Gülen wenn schon nicht im Namen, so doch wenigstens auf den Startseiten der jeweiligen Internetpräsenzen an.

Aufgeklärte Koranlektüre?

Wie verhalten sich die Bekenntnisse von Fethullah Gülen zu der innerhalb der Bewegung gelebten religiösen Praxis? Ein möglicher Indikator dafür könnte der vielfach verwendete Korankommentar von Ali Ünal sein. Dieser Kommentator ist Übersetzer vieler Werke von Fethullah Gülen, er gehört somit quasi zur Bewegung. Fethullah Gülen selbst hat ein Vorwort zu dessen Koranübersetzung geschrieben. In Sure 4:34 rechtfertigt Ali Ünal sowohl in seiner Übersetzung als auch in seinem Kommentar ausdrücklich das Schlagen von Frauen.4 Das ist ganz die traditionelle konservativ sunnitisch-hanafitische Interpretation. Dass es auch anders geht, belegen Koraninterpretationen, die durch Vergleiche mit anderen Koranstellen zu einer Übersetzung finden, die nicht das Schlagen von Frauen propagiert.5 Unsere Gesprächspartner versuchen, Gülen hier zu verteidigen: Er habe das Vorwort geschrieben, ohne die Übersetzung gelesen zu haben, er hätte anderswo gemeint, die Frauen sollten Karate lernen, um zurück zu schlagen, es solle eine neue Auflage geben, wo das so nicht mehr vorkommt. Es bleibt ein Unbehagen in der Beobachtung des Gegensatzes zwischen den freundlich, liberal und aufgeklärt wirkenden Aussagen nach außen und einer inneren Praxis, der diese Diskrepanzen offenbar nicht selbst auffallen.

Offensichtlich ist der Spagat zwischen säkular orientierter Fassade und elementar konservativ fundierter Glaubenslogik innerhalb der Hizmet-Bewegung nicht aufgearbeitet und führt deswegen zwangsläufig zu solchen Irritationen. Sie wollen gern alle für sich gewinnen und zugleich an den überlieferten Inhalten festhalten. Solches funktioniert aber nur, wenn man sich ernsthaft bemüht, die überlieferten Inhalte auch theologisch mit Blick auf die Moderne zu diskutieren. Es klappt nicht, wenn beide Sphären unabhängig voneinander gepflegt werden und je nach Kontext das eine oder das andere Gesicht gezeigt wird. Solches Handeln wirkt unehrlich und fällt immer früher oder später negativ auf eine Gruppe zurück. Vielleicht ist diese innere Spannung auch in der geschichtlichen Grundkonstellation der Türkei angelegt, in der Gülen einen Mittelweg zwischen modernitätsfeindlicher religiöser Traditionspflege und religionsvergessener Moderne versucht. Als „Lösung“ dieses Konfliktes kann die Gülen-Bewegung in ihrer gegenwärtigen Form noch nicht angesehen werden – zu sehr stehen die beiden Teile unverbunden und widersprüchlich nebeneinander. Es ist nicht damit getan, im äußeren Leben moderne Menschen auszubilden, die in ihren inneren Überzeugungen konservative religiöse Werte transportieren. Dazu braucht es mehr und deutlichere religiöse(!) Aussagen, wie diese Verbindung auch theologisch verantwortlich geschehen kann. Es genügt nicht, einfach säkular begründete gesellschaftliche Aussagen („Sie [Männer und Frauen] sind einander gleichgestellt und gleichberechtigt.“6) und religiös begründete konservative Aussagen („Das Kopftuch ist fardh, also eine Pflicht.“7) unvermittelt nebeneinander stehen zu lassen, ohne zu klären, wie das eine sich zu dem anderen verhält.

Für eine solche Verbindung gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten: Entweder man bleibt bei der konservativen Tradition, kann dann aber den Mund im Blick auf die eigene Liberalität in der öffentlichen Selbstdarstellung nicht mehr ganz so voll nehmen, wie es derzeit geschieht. Oder aber, wenn die Bekenntnisse zu Religionsfreiheit, Demokratie, Gleichberechtigung und Gewaltfreiheit ernst gemeint sind (was zu hoffen ist), dann geht das nicht ohne neue Interpretationsansätze in Bezug auf das konservative Grundgerüst. Gegenwärtig sind diese noch nicht ausreichend zu sehen. Diese müssen nicht zwingend von Fethullah Gülen selbst kommen. Eine mündige Bewegung zeichnet sich dadurch aus, dass sie eigene Adaptionen der Impulse ihres Gründers entwickelt. Das funktioniert aber nur, wenn Gülen nicht zu hoch auf den Sockel der Verehrung gesetzt wird.

Muslimische Jesuiten?

In mancher Hinsicht erinnert die Diskussion um die Gülen-Bewegung an das ambivalente Verhältnis evangelischer Christen zu den Jesuiten. Als Elite-Organisation des Papstes war der Orden in Zeiten der Gegenreformation in einige konspirative Machenschaften verwickelt. Bis heute wird er darum gern mit Verschwörungstheorien in Verbindung gebracht. Seine Mitglieder verbinden in ähnlicher Weise feste religiöse Überzeugungen mit einer enormen Flexibilität in der Vermittlung, die bis zur scheinbaren Selbstaufgabe gehen kann. Das ist möglich, weil der Orden ein hohes Bildungs­ideal vertritt und seine Repräsentanten deshalb in der Regel sehr vernünftige, kluge, nette und gesprächsfähige Partner darstellen. Die Römisch-Katholische Kirche hat aber ein 2. Vatikanisches Konzil erlebt, weshalb heutige Jesuiten ohne massive innere Selbstwidersprüchlichkeit in einen ehrlichen Dialog mit der Moderne eintreten können.
Es wäre zu wünschen, wenn es der Hizmet-Bewegung gelänge, an dieser Stelle einen Schritt weiter zu kommen.

Fazit

In der Hizmet-Bewegung begegnen uns überwiegend junge, gut gebildete Muslime, die ein Leben in den Werten moderner rechtsstaatlicher und auf die Menschenwürde bezogener demokratischer Verhältnisse bejahen, ohne deshalb mit ihrer islamisch geprägten religiösen Tradition brechen zu wollen. Das Anliegen ist ehrenhaft und Christen nicht fremd. Dass die Verbindung dieser beiden Pole noch nicht glaubwürdig gelöst ist, muss kein Hinderungsgrund für den Dialog sein. Im Gegenteil: die Dialogorientierung der Hizmet-Bewegung gibt die Möglichkeit, gemeinsam danach zu fragen, wie diese Prinzipien religiös begründet und innerislamisch vermittelt werden können. Dieses Bestreben darf freilich um der eigenen Glaubwürdigkeit willen auch nicht ausfallen. Wenn es gelänge, Gülen wirklich als „Reformer“ weiterzudenken, und nicht nur als „Konservativer“ zu verstehen, dann können darin durchaus Chancen liegen. Dies wird aber in wesentlichen Stücken die Bewegung selbst leisten müssen.

Im Umgang mit der Gülen-Bewegung ist keine Blauäugigkeit, aber auch keine Vorverurteilung angebracht, sondern ein ehrliches Miteinander in kritischer Offenheit. Voraussetzung von gelingendem Dialog ist immer, dass der eigene Standpunkt erkennbar ist.

Harald Lamprecht


Literaturhinweis zum Thema:

Friedmann Eißler (Hg.): Die Gülen-Bewegung (Hizmet).
Herkunft, Strukturen, Ziele, Erfahrungen, EZW-Text 238, Berlin 2015
Bezug über: Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen in Berlin,
Tel: 030-28395-211, http://www.ezw-berlin.de
 

Dr. Harald Lamprecht

ist Beauftragter für Weltanschauungs- und Sektenfragen der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens und Geschäftsführer des Evangelischen Bundes Sachsen.

Artikel-URL: https://www.confessio.de/artikel/333

Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 4/2015 ab Seite 06