Jüdische Gemeinde im Wandel

Eindrücke aus dem Religionsforum der TU-Dresden und einem Besuch des Evangelischen Bundes Sachsen
Die neue Synagoge der jüdischen Gemeinde in Dresden ist berühmt. Ihr Architekt hat damit nicht nur Preise gewonnen, sondern auch seine Karriere begründet. Touristen und Schulklassen besichtigen sie in großer Zahl. Aber was ist das für eine Gemeinde dahinter? Wie findet jüdisches Leben heute statt? Diese Frage muss doppelt beantwortet werden, denn es sind beinahe zwei Gemeinden, über die an dieser Stelle gesprochen werden muss.

In der DDR

Vor dem Zweiten Weltkrieg gehörten zur Dresdener jüdischen Gemeinde über 5000 Mitglieder. Nach 1945 waren es nur noch 200. Weil die Tendenz der Juden, Deutschland zu verlassen, noch weiter anhielt, schrumpfte die Gemeinde in den 1950er Jahren noch einmal um die Hälfte. Bis 1990 war die Gemeinde auf 60 Mitglieder reduziert, von denen ein erheblicher Teil nicht religiös war, wie Dr. Lappe von der jüdischen Gemeinde Dresden auf dem Religionsforum der TU Dresden am 11. Februar berichtete. Ein anderer Teil der Gemeinde hat sich lediglich an den jüdischen Feiertagen zur Gemeinde gehalten, sich ansonsten aber eher aus historischen Gründen als zugehörig gefühlt. Die wenigen in der DDR verbliebenen Juden waren recht hoch privilegiert, sie bekamen hohe Renten, die in etwa dem Einkommen eines promovierten Ingenieurs entsprachen. Andererseits hatte die DDR-Regierung ein schlechtes Verhältnis zu Israel unterstützte palästinensische Gruppen auch mit Waffen. Was die jüdische Gemeinde zusammenhielt, war in erster Linie die gemeinsame Geschichte. Überlebende des Holocaust zu sein verbindet – quer zu allen religiösen Richtungen.

Zuwanderung

Inzwischen hat die Gemeinde wieder 750 Mitglieder. Von diesen kommen knapp 700 aus der ehemaligen Sowjetunion. Sie kommen aus einer anderen Kultur, aus anderen Schichten, aus anderen Lebenssituationen. Es braucht nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, dass das Zusammenleben so verschiedener Prägungen nicht einfach ist und den Beteiligten immer wieder gewisse Mühen abverlangt. Zu DDR-Zeiten gab es die Einheitsgemeinde, welche die verschiedenen Richtungen gemeinsam betreute. Dies wird auch heute noch aufrecht erhalten. Aber es ist mit größeren Schwierigkeiten verbunden.

Von den Chancen und Problemen des Neuaufbruches mit den viele neuen Gemeindegliedern erfuhren die Mitarbeiter des Evangelischen Bundes Sachsen bei einem Besuch der jüdischen Gemeinde im März 2011.

Die mehrheitliche Umgangssprache in der jüdischen Gemeinde ist nun russisch. Mehr als 400 der Zuwanderer sind bereits im Rentenalter, da fällt das Lernen einer neuen Sprache schwer. Entsprechend wichtig ist die Sozialarbeit als Schwerpunkt der Gemeindearbeit geworden.

Die Gemeinde entfaltet Aktivitäten auf verschiedenen Ebenen. Neben der Sozialkommission ist eine Kulturkommission mit der Organisation von Konzerten und Ausstellungen befasst. Eine andere Abteilung organisiert und betreut Bildungsveranstaltungen insbesondere für Jugendliche. Da wird die Synagoge sehr intensiv frequentiert: ca. 3-5 Führungen für Schulklassen werden pro Tag (!) an 4 Tagen pro Woche durchgeführt.

Religiöse Bildung

Die Kultuskommision für die religiösen Fragen zuständig. Es ist nicht leicht, ein religiöses Leben zu etablieren, weil viele der neuen Gemeindeglieder ihren Glauben in der alten Heimat nicht leben konnten und die Bräuche daher in Vergessenheit geraten sind. Ein wesentlicher Teil der Arbeit besteht folglich in der Vermittlung religiöser Grundkenntnisse. Ein kürzlich zweisprachig (deutsch/russisch) gehaltener Vortrag über koschere Regeln sei gut angenommen worden, wird uns berichtet. Montags gibt es Religionsunterricht in Talmud und Mischna, denn ohne Unterricht kann das Judentum nicht existieren. Aller drei Wochen ist der Landesrabbiner da, der neben Dresden auch noch Chemnitz und Leipzig betreut und die Gemeinden abwechselnd besucht. Insgesamt sind es ca. 3000 Juden in Sachsen. Wenn der Rabbiner da ist sowie an Feiertagen ist auch der Gottesdienstbesuch zufriedenstellend.

Orthodox oder liberal

In den Ländern der ehemaligen Sowjetunion kommt es ebenfalls zu einer vorsichtigen Wiederbelebung des Judentums. Allerdings sind die orthodoxen Bewegungen schneller und engagierter als die liberalen Strömungen. Insbesondere Chabad Lubawitsch gewinnt dort Anhänger.

Auch in Dresden ist Chabad Lubawitsch aktiv geworden und hat eine eigene Synagoge mit jüdischem Kindergarten eingerichtet. Allerdings ist der Rabbiner von Chabad Lubawitsch auch Mitglied der Einheitsgemeinde. Man kann Chabad Lubawitsch wohl eher mit einer pietistisch-mystischen Erweckungsbewegung vergleichen als mit einer eigenen Konfession.

Es bleibt viel zu tun für die Mitglieder der jüdischen Gemeinde – sowohl im Blick auf die Integration als auch auf die religiöse Bildung und den Zusammenhalt der Gemeinde.

Harald Lamprecht

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Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 2/2011 ab Seite 17