Erlösung durch Kultivierung

Falun Gong und asiatische Religiosität

Derzeit sind die Medien voll von Mitteilungen über die chinesische Meditationsbewegung „Falun Gong“. Der friedliche, gewaltfreie Widerstand gegen die weithin verhasste kommunistische Regierung in China verschafft der Bewegung viele Sympathien. Die Opferrolle erinnert manchen an eigene Vergangenheit in schweren Zeiten ideologischer Bevormundung. Die Woge der Anteilnahme am Schicksal der unschuldig verfolgten Anhänger mischt sich mitunter mit Begeisterung für diesen Kult, dem es gelingt, durch Sanftmut die chinesischen Behörden zur Raserei zu bringen. Dieses Bild scheint durch nichts getrübt – es gibt keine undurchsichtigen finanziellen Machenschaften, keine gewaltsamen Ausbrüche selbstherrlicher Intoleranz, selbst gegenüber den Gegnern und Peinigern wird Sanftmut und Nachsicht empfohlen. 

Mancher fragt sich vielleicht, ob denn diese wundersame neue Methode aus China auch für ihn einen Nutzen bringen könnte und was es damit auf sich hat. 

Meditation oder Religion?

Falun Gong versteht sich selbst als eine Meditationsbewegung, als eine ganzheitliche Methode für die weitere Entwicklung von Körper und Geist, nicht als eine Religionsgemeinschaft. Dass in den meditativen und gymnastischen Übungen allerdings fernöstliche religiöse Anschauungen Gestalt gewinnen, ist nicht zu leugnen. 

Falun Gong stellt eine Abspaltung von dem chinesischen Qui-Gong dar. Dessen Grundanschauungen spielen auch im Falun Gong eine wichtige Rolle. Dazu gehört die Vorstellung, dass die „Lebensenergie“ (das „Qi“) auf bestimmten Bahnen (den Meredianen) den Körper durchströmt und dabei Energieknotenpunkte („Chakren“) aktiviert. Aus taoistisch-buddhistischen Wurzeln kommt die Vorstellung eines „dritten“ bzw. „Himmelsauges“ zwischen der Stirnmitte und der Nasenwurzel, das durch die sog. „Kultivierung“ des Menschen für die Einstrahlung der göttlichen Lebensenergie geöffnet werden kann. 

Kultivierung mit Gymnastik

Die „Kultivierung“ ist ein wesentliches Anliegen von Falun Gong. Kultivierung hebt den Menschen auf ein höheres spirituelles Niveau. 

Dazu dienen zunächst fünf einfache gymnastische Übungen, die aber mit einer starken spirituellen Bedeutung unterlegt werden. In einem Artikel der Zeitschrift „Esotera“ vom August 1997 werden die 5 Übungen des Falun Gong mit ihren Bedeutungen beschrieben. 

Wundersame Heilwirkungen

Diesen schlichten Übungen werden erstaunliche Wirkungen zugeschrieben. Manche Anhänger berichten von spektakulären Heilungserfolgen – ein Phänomen, wie es ähnlich gegenwärtig in vielen neureligiösen Bewegungen zu beobachten ist, seien es nun die Mitglieder des Bruno–Gröning–Freundeskreises, die Anhänger der Transzendentalen Meditation oder die Leser von Peter Kelders „Die fünf Tibeter“. 

Begründet werden die Heilungen im Rahmen der chinesischen Qi-Vorstellung mit durch die Übungen angeregten Energieflüssen. „Falun Gong bewirkt eine verbesserte Energiezirkulation im sogenannten Kleinen Himmelskreis (ein Energiefluß, der den Körper vertikal um– bzw. durchfließt). Dadurch werden alle Qi Kanäle wie die Akupunktur–Merediane geöffnet und können mehr Energie aufnehmen und transportieren“, so der Begründer des Falun Gong, Li Hongzhi, in seinem Buch „Der Chinesische Falun Gong“.

Durch die Übungen sollen sich die Energiebahnen bis zur Auflösung erweitern, so dass sie eine einzige Energiehülle um den Körper bilden. Dadurch – so erwarten es die Anhänger – erhalten sowohl die einzelnen Körperzellen als auch der gesamte Stoffwechsel mehr „Licht–Energie“ aus dem Kosmos. Auf solche Weise sollen durch verstärkten Energiefluss energetische Blockaden, die als die eigentliche Ursache vieler Krankheiten gelten, aufgelöst und dadurch Heilungen bewirkt werden. 

Spirituelle Kultivierung

Diese körperlichen Heilungen gelten aber nur als Nebeneffekt auf dem Weg der wahren spirituellen Kultivierung, der Kultivierung der geistigen Natur (Xingxing). Dazu wiederum dient das Befolgen einer Reihe von Regeln, die in den Prinzipien Wahrhaftigkeit (Zhen), Barmherzigkeit (Shan) und Nachsicht (Ren) zusammengefaßt sind. 

Eine solche spirituelle Kultivierung hat erlösende Funktion, sie soll zur Unsterblichkeit führen. Unsterblichkeit ist aber im Taoismus eine Metapher für den Zustand der Erleuchtung, des Einssein mit dem Kosmos. Dieser Hintergrund ist aus den Lehraussagen nicht immer zu erkennen, ja man gewinnt mitunter den Eindruck, es werden bewusst falsche Hoffnungen geweckt, wenn es z. B. heißt, Praktizierende würden „ewig jung bleiben“. Die Regeln für den Kultivierungsweg sollen das Leben der Anhänger von Begierden reinigen. Rauschmittel, Fleisch, außerehelicher Sex etc. sollen vermieden werden.

Der Gründer

Zentral ist die Stellung des Gründers Li Hongzhi. Von seinen Anhängern wird er ehrwürdig „Meister“ genannt, und kaum eine Falun Gong–Webseite kommt ohne Zitate von ihm aus. Seine Biographie wurde – nicht ohne seine Mitwirkung – zu einer Heiligenlegende ausgestaltet. Geboren wurde er am 7. Juli 1952, angegeben wird aber der 13. Mai 1951 – der 13. Mai gilt als der Geburtstag des Buddha Shakyamuri. Auch seinen Namen änderte er von Li Lai zu Li Hongzhi und stellte sich damit in eine Reihe mit heilsbringenden Führergestalten der chinesischen Geschichte. Bereits in früher Kindheit soll er die wesentlichen Lehren vermittelt und durch seine hohe Kultivierungsstufe übernatürliche Fähigkeiten bekommen haben. Wundergeschichten um ihn sind darum nicht selten.

1992 gründete er Falun Gong, das bis zur Verfolgung durch die chinesischen Behörden 1996 von der chinesischen Qigong-Vereinigung als eigener Zweig anerkannt war. Die Bewegung wird von ihm aus seinem amerikanischen Exil, in das er 1998 geflohen ist, zentralistisch geleitet. An seiner absoluten Autorität wird kein Zweifel gelassen. Es ist streng untersagt, eigene Dinge in den Kultivierungsweg zu mischen, jede Abweichung wird als Sabotage kritisiert. Die Lehre soll nicht interpretiert, sondern nur aufgenommen werden. Die zu beobachtende vollkommene Gläubigkeit gegenüber den Mitteilungen des „Meisters“ stellt, insbesondere im Blick auf die Verheißungen dessen, was in höheren Kultivierungsstufen erreicht werden könne, ein Problem dar. „‚Unerreichte‘ Wirkungen und Qualitäten können zum Machtinstrument werden, indem sie auf den angeblich unzureichenden ‚Kultivierungsweg‘ des Übenden gemünzt werden: Psychischer Druck und Schuldgefühle können entstehen.“ 

Eskalation

Die jüngsten politischen Entwicklungen lassen Einfluss und Stellung des „Meisters“ noch kritischer erscheinen. Während in China der Konflikt eskaliert, verkündete nun Li Hongzhi Anfang des Jahres, dass das Prinzip „Nachsicht“ auch eine Grenze habe und ruft zum Widerstand gegen das Böse auf. In der Süddeutschen Zeitung hieß es dazu: 

„Der ehemalige Trompeter und selbsternannte Weltenretter Li Hongzhi wird immer mehr zur Gefahr für seine ihm blind folgenden Anhänger. Dass er sie aufruft, sich ‚von weltlichen Bindungen (inklusive dem menschlichen Körper)‘ zu lösen, hat nach den Selbstverbrennungen einen makabren Beigeschmack, mag aber noch als alte buddhistische Lehre durchgehen. Dass er den Gefolgsleuten jedoch – vom gemütlichen Exil in Amerika aus – den öffentlichen Auftritt befiehlt (‚vorzutreten ist eine Notwendigkeit‘) ist Zynismus angesichts der Hexenjagd im Polizeistaat China. … Offensichtlich braucht seine krause Lehre Märtyrer, und der Meister hat keine Skrupel, seine Schafe noch dazu zu ermuntern, an die Schlachtbank zu ziehen.“ 

Fazit

Bei Falun Gong handelt es sich um einen hochgradig methodisierten Heilsweg, der seinen „Praktizierenden“ materielle (Gesundheit, Jugend) und spirituelle (Kultivierung, Erlösung) Erfolge verspricht. Die dominante Rolle des Gründers muss dabei kritisch betrachtet werden. Aus christlicher Sicht ist darauf hinzuweisen, dass die hier angestrebte Selbsterlösung nicht gelingen kann. Auch wenn die Anhänger dies bestreiten mögen: Falun Gong ist nicht nur Meditation, sondern eine eigene (nichtchristliche) Religionsbewegung mit eigenem Heilsanspruch. 

Harald Lamprecht 1/2001


Die fünf Übungen des Falun Gong

Die erste Übung, genannt „Buddha streckt eintausend Hände aus“, umfaßt verschiedene Streckungen und plötzliche Entspannungszustände des Körpers. Dadurch sollen die Meridiane des Körpers geöffnet werden, was man in Form von Wärme- und Hitzegefühlen am ganzen Körper spüren kann. 

In der zweiten Übung („Gebotsrad-Pfahlstellung“) hält man die Arme in vier verschiedenen Positionen in Form eines Kreises. Dadurch wird die Durchblutung verstärkt und die Meridiane werden weiter geöffnet und „gereinigt“. Diese Übung ähnelt den aus Qi-Gong-Techniken bekannten „Pfahlstellungen“. 

Während der dritten Übung („Verbinden von Himmel und Erde“) werden das Qi des Kosmos und des Körpers miteinander „vermischt“, negatives Qi wird abgegeben und kosmisches Qi aufgenommen. Sie besteht aus einfachen Auf- und Abwärtsbewegungen der Arme. 

Die vierte Übung („Gebotsrad-Himmelskreis“) bringt die Energie im menschlichen Körper zum großflächigen Fließen. Dazu streicht man mit den Handflächen in geringem Abstand an der Vorder- und Rückseite des Körpers im Bereich der Energiemeridiane entlang. 

Während die ersten vier Übungen im Stehen ausgeführt werden, führt man die fünfte und letzte Übung (genannt „Verstärkung der übernatürlichen Kräfte“) im Sitzen (im sogenannten Lotussitz) aus. Sie ist eine Kombination aus Bewegen und Halten der Arme (das sogenannte „Drehen des Gebotsrades mit der Gebärde Buddhas“) und meditativer Versenkung. Diese Übung gehört zum traditionellen Kanon ursprünglich nur geheim praktizierter spiritueller Techniken. Sie sind nur Buddhisten mit einer besonderen Einweihung bekannt. Die Übung verstärkt den Strom des Qi in hohem Maß, und das Energiefeld des Körpers, die Aura, wird ausgedehnt. 

(Quelle: Ulrich Arndt: Der geistige Pfad des Falun Gong, in: Esotera 8/97)

Dr. Harald Lamprecht

ist Beauftragter für Weltanschauungs- und Sektenfragen der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens und Geschäftsführer des Evangelischen Bundes Sachsen.

Artikel-URL: https://www.confessio.de/artikel/1008

Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 1/2001 ab Seite