Mission mit Märtyrern

Falun Gong benutzt die Verfolgung in China exzessiv als Werbeargument

China boomt. Die Wirtschaft richtet sich immer stärker darauf ein, den wachsenden Markt in Fernost nicht zu übersehen. Auch in religiöser Hinsicht sind Elemente aus Asien hoch im Kurs und als Exportschlager anzusehen. Qi Gong und Tai Chi, Feng Shui und andere Elemente asiatischer Harmonielehren haben Volkshochschulen und Entspannungskurse, Heilpraktikerschulen und Esoterikläden erobert. Während die meisten dieser Angebote sich in die breite Beliebigkeit moderner Wellness-Angebote einsortieren lassen und individuell selektiv und ergänzend eingesetzt werden, fällt eine Gruppe etwas aus dem Rahmen: Falun Gong. Die Gruppe ist in Europa vergleichsweise klein, aber um so engagierter und entschiedener in ihrer Mission. Zudem ist sie strukturell keineswegs die einfache Meditationsbewegung, als die sie sich in der Öffentlichkeit gern darstellt, sondern trägt mehr Anzeichen einer effektiv organisierten und koordinierten Gemeinschaft. Dies hängt damit zusammen, dass ihr von ihrem Gründer und Führer Li Hongzhi in dem Grundlagenwerk „Zhuan Falun“ eine klare, exklusiv gestaltete Vision unermesslicher Erkenntnis gegeben wurde, zu deren Erlangung aber Unterordnung und Hingabe gefordert wird.

 

Verfolgung in China

In ihrem Ursprungsland China wurde die Falun-Gong-Bewegung von der kommunistischen Regierung zum Staatsfeind erklärt. Ihre Mitglieder sind harten Verfolgungen ausgesetzt. Es gibt viele erschütternde Berichte über die Missachtung der Menschenrechte durch den chinesischen Staat. Dies betrifft nicht nur Falun-Gong-Anhänger. Auch Christen, sofern sie sich nicht nur in den systemtreuen Kirchen engagieren, haben Verfolgungen zu erleiden. Doch zeigt sich, dass die Falun-Gong-Bewegung in besonders extremer Weise zum Opfer einer irrationalen Angst der chinesischen Regierung vor unkontrollierbaren Verhältnissen geworden ist. Mit dem Bekennermut und der Leidensbereitschaft der Falun-Gong-Anhänger weiß die Regierung offensichtlich nicht umzugehen und empfindet jede Lebensäußerung von Falun Gong als Provokation. Dem korrespondiert, dass es den Falun Gong-Anhängern mit großem Engagement gelungen ist, eine gewisse Lobby in Europa aufzubauen, die immer wieder auf die schreckliche Situation in China hinweist und zahlreiche Einzelschicksale vorführt.

Instrumentalisierung der Märtyrer?

Der Umfang, in dem diese Aufklärungsarbeit geschieht, hinterlässt den schalen Beigeschmack, dass hier das Leiden der Menschen in China zur Werbung für die eigene Organisation instrumentalisiert wird. Das Unrecht, das diesen Menschen in China zugefügt wird, dient mittelbar dazu, quasi einen Bonus für diese Organisation in Europa zu rechtfertigen. Zumindest psychologisch funktioniert diese Nummer auch in anderen Zusammenhängen: Wer zu unrecht leidet, erwirbt Mitgefühl und Sympathie. Auf genau diesen Bonus scheint es die Falun-Gong-Bewegung in ihrer exzessiven Öffentlichkeitsarbeit abgesehen zu haben.

Breite Präsenz

Bei öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen (z.B. beim Stadtfest in Dresden) werden Stände aufgebaut. In Universitäten und Bäckereien werden Schriften ausgelegt. Im Sächsischen Landtag wurde eine Kunstausstellung unter dem Falun-Gong-Motto „Wahrhaftigkeit, Barmherzigkeit, Nachsicht“ (Zhen, Shan, Ren) organisiert, die Bilder von Folteropfern in China zeigte. Der deutsche Verein für Kunst und Menschenrechte e.V. „Ars Honesta“ verschickte im Juli 2007 Briefe mit dem Aufruf zum Boykott der Olympischen Spiele in China 2008 und zur Beteiligung an einem Fackellauf für Menschenrechte, der von der internationalen Organisation CIPFG („Coalition to Investigate the Persecution of Falun Gong in China“) organisiert wird. In der mit diesem Brief verschickten Broschüre der CIPFG werden Bilder von ausgemergelten Häftlingen, Verbrennungsöfen in China und Auschwitz und friedlichen Falun-Gong-Praktizierenden im Freien einander gegenübergestellt. Zum Schluss wird aus einer Rede des Vizepräsidenten des EU-Parlamentes bei einer Falun-Gong-Kundgebung in Berlin zitiert, „dass alle Regierungen Falun-Gong-Praktizierende unterstützen sollten“.
Auch zum Tag der Sachsen in Reichenbach hatte sich eine Gruppe von 150 Falun-Gong-Anhängern angemeldet, die in Kostümen beim Festumzug mitwirken wollten - angesichts von schätzungsweise 20-30 Mitgliedern in Sachsen eine erstaunliche Zahl. Als dieses Anliegen von der sächsischen Staatskanzlei abgelehnt wurde, weil bei dem Festumzug ohnehin nicht alle angemeldeten sächsischen Heimatverbände berücksichtigt werden konnten, reagierte der Falun-Dafa-Verein mit Unverständnis, argwöhnte eine Beeinflussung durch die Chinesische Botschaft und beschrieb erneut die Situation der Verfolgung in China mit tragischen Einzelschicksalen. Es drängt sich der Eindruck auf, dass die schrecklichen Leiden der Menschen in China zum universellen Türöffner in Europa werden sollen, um Falun Gong einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen.

Exklusiver Kultivierungsweg

Religionsgeschichtlich gesehen ist Falun Gong eigentlich ein Zweig des Qi Gong. Aber Li Hongzhi hat dem Falun Gong eine exklusive Sonderstellung zugedacht und beansprucht, als Einziger diesen Kultivierungsweg zu den „hohen Ebenen“ zu lehren, während alle anderen lediglich die niedrigen Ebenen bearbeiten würden: „Sowohl im Inland als auch im Ausland bin ich zur Zeit der Einzige, der wirklich einen Kultivierungsweg zu hohen Ebenen verbreitet.“1 Welcher Art diese „hohen Ebenen“ sind, wird bereits im Vorwort deutlich: „Fofa ist die tiefgreifende Einsicht in alle Geheimnisse, von Teilchen, vom Molekül bis zum Kosmos, vom noch Kleineren bis zum noch Größeren, alles ist eingeschlossen, nichts ausgelassen.“ Der Anspruch ist umfassend und exklusiv: „Das, was seit ewigen Zeiten sowohl jeden Raum, in dem die Menschheit und die Materie existieren, als auch das Leben und das ganze Universum auf vollkommene Weise erklären kann, ist ausschließlich das ‚Fofa‘.“ Es ist verständlich, dass bei solcher Perspektive die Gesundheitsübungen des Qi-Gong als lediglich niedere Vorstufe auf dem Kultivierungsweg des Falun Gong betrachtet werden. Falun Gong ist keine Heilungsbewegung, das Heilen ist den Praktizierenden sogar verboten. Gesundheit wird hier als Begleiterscheinung für alle ernsthaft Praktizierenden versprochen: „Hier bei uns wird kein Qi geübt. Die Dinge auf den niedrigen Ebenen brauchst du nicht mehr zu üben, wir schieben dich über sie hinweg und lassen deinen Körper den krankheitsfreien Zustand erreichen.“2 Ein wahrhaft Praktizierender, der seine „Xingxing“ kontinuierlich erhöht hat, sei durch das Falun und die Hilfe des Meisters z.B. auch vor schweren Unfällen geschützt, verspricht Li Hongzhi.3 Markant für das elitäre Verständnis des eigenen Weges ist auch die sprachliche Unterscheidung zwischen den oft abschätzig bezeichneten „gewöhnlichen Menschen“ und den Praktizierenden des Falun Gong.

Der unangefochtene Meister

„Meister“ Li Hongzhi achtet streng darauf, dass ihm seine Position niemand streitig macht. Der Weg ist von ihm festgelegt und nur in dieser Form darf er verbreitet werden. Keinerlei persönliche Ergänzungen oder eigene Erklärungen sind dabei erlaubt - nur das Wort des Meisters zählt, denn nur er habe wirklich die hohen Ebenen kultiviert. Nur er darf Geld für seine Vorträge nehmen. Nur er kann den Falun in die Körper einsetzen. Er kann das Karma für seine Schüler beseitigen. Er kann die Praktizierenden „erlösen“. Das gilt aber nur für ihn, nicht für seine Schüler, auch nicht für die Besten: „Zugleich dürfen die Schüler, die Falun Dafa verbreiten, nicht ‚Lehrer‘ oder ‚großer Meister‘ und so weiter genannt werden, es gibt nur einen Meister des Dafa.“4 In China mag eine solche ausgeprägte Schüler-Meister-Beziehung Tradition sein - eine solche Selbstüberhöhung eines Menschen ist aber stets in ihrer Berechtigung anzufragen.
Hingabe und Opferbereitschaft
Es ist nachvollziehbar, dass solch hohe Ziele ihren Preis haben. „Ohne Verlust kein Gewinn“ heißt der von Li Hongzhi oft zitierte „Grundsatz des Kosmos“. Nicht Macht, Einfluss und finanzieller Gewinn sollen die Ziele der Praktizierenden sein, sondern die persönliche Vervollkommnung, die Verbesserung der Qualität des Herzens (Xingxing) durch die Beachtung der drei Grundsätze Wahrhaftigkeit, Barmherzigkeit und Nachsicht. Zur Erhöhung der Kultivierungsenergie gehört auch das Ertragen von Leiden. Dies soll helfen, das Karma abzubauen und erklärt die erstaunliche Hingabe und Opferbereitschaft, mit der viele Falun-Gong-Anhänger trotz der harten Verfolgungen in China zu ihrem Bekenntnis stehen.

Fazit

Eine zusammenfassende Beurteilung fällt nicht leicht. Die Darstellung der chinesischen Regierung, Falun Gong sei eine aggressive Sekte mit menschenfeindlichen Tendenzen, ist mit Sicherheit überzogen. Weder in Europa noch in China sind schwere Konfliktfälle, nachgewiesen, die eine Verfolgung oder Unterdrückung rechtfertigen könnten. Im Gegenteil: die moralischen Maßstäbe der Bewegung, die durch die Begriffe „Wahrhaftigkeit, Barmherzigkeit, Nachsicht“ geprägt werden, können durchaus positive Wirkung auf das Zusammenleben haben. Das bedeutet aber auf der anderen Seite nicht, dass Falun Gong nur eine schlichte Meditationsgruppe auf dem Esoterikmarkt und über jegliche Kritik erhaben wäre. Der Führungsanspruch von Li Hongzhi, der im Zhuan Falun niedergelegte exklusive Heilsanspruch und das bemerkenswerte Engagement der Anhänger stellen Falun Gong in eine Reihe mit anderen neuen religiösen Bewegungen wie z.B. die Neuapostolische Kirche, den Bruno-Gröning-Freundeskreis oder die Anhänger von Sri Chinmoy. Für sie gilt wie für alle anderen in Deutschland Religionsfreiheit: sie dürfen sich versammeln und für ihre Ideen werben, auch wenn ihnen von christlicher Seite zu widersprechen ist. Dass ihnen dieses Grundrecht in China verwehrt wird, rechtfertigt aber keine Sonderbehandlung oder Freistellung von Kritik und inhaltlicher Auseinandersetzung in Europa.
Das Unrecht in China gehört allerdings immer wieder auf die politische Tagesordnung, ohne Beschränkung auf, aber mit Einschluss von Falun Gong.

Harald Lamprecht

 

Artikel-URL: https://www.confessio.de/artikel/46

Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 4/2007 ab Seite 05