Faszination Buddhismus

Warum ist der Buddhismus so populär?
Unter den großen Weltreligionen wird dem Buddhismus gegenwärtig in Deutschland ein hohes Maß an Sympathie entgegengebracht. Auch wenn die Zahl seiner festen Anhänger noch vergleichsweise gering ist und diese sich als Vorreiter und Pioniere empfinden - das Interesse am Buddhismus geht weit über die Kreise formaler Mitgliedschaften hinaus. Selbst diese werden immer mehr: auf über 100 Buddhistische Gruppen mit etwa 100 000 Anhängern schätzt der Buddhistische Dachverband Diamantweg den deutschen Buddhismus - wohlgemerkt ohne Buddhisten asiatischer Abstammung.1 Der Religionswissenschaftliche Medien- und Informationsdienst geht von 40 000-50 000 deutschen Buddhisten aus.2 Hält man dagegen, dass von den ca. 3,2 Mill. Muslimen in Deutschland lediglich 11 200 deutschstämmig sind,3 so ergibt sich für den Buddhismus ein um den Faktor 5-10 größerer Missionserfolg als für den Islam.

Galionsfigur des die westlichen Meere befahrenden Buddhismusschiffes und unbestreitbar bekanntester Sympathieträger ist der Dalai Lama. Nicht nur die verzerrte Berichterstattung über den Ökumenischen Kirchentag (vgl. Confessio 3/2003, 16), auch die Werbeaktion der Bildzeitung im Juni 2003 hat es deutlich gemacht: Der Dalai Lama zieht beträchtliche Aufmerksamkeit auf sich.

Warum ist das so? Warum übt gerade der Buddhismus eine solche Faszination auf die Mitteleuropäer aus? Verschiedene Aspekte können dabei eine Rolle spielen:

Gottlose Religion

Gerade die Tatsache, dass der traditionelle Buddhismus eine Religion ohne Gott ist, kommt offenbar dem religiösen Suchen eines modernen westlich geprägten Menschen entgegen. Sie ermöglicht es, sich über einen platten Materialismus zu erheben, ohne darum ein großes übermächtiges Gotteswesen als Einschränkung der eigenen Autonomie annehmen zu müssen. Der Buddhismus ist für manche seiner westlichen Sympathisanten deshalb auch weniger eine Religion, zu der man sich bekennt, als vielmehr eine individuelle Lebensphilosophie, die zunächst in einzelnen Elementen übernommen, erprobt und quasi Bausteinweise in das eigene Weltbild eingefügt wird.

Menschliche Autonomie

Wo es keinen Gott gibt, kommt dem Menschen selbst die alleinige Verantwortung für sein Leben und sein Schicksal zu. Diese Überzeugung verbindet viele säkularisierte Zeitgenossen, und der klassische Buddhismus liefert ihr eine religiöse Bestätigung. Das Leid in der Welt, Unglück über das eigene Schicksal - kein ferner „lieber“ Gott muss dafür verantwortlich gemacht werden, sondern was einem Menschen widerfährt, ist nur gerecht: Ausgleich für seine Schuld in früheren Leben.

Obwohl sich der Mensch also faktisch unfrei erfährt, eingebunden in viele Zwänge und Beschränkungen seines Schicksals, versucht er über die Idee von Reinkarnation und Karma seine Autonomie zu retten. Die Freiheit des Individuums zählt offenbar mit zu den größten Werten westlicher Gesellschaften. Buddhismus wird hier demzufolge meist als Religion des Individuums aufgefasst.

Friedliche Religion

Häufig hört man das Argument vom Buddhismus als der friedlichsten Religion. In der Tat: wegen seiner Grundhaltung zur Vermeidung von Leid ist die Ausbreitung des Buddhismus im Wesentlichen gewaltfrei erfolgt - keine andere Weltreligion kann dies so für sich in Anspruch nehmen.

Insbesondere der Dalai Lama als Person steht für diesen Charakter der friedlichen Religion. Den Friedensnobelpreis erhielt er 1989 für seine Bemühungen um eine friedliche Lösung der Streitigkeiten mit China um die Besetzung Tibets verliehen. Seine ausgleichende Position im Verhältnis der Weltreligionen zueinander spricht vielen aus dem Herzen. Die grundlegende Friedlichkeit des Buddhismus ist jedenfalls anzuerkennen. Ob damit zugleich eine gerechtere Gesellschaft verwirklicht wird, ist eine ganz andere Frage. Immerhin war der Dalai Lama in Tibet eine Art „Gottkönig“, also religiöser und politischer Herrscher in einem.

Angepasste Exotik

Kein Trend ohne Gegentrend: Es ist nicht nur die Anpassung an moderne westliche Lebensauffassungen, die den Buddhismus interessant macht, sondern auch das Gegenteil davon: seine Exotik. Das Christentum erscheint manchen demgegenüber langweilig, das meinen sie zu kennen, da sie ja in einer christlich geprägten Kultur aufgewachsen sind. Buddhismus - da schwingt die große ferne Welt mit, Asien und Tibet, Indien und Japan mit ihren schillernden Gegensätzen und ihren jahrtausendealten Traditionen kommen in den Sinn. Ob dort nicht noch größere Weisheiten zur Lösung der Menschheitsprobleme verborgen liegen, die nur gehoben (d.h. meist: verinnerlicht) werden müssen? Dass gerade der Tibetische Buddhismus zu den im Westen am meisten nachgefragten Richtungen gehört, liegt wohl nicht nur am Dalai Lama, sondern auch seiner schillernden und exotischen Buntheit.

Plakat mit Ole NydahlWenn es lebenspraktisch wird, ist allerdings das Interesse an der Exotik doch deutlich gebremst. Mit Abstand erfolgreichster buddhistischer Lehrmeister im Westen ist Lama Ole Nydahl, der in seinen Zentren des „Diamantweg-Buddhismus“ der Karma-Kagüy-Linie das sonst übliche tibetischen Interieur gründlich ausgeräumt hat. Statt dessen lehrt er einen auf moderne westliche Bedürfnisse reduzierten „Buddhismus-Light“. Nicht asketisch wie seinerzeit Siddharta Gautama, sondern voll im Leben stehend mit Spaß an Abenteuer (Fallschirmspringen), schnellen Autos und schönen Frauen (von denen sich Ole Nydahl gern mit einem ganzen Schwarm umgibt), dazu noch eine Prise Spiritualität und Selbstfindung aus der Weisheit des Buddhismus - so steht Ole Nydahl selbst als markanter Vertreter einer neuen selektiven Religionsaneignung, die offenbar besonders in der jüngeren Generation sehr gut ankommt.

Meditativ anspruchslos

Ein fünfter Aspekt, der möglicherweise zur Attraktivität des Buddhismus beiträgt, ist seine zunächst niedrige Zugangsschwelle über die Meditation. Als zentrale religiöse Übung im Buddhismus ist sie dennoch auch Christen nicht fremd, ja sogar Atheisten können in der Meditation einen Weg zu Ruhe und Neubesinnung finden. Unterschiedlich sind freilich die Inhalte und Ziele der Meditation.

Alle diese Punkte sind lediglich Versuche zu erfassen, was am Buddhismus für Menschen in Deutschland interessant sein könnte. Individuell können die Motive und Zugangswege natürlich völlig verschieden aussehen. So unterschiedlich sind dann auch die jeweiligen Engagements in den einzelnen Richtungen des Buddhismus.

Harald Lamprecht

3. gemäß Umfrage des Islam-Archiv Deutschland (Soest), zit. n. Idea 47, 23. 4. 2001.

Artikel-URL: https://www.confessio.de/artikel/74

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Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 4/2003 ab Seite 04