Dein Gott und mein Gott

Zum Verhältnis der Religionen aus christlicher Sicht

 

Religiös gemischte Partnerschaften sind immer ein Wagnis. Gewiss: jede Partnerschaft ist ein Wagnis. Werden wir es miteinander aushalten? Wie kommen wir durch Krisen und Gewöhnung? Trägt die gemeinsame Basis? Diesen Fragen muss sich jedes Paar stellen. Wenn die Partner aber sehr verschiedene religiöse Grundüberzeugungen haben, dann ergeben sich über das sonstige Maß hinaus noch vielfältige Möglichkeiten für Spannungen und Meinungsverschiedenheiten. Diese lassen sich nicht immer leicht lösen. Sie machen das Leben komplizierter. 

 

Religiös gemischte Partnerschaften sind zugleich Hoffnungszeichen. Sie sind Beispiele, die unsere Welt braucht. Sie zeigen uns, dass es möglich ist, sich trotz verschiedener religiöser Überzeugungen und Lebensweisen gegenseitig als Menschen zu akzeptieren, ja mehr noch: sogar zu lieben. In einer Zeit, in der immer mehr vom Kampf der Kulturen gesprochen wird, wo religiöse Verschiedenheiten zu politischen Gegnerschaften ausgebaut werden, sind solche Beispiele eine wichtige Ermutigung. 

 

Religiöse Toleranz als Aufgabe

Das Zusammenleben erfordert Kompromisse. Aus theologischer Sicht stellt sich die Frage: wie weit können diese Zugeständnisse gehen? Wo verläuft die Grenze zwischen notweniger Bewahrung des Eigenen und Offenheit für den Anderen? 

Kann man denn überhaupt in Fragen der Religion Kompromisse zulassen? 

Es gehört in gewisser Weise zu den besonderen Eigenheiten des Protestantismus, diese Frage eher zu verneinen und die Bindung des individuellen Gewissens an die religiöse Wahrheit höher anzusetzen als die Bindung an die bestehende Gemeinschaft. Nicht zuletzt aus diesem Grund entstanden und entstehen noch so viele verschiedene Denominationen innerhalb des protestantischen Archipels. Die Wahrheit erfordert Trennung vom Irrtum. Der Separatismus ist darum mitunter eine unerfreuliche Nebenwirkung protestantischer Wahrheitssuche. Partnerschaften, die bewusst diese Grenzen überschreiten, zeugen darum von Mut. Sie sind gelebte Zeichen religiöser Toleranz. Dies ist viel schwerer als religiöse Indifferenz, die es einfach nicht so genau nehmen will. Warum dies so ist und worin die eigentliche Herausforderung der so notwendigen religiösen Toleranz besteht, will ich im folgenden aus der Sicht eines evangelischen Theologen beleuchten. 

 

Konfession, Religion und Kulturprägung

Jede der großen Religionen hat im Verlauf ihrer langen Geschichte verschiedene Richtungen ausgeprägt, die sich in ihrem äußeren Erscheinungsbild, in ihren Riten und Gewändern, Bräuchen und Lebensweisen z. T. beträchtlich voneinander unterscheiden können. Das orthodoxe Mütterchen auf dem Roten Platz in Moskau hat äußerlich sehr wenig mit einem amerikanischen Fernsehprediger gemeinsam. Dennoch gehören beide zum Christentum und sind - trotz aller Unterschiede - in grundlegenden Anschauungen ihrer Religion einig. Was sie trennt sind Prägungen, die auch auf ihre verschiedenen Kulturen zurückgehen. Überall auf der Welt haben die lokalen Kulturen und Gewohnheiten auch die Religionen nachhaltig beeinflusst. Die Mischung aus Kultur und Religion ist nachträglich meist kaum aufzulösen, wie es z.B. die Diskussion um das muslimische Kopftuch zeigt. 

Ein deutscher Buddhist und eine deutsche Christin können – obwohl ihre Religionen grundlegend verschieden sind –  in ihrer praktischen Lebensgestaltung einander viel ähnlicher sein und besser miteinander auskommen als z.B. eine deutsche Katholikin mit einem Angehörigen einer nigerianischen Pfingstkirche, obwohl diese zur gleichen Religion gehören. Dieser äußere Befund darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass aus theologischer Sicht ein deutlicher qualitativer Unterschied zwischen dem Verhältnis der verschiedenen Konfessionen innerhalb des Christentums untereinander und dem Christentum zu anderen Weltreligionen besteht. Trotz aller Differenzen in einzelnen theologischen Punkten und möglicherweise den praktischen Fragen der Lebensgestaltung sind sich die Christen der verschiedenen Konfessionen in den grundlegenden Fragen des Glaubens einig. Der Glaube daran, dass Jesus als Gottes Sohn zur Erlösung der Menschheit am Kreuz gestorben und auferstanden ist, eint sie mehr, als Kultur und konfessionelle Differenzen zu trennen vermögen. In anderen Religionen ist dies ähnlich. Auch wenn sich Sunniten und Schiiten z. T. heftig gegenseitig bekriegen, sind sie sich doch in ihrem grundsätzlichen Anliegen einig, die Einzigkeit Gottes wie sie Mohammed verkündet hat, in der Welt zu bezeugen. Ebenso suchen auch Buddhisten, ob nun im Theravada auf dem entbehrungsreichen Weg des Mönchtums oder mit den archaischen Ritualen des tibetischen Buddhismus oder in der Meditation eines Managers in Tokio die „Anhaftungen“ der Gier nach Werden und Vergehen zu überwinden. Diese Gemeinsamkeit im Grundlegenden schafft eine Verbindung trotz äußerlicher Verschiedenheit zu den anderen Richtungen der eigenen Religion, aber eine Distanz trotz ggf. bestehender äußerlicher Nähe zu anderen Religionen. Das, was für die Ökumene der verschiedenen christlichen Kirchen auf der Welt gilt: dass sie sich als verschiedene Zweige eines Baumes mit einer gemeinsamen Wurzel und einem gemeinsamen Ziel verstehen können, lässt sich darum nicht ohne Weiteres auf das Verhältnis der Weltreligionen zueinander übertragen. Eine gleichgeartete „Ökumene der Religionen“ nach dem Vorbild der christlichen Ökumene der Kirchen kann es folglich nicht geben. Das bedeutet nicht, dass die Religionen darum nichts anderes könnten, als sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen. Religiöse Toleranz ist für das Zusammenleben unverzichtbar. Aber es meint, dass man die verschiedenen Richtungen der religiösen Suche in den verschiedenen Religionen ernst nehmen und nicht vorschnellen Harmonisierungsbestrebungen zuliebe ignorieren darf. Um im Bild zu bleiben: Die Religionen sind nicht verschiedene Zweige an einem Baum, sondern verschiedene Bäume. Manche davon kommen aus dem gleichen Wald, wie Judentum, Christentum und Islam, die in engeren historischen und inhaltlichen Bezügen zueinander stehen. Andere sind eher exotische Gewächse, die in anderen Regionen heimisch sind wie Hinduismus und Buddhismus aber auch die traditionelle chinesische Religiosität.  Wie in einem Wald können sich auch bei den Religionen die Blätter und Zweige mitunter gegenseitig berühren, obwohl ihre Stämme, aus dem sie ihren Saft beziehen, weiter voneinander entfernt stehen. 

 

Wer hat Recht? (Modelle der Religionstheologie)

Die Tatsache, dass es mehrere Religionen, mehrere Antworten auf die Grundfragen des Lebens gibt, stellt jede der Religionen vor ein schwieriges Problem: wie gehen sie mit den Wahrheitsansprüchen der anderen Religionen um?

Drei verschiedene Modelle sind bei der Lösung dieser Frage immer wieder anzutreffen: das exklusive, das inklusive und das pluralistische Modell. 

Die exklusive Position geht davon aus, dass allein die eigene Religion in der Lage ist, die religiöse Wahrheit sachgerecht auszudrücken. Die anderen Religionen befinden sich folglich im Irrtum. Eine Kurzfassung dieser Meinung könnte lauten „Nur ich habe recht.“

Die inklusive Position ist da nicht ganz so radikal. Zwar hält auch sie daran fest, dass die eigene Religion der göttlichen Wahrheit am nächsten kommt. Aber sie kann in anderen Religionen ebenfalls Elemente dieser Wahrheit erkennen. Auch die religiöse Suche der anderen Religionen ist damit legitimiert, wenngleich deren Ergebnisse unterschiedlich bewertet werden. Kurzfassung: „Ich habe am meisten Recht und ihr auch ein wenig.“

Die pluralistische Position schließlich geht davon aus, dass alle großen Religionen gleich wahr sind und nur verschiedene, aber gleich berechtigte Wege zu der einen göttlichen Wirklichkeit darstellen. Kurzfassung: „Ich habe Recht und du hast auch Recht.“

Für alle drei Modelle gibt es im Christentum Befürworter und Gegner. Das exklusive Modell hat sehr deutliche biblische Aussagen für sich. Die wohl meistzitierte Stelle in diesem Zusammenhang ist das Jesuswort aus dem  Johannesevangelium „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater, denn durch mich.“(14,6)  Auch der sogenannte Missionsbefehl aus Matthäus 28,19 ist in diesem Zusammenhang zu nennen: „Geht hin und macht zu Jüngern alle Völker: Tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes und lehrt sie alles zu halten, was ich euch befohlen habe.“  Im 1. Brief des Paulus an Timotheus 2,4 wird explizit ausgesagt, dass Christus der einzige Mittler zwischen Gott und den Menschen ist. Andere Heilswege sind damit ausgeschlossen.  Es gehört zu den grundlegenden Glaubensaussagen des Christentums, dass Jesus’ Tod am Kreuz zur Erlösung für alle Menschen geschah, nicht nur für die Juden oder eine spezifische Gruppe. Auf dieser Grundlage folgt logisch die Mission als das Weiterbezeugen des „Evangeliums“, der guten Botschaft. Die positive Aussage der Erlösung durch Christus führt im Umkehrschluss zu negativen Bewertungen anderer Religionen. Vorsichtig ausgedrückt kann man in ihnen viel menschliche Verirrungen und Aberglaube sehen. Durch die letztlich untauglichen Versuche, sich eigene Götter zu schaffen, weil sie den wahren Gott nicht erkannt haben, vollziehen die Angehörigen anderer Religionen einen Götzendienst. Extremere Positionen neigen aber auch dazu, andere Religionen pauschal zu dämonisieren und in ihrer Existenz Gott feindlich gesinnte Mächte am Werk zu sehen, die die Menschen vom wahren Glauben abzubringen versuchen.  Der Vorwurf, vom Teufel beeinflusst zu sein und Dämonen anzubeten, ist dann nicht weit. Aus solchen Verzerrungen resultiert oft eine Angst, die alles Heidnische gleichermaßen als dämonisch und damit gefährlich ansieht. Für derartige Sichtweisen bietet die biblische Botschaft aber keine ausreichende Grundlage. 

 

Aus der Bibel lassen sich auch Argumente für eine inklusive Sichtweise des Christentums gewinnen, wird doch Gott in der Bibel als der Schöpfer aller Menschen beschrieben, nicht nur der Christen. Insofern ist davon auszugehen, dass auch in anderen Religionen eine Ahnung von dem wahren Gott vorhanden sein kann. Die Apostelgeschichte berichtet, dass Paulus bei seiner Rede auf dem Areopag in Athen genau so argumentiert habe (Apg. 17,22f). In diesem Sinn geht Paulus im Römerbrief davon aus, dass die Heiden ebenfalls eine Erkenntnis Gottes besitzen - auch wenn ihnen das nicht zum Vorteil gereicht (Röm.1,19f.). Das inklusive Modell entspricht der offiziellen römisch-katholischen Religionstheologie seit dem II. Vatikanischen Konzil (1962-65). Diese entwirft ein Modell konzentrischer Kreise, das die Abstufungen der verschiedenen Religionen aus römischer Sicht beschreibt. Die ersten Ringe um die römisch-katholische Kirche im Zentrum bilden dabei die anderen christlichen Konfessionen: zuerst die Orthodoxen Kirchen, mit denen die Gemeinschaft im Bischofsamt besteht, dann folgen die übrigen christlichen Konfessionen. In einem zweiten Segment folgen die abrahamitischen Religionen, die sich gemeinsam auf Abraham als den Stammvater ihres Glaubens berufen: zuerst das Judentum, mit dem man sich über die Verheißung und das Alte Testament verbunden weiß, dann der Islam, der auch den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs anbetet. Das dritte große Segment vereint dann summarisch alle übrigen Religionen wie Hinduismus und Buddhismus oder Naturreligionen der verschiedenen Völker, in denen auch einzelne Elemente der Wahrheit zu finden sind.  Der Kernsatz des inklusiven Modells besagt: „Wer nämlich das Evangelium Christi und seine Kirche ohne Schuld nicht kennt, Gott aber aus ehrlichem Herzen sucht, seinen im Anruf des Gewissens erkannten Willen unter dem Einfluss der Gnade in der Tat zu erfüllen trachtet, kann das ewige Heil erlangen“ (Vat. II., LG 16). Dies erübrigt nicht die Mission, kann aber auch Positives in anderen Religionen anerkennen. Das inklusive Modell vermeidet damit die Härten einer radikal exklusiven Sichtweise, die nach ihrer eigenen Logik alle Angehörigen anderer Religionen, auch wenn sie noch nie vom Christentum gehört haben, in der Hölle vermuten müsste. 

 

Das pluralistische Modell schliesslich wird gern von Befürwortern einer größeren Verständigung der Religionen gebraucht. Wo es nicht von religiöser Gleichgültigkeit bestimmt ist („ist doch seine Sache, was jeder glaubt“) scheint es auf den ersten Blick der Traumpartner für einen interreligiösen Dialog zu sein, im Großen wie im Kleinen. Jeder kann seinen Glauben behalten, keiner muss versuchen, den anderen von seiner Meinung zu überzeugen, weil ja jeder für sich schon Recht hat. Begegnungen kommen ohne Rechthaberei aus, weil jeder die andere Meinung stehen lassen kann. In der Tat scheint manches dafür zu sprechen. Wer will sich denn anmaßen, über die religiösen Erfahrungen anderer Völker und Kulturen urteilen zu können? Ist nicht alle menschliche Erkenntnis des Göttlichen naturgemäß begrenzt und unvollständig? Warum dürfen andere Kulturen nicht andere Aspekte der gleichen göttlichen Wirklichkeit erfahren haben?

 

Trotz aller Euphorie sollte man nicht übersehen, dass das pluralistische Modell nur um den Preis schwerer Zumutungen im Bereich der Logik und unter Ignoranz gegenüber dem Selbstverständnis der meisten beteiligten Religionen zu halten ist. 

Wie so oft im Leben gibt es auch in der Religionstheologie keine einfache und ideale Lösung. 

Gern werden für religionspluralistische Vorstellungen Umschreibungen und Bilder verwendet, wie z.B. das Bild von den verschiedenen Wegen, die letztlich zum gleichen Ziel führen sollen. Am Ende sei es egal, über welchen Weg man auf den Berg gestiegen ist, denn auf dem Gipfel treffen sich die Wege. Dieses Bild vollzieht eine kühne Gleichsetzung der Zielvorstellungen der Religionen, die von deren Selbstverständnis in der Regel nicht gedeckt ist. Kaum ein Muslim würde wohl meinen, dass sein religiöses Ziel (Leben nach dem Willen Allahs) letztlich das gleiche wie das eines Buddhisten (Auflösung der Existenz im Nirvana) sei. Die Religionen besteigen verschiedene Berge. Gelegentlich wird auch der Wahrheitsbegriff relativiert und individualisiert, um eine Gleichheit der Religionen behaupten zu können. „Ich habe meine Wahrheit, du hast deine Wahrheit...“ Gewiss sind religiöse Glaubensinhalte nicht in gleicher Weise überprüfbar, wie die Tatsache, ob ein Tisch grün oder blau ist. Dennoch werden Christen nicht davon ablassen können, dass Jesus für die Sünden der Menschen gestorben ist. Der Koran bestreitet dies. Nach den Regeln der Logik können nicht beide Auffassungen gleich wahr sein. Darüber in gegenseitigem Respekt zu streiten ist die Aufgabe des interreligiösen Dialoges. Was soll sonst ein Dialog für Sinn haben, wenn von vornherein alle Differenzpunkte ausgeklammern werden?  

 

Prof. A. Feldtkeller hat darauf hingewiesen, dass sich in der Praxis nie zwei Religionen, sondern zwei Menschen begegnen (ÖR 49, 275ff). Von diesen hat jeder seine ganz persönliche Religiosität. Mit seiner eigenen Religiosität steht jeder aber in einem Stellvertreterverhältnis zu seiner Religion, zu der er gehört. Dies gilt es bei allen Überlegungen zu interreligiösen Begegnungen zu beachten. Um etwas von der Religion meines Gesprächspartners zu verstehen, muss ich mich darauf einlassen können. Ein häufiger Fehler besteht in der Verwechslung der Ebenen: Auf der Ebene des Menschseins erfahren sich beide Gesprächspartner als gleichwertig. Dies schließt ihre persönliche Religiosität mit ein. Häufig wird diese Erfahrung auch auf das Verhältnis der beteiligten Religionen übertragen und daraus auch deren prinzipielle Gleichwertigkeit geschlossen. Das ist aber weder für das Verständnis nötig noch wirklich hilfreich, denn diese Voreinstellung verhindert letztlich das Verstehen. Wenn ich mich nämlich mit einer von vornherein behaupteten völligen Gleichwertigkeit der Religionen in das Gespräch begebe, setze ich mich der Gefahr aus, dass ein einziges zusätzliches Argument für die andere Religion das postulierte Gleichgewicht zugunsten dieser verschiebt. Das müsste mich eigentlich zur Konversion zum Glauben der anderen Religion bringen. Da dieses Risiko in der Praxis kaum jemand eingehen will, führt die behauptete Gleichwertigkeit in der Regel zu einem Verzicht auf das eigentlich nötige verstehende Sich-Einlassen auf die andere Religion. 

 

Ein anderes Problem entsteht, wenn man versucht, die Gleichrangigkeit der Religionen durch den Verweis auf ein gemeinsames höheres Prinzip in den Religionen zu retten. Manchmal geschieht so etwas durch einen behaupteten gemeinsamen Ursprung, oder man postuliert einen allen beteiligten Religionen gemeinsamen inneren Kern. In allen diesen Fällen wird letztlich eine neue Meta-Religion erschaffen, die zwar Elemente aus den beteiligten Religionen enthält, mit diesen aber nicht mehr identisch ist. Die Stellvertreterfunktion der persönlichen Religiosität zur eigenen Religion ist damit gestört. Ich habe mich dann von meiner Religion schon zugunsten einer neu konstruierten Überreligion verabschiedet. Das Prinzip der Gegenseitigkeit im interreligiösen Dialog würde aber erfordern, dass mein Dialogpartner ebenso von seiner Religion denkt und sich ebenfalls zugunsten unserer neuen Dialogreligion von seiner Ursprungsreligion innerlich verabschiedet hat. Für einen wirklich fruchtbaren interreligiösen Dialog liefert darum die pluralistische Hypothese keineswegs die besten Voraussetzungen. Die oft vertretene Meinung, dass es die für das friedliche Zusammenleben nötige religiöse Toleranz erfordere, auch die anderen religiösen Standpunkte inhaltlich als wahr anzuerkennen, ist falsch. Religiöse Toleranz ist wichtig, aber sie meint etwas anderes. 

 

Religiöse Toleranz als Verzicht auf Gewalt

Toleranz bedeutet in seinem Wortsinn, etwas zuzulassen, was von der eigenen Norm abweicht. Nicht die Aufweichung der Norm an sich ist damit ausgedrückt, sondern das Dulden von Abweichungen, ohne dagegen aktiv zu werden. Dies ist es, was für den Umgang mit anderen Religionen zu lernen ist. Dabei ist echte Toleranz im Sinne des Aushaltens von Unterschieden viel schwerer als ein Nicht-so-genau-Nehmen des eigenen wie des fremden Glaubens. Das, was ich (auch) als wahr anerkenne, muss ich ja nicht tolerieren, denn damit bin ich einverstanden. Der Drang nach einer Harmonisierung der verschiedenen Glaubensvorstellungen im pluralistischen Modell ist vielleicht deshalb so beliebt, weil die echte Toleranz so schwer ist und auf diese Weise vermieden werden soll. Es ist aber generell - und in der heutigen Zeit besonders - unverzichtbar, wirkliche Toleranz zu lernen und zu üben. Denn dies beinhaltet, auf jede Form von Gewalt aufgrund von Glaubensdifferenzen zu verzichten. Das schließt die Erlaubnis für Muslime, in Deutschland Moscheen bauen zu dürfen, ebenso ein wie die Freiheit für jeden Menschen, sich für oder gegen einen bestimmten Glauben entscheiden zu können. 

Religiöse Toleranz meint Verzicht auf Druck und Gewalt und beinhaltet damit nicht den Verzicht auf Mission, sondern ist selbst Voraussetzung der Mission. 

 

Mission und Nächstenliebe

Wenn keiner den anderen mehr überzeugen will, wird jede Religion blutleer. Mission im Sinne des privaten und öffentlichen Eintretens für das, was man selbst als richtig erkannt hat, gehört von Anfang an unaufgebbar zum Christentum dazu. Auch der Islam ist nicht weniger davon geprägt, offensiv für seine Glaubensüberzeugungen zu werben. Mission ist eine Lebensäußerung des Glaubens – jedes Glaubens. Dafür gibt es freilich verschiedene Formen. Wenn von Buddhisten in Deutschland gesagt wird, sie würden nicht missionieren, so bezieht sich das lediglich auf ihren Verzicht darauf,  aufdringlich an fremden Wohnungstüren zu klingeln. Dies ist aber weder die einzige, noch die erfolgreichste Art der Mission. Einladende Präsenz gehört genau so dazu. In Gegenwart der Anderen das Seinige tun und dies in einer einladenden Form – auch dies ist Mission. Das Wort „Mission“ ist in der Gegenwart sehr in Verruf geraten. Oft wird damit Unterdrückung, Zwang und Kolonialismus assoziiert. Dabei sind dies die Begleitscheinungen, die eigentlich nicht mit der Mission an sich zusammenhängen, sondern mit ihrer Verknüpfung mit Machtansprüchen. Macht kann jede Religion korrumpieren, wie man in der Geschichte leider immer wieder sehen kann. Das war bei der Ausbreitung des Islam nicht anders als bei der Schwertmission der Sachsenkriege oder beim nur schlecht christlich verbrämten Goldrausch während der Eroberung Südamerikas. Das Wesen der Mission meint aber etwas anderes. Mission braucht Freiheit. Christliche Mission ist in ihrem Inneren bestimmt durch Liebe und Fürsorge. Christliche Mission meint nicht, einem anderen etwas ihm fremdes überzustülpen. Vielmehr geht es darum, aus alten Zwängen zu befreien, neue Sichtweisen zu eröffnen, um das Geheimnis der Liebe Gottes erkennen zu lernen. Dies geht nicht aus der Distanz, und erst recht nicht mit Zwang oder Gewalt. Die Herrnhuter Missionare lernten darum die Sprache der Bewohner in Afrika und Asien, sie lebten mit ihnen und studierten Sitten und Bräuche. So legten sie mit ihren Missionsberichten nicht nur die Grundlagen der späteren Volkskunde, sondern geben auch ein beredtes Zeugnis davon ab, dass Mission immer bedeutet, auf den anderen zuzugehen und sich auf sein Leben einzulassen. Dazu gehört beides: Einfühlung und Hilfe. Noch heute finanzieren und unterhalten die Missionsstationen Schulen und Krankenhäuser, kümmern sich um die Nöte der Menschen und geben Hilfen zu einem menschenwürdigerem Leben. 

Damit ist die Mission gar nicht so weit von dem entfernt, was auch das Ideal einer jeden Partnerschaft sein sollte: dass man aus Liebe einander beisteht, ohne dies an besondere Bedingungen zu knüpfen. In der Mission darf die Hilfe nicht davon abhängig sein, dass die Hilfsempfänger einen bestimmten Glauben annehmen, sondern sie ist weitergegebener Ausdruck der Liebe und Zuwendung Gottes. Ebenso darf in einer Partnerschaft die Liebe nicht davon abhängig gemacht werden, dass man den Partner noch seinen eigenen Vorstellungen entsprechend ändern kann. Wahre Liebe wirkt andersherum: weil sie liebt, sorgt sie sich um das Wohlergehen des geliebten Partners. Dabei ist sie langmütig und freundlich (1. Kor. 13,4).

 

 

Dr. Harald Lamprecht

 

 

(Erschienen in: Gottfried Hänisch (Hrsg.): Dein Gott und mein Gott. Biografien zwischen Religionen. Wartburg, Weimar 2005)

 

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