Ringe und Grenzen

Zu Zielen und Chancen des interreligiösen Dialoges

In den letzten Monaten ist immer wieder über die Rolle der Religionen bei den politischen Konflikten der Gegenwart nachgedacht worden. Einige wollen in den Exklusivansprüchen der großen Weltreligionen die eigentliche Ursache der Konflikte ausgemacht haben. Andere bemühen sich, gerade die friedensstiftende Kraft der Religionen zu betonen und Krieg im Namen der Religion als deren Pervertierung aufzuzeigen. In diesem Zusammenhang hat auch die Bahá’í-Organisation einen Aufruf an die religiösen Führer der Welt versandt, den sie als ihren Beitrag zur Eindämmung der aktuellen Konflikte präsentiert. Nach ihrer Auffassung haben alle großen Religionen einen gemeinsamen Kern und stammen von Gott. Lediglich in ihren äußeren Ausprägungen seien sie verschieden, entsprechend der Vielfalt der Völker und Kulturen. Die Religiösen Führer sollten ihre Ansprüche auf Ausschließlichkeit und Endgültigkeit aufgeben und damit religiösen Konflikten die Nahrung entziehen. Die Bahá'í engagierten sich vor diesem Hintergrund schon seit einiger Zeit in interreligiösen Aktivitäten und rufen nun zu einem verstärkten interreligiösen Dialog auf. In Reaktion auf diese Schrift scheinen einige grundlegende Erwägungen zum interreligiösen Dialog angebracht.

Dialog oder Exklusiv?

Die Kernfrage lautet: Wie verhalten sich interreligiöser Dialog und Exklusivansprüche bestimmter Religionen zueinander? In Diskussionen wird immer wieder die Meinung vertreten, interreligiöser Dialog sei im Grunde nur möglich, wenn zuvor der Anspruch fallengelassen werde, dass nur die eigene Religion den richtigen Weg zum Heil führt. Die Akzeptanz des Gesprächspartners als gleichberechtigten „Partner“ schließe die Anerkennung seiner Religion als ebenso gleichberechtigt ein. Ein solches Aufgeben des eigenen Exklusivanspruches sei gleichsam die Voraussetzung für einen wirklichen Dialog. Anderenfalls würden vom Gegenüber immer versteckte Missionsabsichten vermutet, die das Gespräch schließlich scheitern lassen würden. Ich halte diese Meinung für falsch. Es ist aus meiner Sicht unverzichtbar, deutlich zwischen dem Gesprächspartner als Mensch und den von ihm vertretenen Auffassungen zu unterscheiden. Richtig ist, dass ein wirklicher Dialog nur gelingen kann, wenn er von der gegenseitigen Akzeptanz der Gesprächspartner getragen ist. Dies schließt auch das Recht der Gesprächspartner auf die je eigene Meinung ein! Falsch ist hingegen, dass man in der Sache schon vorab einig sein müsste.

Toleranz und Akzeptanz

Es ist ein weitverbreitetes Missverständnis, dass religiöse Toleranz bedeute, andere religiöse Auffassungen als ebenfalls richtig und in diesem Sinne religiös gleichberechtigt zu akzeptieren. Toleranz meint in seinem Wortsinn aber gerade nicht, mit einer anderen Sache einverstanden zu sein, sondern diese trotz Ablehnung zu dulden. Das, was ich akzeptiere, muss ich nicht tolerieren. Tolerieren muss ich das, was ich eigentlich ablehne, aber nicht verhindern kann (oder will). Religiöse Toleranz beinhaltet demzufolge die Akzeptanz der Existenz anderer religiöser Auffassungen, die man selbst ablehnt. Akzeptanz der Existenz beinhaltet dabei auch den Verzicht darauf, die andere Meinung mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln ausrotten zu wollen. Sie bedeutet aber nicht, mit der anderen Meinung übereinzustimmen oder sich diese gar selbst zu eigen zu machen. Religiöse Toleranz meint gerade nicht die Übereinstimmung im Inhalt, sondern menschlichen Umgang miteinander trotz Differenzen im Inhalt. In diesem Sinn ist Toleranz in der Tat eine Voraussetzung für den interreligiösen Dialog, denn ein Dialog ist ja nur mit Vertretern verschiedener Positionen angemessen und sinnvoll. Die Aufgabe des eigenen Standpunktes im Vorfeld des Dialoges zur Anpassung an den Gesprächspartner fördert nicht, sondern behindert den Dialog und macht ihn letztlich unmöglich.

Mission und Dialog

Im konkreten Fall bedeutet dies z. B. für den Dialog mit Muslimen, dass es nicht Gesprächsvoraussetzung ist, den Islam als zumindest gleichberechtigten Heilsweg zu Gott neben dem Christentum zu akzeptieren. Es ist auch nicht erforderlich, vor dem ja bekannten Missionsanspruch des Islam von vornherein zu kapitulieren. Das Christentum weiß sich nicht weniger als der Islam dem Auftrag Jesu verpflichtet, das Evangelium in alle Welt zu verkünden. Es ist aber notwendig, dem Gesprächspartner das Recht zuzugestehen, seine eigene Meinung und seinen eigenen Glauben zu haben und verbreiten zu wollen (auch wenn ich sie für falsch halte). Umgekehrt darf auch ich meine eigene Auffassung artikulieren, muss aber dem Gesprächspartner zugestehen, dass er sich dieser nicht anschließt. Dennoch ist solch ein Dialog nicht sinnlos, sondern notwendig. Das Ziel interreligiöser Gespräche ist nicht, die Einheit der Religionen herbeizuführen, sondern zum besseren gegenseitigen Verstehen beizutragen, Mißverständnisse abzubauen und zu einem friedlichen Miteinander zu finden. Mission und interreligiöser Dialog schließen einander nicht aus. Eine Mission, die dem Anderen nicht einfach den eigenen Glauben überstülpt, sondern ihn dafür zu gewinnen sucht, braucht vielmehr den Dialog und das Verständnis.

Die Bahá'í sehen ihren Friedensbeitrag in der Vereinheitlichung der religiösen Grundanschauungen. Dies ist aber kein interreligiöser Dialog - auch wenn er noch so oft so genannt wird - sondern das Glaubensbekenntnis einer neuen Religion. Wirkliche Beiträge zum Frieden werden wir nur bringen können, wenn es gelingt, den Umgang der verschiedenen Religionen miteinander so zu gestalten, dass trotz konkurrierender Wahrheitsansprüche und trotz berechtigter gegenseitiger Missionsabsichten ein toleranter Umgang miteinander gesucht wird.

G. E. Lessing hat in der Ringparabel seines „Nathan der Weise“ die Frage der Gültigkeit der verschiedenen Religionen nicht im Sinn des Religionspluralismus beantwortet, der ihm mitunter unterstellt wird. Die Antwort blieb offen und wurde in den Bereich der Ethik verschoben: Der wahre Ring wird sich an seinen Wirkungen erweisen. Auch bei Lessing gibt es nur einen echten Ring und zwei Fälschungen. Nur kann man sie nicht äußerlich unterscheiden. Es kommt auf ihre Wirkung an. So ruft er zu einem Wettbewerb der Religionen auf dem Gebiet der Ethik auf. Daran können und sollten wir uns beteiligen und auf diese Weise für den christlichen Glauben glaubwürdiges Zeugnis ablegen.

Harald Lamprecht

Artikel-URL: https://www.confessio.de/artikel/73

Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 4/2002 ab Seite 04