Kathedrale Kairo New Capital
Die riesige Kathedrale der neuen Ägyptischen Hauptstadt ist schon fertig, bevor Menschen in der Stadt wohnen – aus symbolischen Gründen.

Interreligiöser Dialog im Land der Pyramiden

Begegnungen zwischen Christen und Muslimen in Ägypten - Teil 1: Christen & Politik

Die evangelische presbyterianische Kirche der Nil-Synode ist mit ca. 300 000 Mitgliedern in rund 300 Gemeinden die größte evangelische Kirche im Nahen Osten. In Kairo betreibt sie die internationale Akademie für den Dialog. Prof. Dr. Tharwat Kades stammt aus Ägypten und studierte in Kairo evangelische Theologie. Später kam er nach Deutschland und wurde 1973 Pfarrer der Evangelischen Kirche Hessen-Nassau. Er hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, die weit verbreiteten Vorurteile zwischen Muslimen und Christen durch die Organisation von Begegnung und Dialog zu reduzieren. Bei einer Studienfahrt im Februar 2020 konnten einige Mitglieder der Konferenz für Islamfragen der EKD und aus dem Bereich Ökumene und Mi­gration der reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn etwas von den Früchten dieser jahrzehntelangen Bemühungen kennenlernen. 

Das Land am Nil

Ägypten ist mit fast 100 Millionen Einwohnern das bevölkerungsreichste Land des mittleren Ostens. Die Einwohnerzahl ist in den letzten Jahrzehnten deutlich angewachsen. Geografisch konzentrieren sie sich auf den schmalen Bereich rechts und links des Nilufers und im Nildelta. Der Rest des Landes ist Wüste. Damit gehören diese Regionen zu den am dichtesten bevölkerten Flächen der Welt. Dass die Infrastruktur nicht im gleichen Tempo mit der Bevölkerung mit gewachsen ist, wird an vielen Stellen sichtbar. Insofern sind die Kontraste mitunter groß. Moderne Stadtviertel wechseln mit sehr traditionell geprägten und oft auch ärmlichen Gebieten.

Besonders unter Präsident Abdel Nasser (Regierung 1954–1970) bemühte sich das Land um einen politischen wie religiösen Führungsanspruch in der arabischen Welt. Konkurrenz gibt es dabei aus Saudi-Arabien. Politisch ließ sich dieser Führungsanspruch in den vergangenen Jahrzehnten nicht wirklich umsetzen. Die Eigenständigkeit von Syrien und die wechselnden Interessen anderer Staaten standen dem entgegen, auch wenn sich die späteren Präsidenten ebenfalls darum bemühten. In religiöser Hinsicht gelingt dies besser: Mit der Al-Azhar-Universität ist in Kairo die renommierteste Ausbildungsstätte des Islam angesiedelt. Die religiösen Autoritäten der Al-Azhar haben nicht nur für Ägypten Bedeutung, sondern für den gesamten sunnitischen Bereich weltweit. Zwar gibt es auch hier Konkurrenz aus Saudi Arabien, aber da kann sich die Al-Azhar-Universität gut behaupten.

Militär ohne Demokratie

Die Demokratie hat in Ägypten keine stabile Basis entwickeln können. Viele Präsidenten der vergangenen Jahrzehnte waren Armeeoffiziere. Einige von ihnen haben sich an die Macht geputscht. Das begann mit General Gamal Abdel Nasser, der nach dem Sturz des Königs 1952 bald die Führung übernahm. Mit Unterstützung der Sowjetunion brachte er das Land auf einen sozialistischen Kurs. Dieser ist bis heute in manchen Auswirkungen zu spüren. Die Religionsfreiheit wurde unter Nasser massiv eingeschränkt. Das richtete sich gegen islamistische Fundamentalisten, besonders die Muslimbrüder, aber auch gegen Christen.

Nassers Nachfolger Anwar as-Sadat (Regierung 1970-1981) lockerte die Repression gegen die Muslimbrüder, um mit deren Hilfe die Kommunisten zurückzudrängen. Er löste die Verbindungen mit der Sowjetunion und näherte sich den USA an. Sein größter außenpolitischer Erfolg war der Friedensvertrag mit Israel 1978, was allerdings Ägypten gegenüber der arabischen Welt isolierte. Nun rächten sich seine Lockerungen gegenüber den Muslimbrüdern: 1981 wurde er von deren Anhängern ermordet. 

Sein Nachfolger Husni Mubarak (1928-2020, Regierung 1981-2011) führte das Land dreißig Jahre lang zunehmend autoritär, bis 2011 der arabische Frühling seine Herrschaft beendete. Die Revolution hinterließ z.T. chaotische Zustände im Land, weil die öffentliche Ordnung zusammengebrochen war. Bei den folgenden (ersten) demokratischen Wahlen gewannen allerdings die Muslimbrüder mit Mohammed Mursi als Kandidaten. Dessen Präsidentschaft entsetzte auch etliche seiner Wähler und rief viele neue Proteste hervor, u.a. weil er die Gewaltenteilung außer Kraft setzte. 2013 wurde er vom Militär abgesetzt. Generaloberst Abd al-Fattah as-Sisi (*1954) übernahm 2014 das Präsidentenamt. 2018 wurde er mit fast 97% der Stimmen wiedergewählt und setzte eine Verfassungsänderung durch, die ihm mehr Befugnisse verschafft und die Begrenzung seiner Amtszeit aufhebt.

Ambivalenz der Macht

Es kommt sehr darauf an, mit wem man sich über die politische Lage in Ägypten austauscht, denn die Beurteilung der Regierungsarbeit von Präsident as-Sisi geht teilweise extrem ausein­ander. 

In Dresden gab es Anfang 2020 einen Skandal um die Verleihung des St.-Georgs-Ordens des Semperopernballes an as-Sisi. Erhebliche Proteste und Absagen renommierter Künstler zwangen den Veranstalter, die Aberkennung des Ordens mitzuteilen. Hintergrund dieser Proteste ist die Kritik an der Situation der Menschenrechte in Ägypten. Kritik an der Regierung wird unterdrückt. Medien sind weitgehend gleichgeschaltet. Es wird kritisiert, dass in großem Stil Oppositionelle einfach „verschwinden“. Regimekritiker wie im Fall Regeni 2016 verschwinden und werden später mit Folterspuren tot aufgefunden. Die Zahl der Hinrichtungen ist unter as-Sisis Regierung stark angestiegen. Vor Wahlen wurden Gegenkandidaten ausgewiesen oder unter Druck gesetzt. Fährt man durch Ägypten, ist die Präsenz des Militärs und schwer bewaffneter Polizei allgegenwärtig. An jeder Brücke, an jeder Autobahn-Mautstelle befindet sich ein Militärposten. 

Spricht man mit Ägyptern, so sind dort offenbar viele doch im Kern zufrieden mit der Politik ihres Präsidenten, insofern er politische Stabilität und wirtschaftlichen Aufschwung für Ägypten liefert. Die Wahlerfolge sind kein kompletter Fake. Das Chaos in dem Machtvakuum nach der Revolution von 2011 oder die Herrschaft der Muslimbrüder wollen die meisten keinesfalls zurück. Viel Geld wird mit den großen öffentlichen Bauprojekten bewegt. Die Unterdrückung der Opposition richtet sich primär gegen die Muslimbrüder. Das hat in Ägypten Tradition und wird von weiten Teilen der Bevölkerung begrüßt. Der Druck auf die Zivilgesellschaft ist da ein in Kauf genommener Kollateralschaden. Die wäre noch viel mehr kaputt, wenn die Muslimbrüder wieder am Ruder säßen. Man darf halt kein Oppositioneller sein, dann geht es. Unter den Christen im Lande gibt es auch verschiedene Stimmen. Die einen betonen, wie as-Sisi sich an etlichen Stellen für eine Verbesserung ihrer Situation eingesetzt hat – und damit haben sie Recht. Andere warnen davor, sich zu sehr in die Nähe der Regierung zu begeben, um nicht unglaubwürdig zu werden, denn Menschenrechtsfragen dürfen Christen nie gleichgültig sein. Ein offenes Gespräch über solche Fragen ist schwer bis unmöglich. In der Stimmung erinnert es in dieser Hinsicht mitunter an die Situation in der DDR, obwohl natürlich vieles ganz anders ist. 

Religionen

Die überwiegende Mehrheit (ca. 90%) der Einwohner Ägyptens sind sunnitische Muslime. Allerdings ist die christliche Tradition mit der koptischen Kirche schon deutlich älter im Land. Im Vergleich zu der Hochkultur der Pharaonen im alten Ägypten sind freilich alle anderen Religionen „neu“. Das verschafft den Ägyptern eine spezifische eigene Identität. Diese definiert sich eben nicht allein über die gegenwärtige Religionszugehörigkeit, sondern ebenso mit über die gemeinsame Vergangenheit. Diese Konstellation erleichtert manche Begegnungen im Vergleich zu anderen Ländern, wo die kollektiven Identitäten stärker von den gegenwärtigen Religionszugehörigkeiten geprägt sind. Im Rahmen der Globalisierung sind natürlich auch andere Religionen in Ägypten angekommen und in einer Millionenstadt wie Kairo gibt es auch Hindus, Buddhisten, Bahais und Mormonen. In einer ähnlichen Außenseiterrolle finden sich auch andere muslimische Gruppen wie Schiiten oder Ahmadiyyas. Nach Mitteilung einer jüdischen Organisation hätte es im Jahr 2018 sieben Juden in Ägypten gegeben.1 Offiziell staatlich anerkannt sind nur die abrahamitischen Religionen. Für die Religionszugehörigkeit, die früher im Pass eingetragen wurde, standen nur Muslim, Christ oder Jude zur Auswahl.2

Christen

Von den Christen in Ägypten gehören etwa 90% zur Koptisch Orthodoxen Kirche. Die koptische Kirche gehört zu den altorientalischen Kirchen, die in den frühchristlichen Auseinandersetzungen um die Herausbildung der Christologie und der Trinitätslehre eine andere Nuancierung vertraten als die byzantinisch-orthodoxe Reichskirche. Mittlerweile ist neben der koptischen auch die byzantinische Kirche in Ägypten vertreten. Verwirrenderweise wird sie dort als „römisch-orthodox“ bezeichnet, weil Byzanz damals als neues Rom galt. Dies ist also nicht mit römisch-katholisch zu verwechseln. Weitere zahlenmäßig aber kleine altorientalische Kirchen im Land sind die Syrisch-Orthodoxe Kirche und die Armenisch Apostolische Kirche. Die römisch-katholische Kirche ist durch mehrere Unionen inzwischen mit sieben (!) verschiedenen Riten im Land präsent. Neben den Christen des lateinischen Ritus gibt es noch koptisch-katholische, Melkitische, maronitische, syrisch-katholische, armenische und chaldäische Christen im Land, die den Papst in Rom anerkennen. 

Die Protestanten fächern sich in 17 verschiedene Denominationen auf, von denen die presbyterianische (reformierte) Nil-Synode die größte ist. 

Die Heilige Familie in Ägypten

Größter Stolz der ägyptischen Christen scheint der Verweis auf den Aufenthalt der Heiligen Familie im Lande. Im Matthäusevangelum (2,13) beauftragt ein Engel Josef, mit Maria und dem Kind nach Ägypten zu fliehen. Diese geografische Angabe ist aus Hosea 11,1 „Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen“ entnommen. Ob die Familie wirklich in Ägypten war, verrät die Bibel nicht und natürlich gibt es dazu auch keine anderen aussagekräftigen Quellen. Das hindert das Fremdenverkehrsamt nicht, detaillierte Karten aufzustellen, welche Wege zu diversen Sehenswürdigkeiten die Heilige Familie im Zickzack durch das Land genommen haben soll und präsentiert stolz Kirchen, in deren Krypta angeblich das Jesuskind übernachtet habe. Fragen nach historischen Plausibilitäten wollte da (bis auf eine Ausnahme) niemand hören.

Papst der Kopten

Das Oberhaupt der koptischen Kirche trägt – genauso wie sein Amtsbruder in Rom – den Titel „Papst“. Derzeitiger Amtsinhaber ist Tawadros II. und seit 2012 in dieser Position als Patriarch von Alexandrien und ganz Ägypten. In seiner Stammkirche St. Markus in Kairo feiert er Gottesdienst mit vielen Mönchen und der Gemeinde, die nach Geschlechtern getrennt im Kirchenschiff sitzt. Schon lange vor seinem Einzug beginnen die Mönche mit dem Gesang ihrer Litaneien. Als er erscheint, ist die Begrüßung durch die Mönche ehrerbietig, aber doch in vielen Fällen auch herzlich. 

Größte Kathedrale des Orient

Kairo als Millionenstadt platzt aus allen Nähten. Eins der Großprojekte der Regierung besteht darin, 45km östlich von Kairo in der Wüste eine völlig neue Satellitenstadt zu errichten. Noch hat sie keinen Namen und wird darum einfach „Neue Hauptstadt“ genannt. Im Dezember 2016 wurden bei einem Anschlag islamistischer Terroristen in Kairo 27 koptische Christen getötet. Als Reaktion verkündete die Regierung von as-Sisi, dass mit der neuen Staatsmoschee in der neuen Hauptstadt zugleich eine große koptische Kathedrale gebaut werden solle – als ein Symbol für das friedliche Zusammenleben beider Religionen und der nationalen Einheit. Dazu musste im April 2017 das Parlament zunächst das Verbot zur Errichtung neuer Kirchen aufheben. Am 6. Januar 2019 wurde die „Cathedral of the Nativity“ – am gleichen Tag wie die neue Moschee – eingeweiht. Sie wurde komplett aus Staatsmitteln finanziert und von der Armee gebaut. Mit 8200 Plätzen ist sie die größte Kathedrale des Nahen Ostens und mit ihrer Fläche der größte orientalische Kirchenbau weltweit. 

Bei der Nil-Synode

Durch einen glücklichen Umstand konnte unsere Reisegruppe einer Tagung der evangelischen (presbyterianischen) Nil-Synode bei Alexandria einen Besuch abstatten und mit einigen Mitgliedern sprechen. Die Synode ist mehrheitlich evangelikal beeinflusst und charismatische Prägungen haben in den Gemeinden zugenommen. Es gibt kontroverse Debatten zur Frage der Frauenordination. Die gegenwärtige Religionspolitik der Regierung bringt an vielen Stellen Erleichterungen für die Christen. So dürfen auch protestantische Kirchen wieder renoviert und teilweise auch neu errichtet werden. Dennoch bleibt das Verhältnis angespannt. Das Thema des Dialoges mit dem Islam ist innerkirchlich umstritten. Etliche stehen Dialogbemühungen skeptisch gegenüber und wollen allein auf missionarische Begegnung setzen. Es ist zu spüren: Dialog und Begegnung stehen hier noch sehr am Anfang. Negativerfahrung mit muslimischen Fundamentalisten führen dazu, dass das Misstrauen auf beiden Seiten groß ist. Die Akademiearbeit von Prof. Tharwat Kades muss dicke Bretter bohren. 

CEOSS

Vor 70 Jahren hat die presbyterianische Kirche der Nil-Synode CEOSS gegründet. Die Abkürzung steht für „Coptic Evangelical Organisation for Social Service“.3 Sie ist die ägyptische Variante von Brot für die Welt und arbeitet auch mit dieser und anderen Hilfsorganisationen zusammen. Der Besuch bei CEOSS war ein Lichtblick dieser Reise und sehr ermutigend, denn dort wird eine hervorragende und wichtige Arbeit geleistet. Mit hoher Professionalität und nach internationalen Standards werden Hilfsleistungen für ca. 3 Mio. Menschen in Ägypten organisiert. Es gibt Projekte gegen Armut, Unterstützung für kleine Farmer, Dialogaktivitäten auch mit muslimischen Gruppen, Aktionen gegen Hassrede, Friedensbildung und Konfliktmanagement und ein von CEOSS betriebenes Krankenhaus. 80% der Hilfsempfänger sind Muslime. Leider ist das Verhältnis zur Mutterkirche spannungsvoll. Dort gibt es Stimmen, die CEOSS nicht mehr als kirchliche Organisation betrachten wollen, weil sie ihnen zu wenig missionarisch geprägt sei. Sie verkennen, welche langfristige Wirkung und Überzeugungskraft gute soziale Arbeit entwickeln kann. 

DEO – eine deutsche Insel in Kairo

In Kairo deutsch sprechen? Das ist ganz normal an der Deutschen Evangelischen Oberschule (DEO) in Kairo. Dort ist Deutsch die Unterrichtssprache. Die Schule ist sehr begehrt und viele (die es sich finanziell leisten können) wollen ihre Kinder dort unterbringen, weil sie ein normales deutsches Abitur anbietet, das dann ein Studium an deutschen Hochschulen ermöglicht. Weil die meisten Schüler Muslime sind, es sich aber um eine bewusst evangelisch geprägte Schule handelt, findet dort quasi täglich interreligiöser Dialog an der Basis statt. Regelmäßig gibt es Schulgottesdienste, die vom evangelischen Pfarrer gehalten werden – Teilnahme natürlich freiwillig. Daran nehmen immer wieder auch Kinder muslimischer Eltern teil.

 

 


1 https://eg.usembassy.gov/2018-report-on-international-religious-freedom-egypt/

2 https://en.wikipedia.org/wiki/Egyptian_identification_card_controversy

3 https://en.ceoss-eg.org

Dr. Harald Lamprecht

ist Beauftragter für Weltanschauungs- und Sektenfragen der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens und Geschäftsführer des Evangelischen Bundes Sachsen.

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