Die Mission des dreieinigen Gottes

Trinitarische Impulse für die christliche Mission beim 175. Jubiläum des Leipziger Missionswerkes

Mission gehört zu den umstrittensten Elementen der christlichen Theologie. Einerseits wird sie – aus guten Gründen – als Herzschlag des Glaubens angesehen. Aus dieser Perspektive kann man sagen: Eine Religion, die nicht missionarisch ist, ist tot. Andererseits kann man auch die gegenteilige Meinung vertreten finden: Mission sei so etwas wie „religiöser Hausfriedensbruch“ und die Kirchen sollten alle auf Konversion zielende Mission einstellen.

Anlässlich seines 175. Jubiläumsfestes befasste sich das Leipziger Missionswerk im Juli 2011 mit theologischen Grundlagen und praktischen Auswirkungen der Mission. Den einführenden Vortrag hat Prof. Dr. Hans-Martin Barth zum Thema „Die Mission des dreieinigen Gottes im Kontext der Weltreligionen“ in diesem Zusammenhang gehalten. In bemerkenswerter Weise hat er darin das Wesen der göttlichen Trinität in Erinnerung gerufen, um auf dieser Grundlage Einseitigkeiten in der christlichen Mission überwinden zu können. Kerngedanken aus diesem Vortrag haben die nachfolgenden Ausführungen angeregt.

Der Auftrag des Christentums

Was haben Christen in anderen Kulturen zu suchen? Wenn Christen nicht in indigenen Kulturen „herummissioniert“ hätten, wäre doch vieles besser gewesen – so kann man es heute öfter hören. In der Regel wird gleich die Gegenrechnung aufgemacht und es werden Elemente benannt, bei denen christlich motiviertes Eingreifen Verbesserungen gebracht und zu positiven Beeinflussungen geführt hat. Das gilt z.B. im Blick auf traditionelle Dämonen- und Geisterfurcht, das Kastenwesen in Indien, Witwenverbrennung, Mädchenbeschneidung usw. Dies ist auch richtig. Es hat nicht nur Kulturabbruch, sondern durchaus eine positive Beeinflussung dieser Religionen durch das Christentum gegeben. Dennoch ist nicht alle Kritik unberechtigt.

Christen glauben an den dreieinen Gott, den Schöpfer, Erlöser und Vollender. In ihrer Mission hat sich das aber oft nur ungenügend gezeigt. Die ersten Missionare waren in ihrerer Mission nicht deutlich genug trinitarisch orientiert: Katholiken waren ekklesiologisch auf ihre Kirche bezogen, Lutheraner waren soteriologisch auf die Frage des Heils fixiert. Dies war einseitig. Es kann als Aufgabe für die Gegenwart beschrieben werden, die trinitarische Basis des Handelns auch in der Mission wieder zu finden. Dies hätte spürbare Konsequenzen.

Wenn wir ernst nehmen, dass Gott der Schöpfer der Welt und damit aller Menschen ist, bedeutet das im Blick auf nichtchristliche Religionen: Das Wirken Gottes steht auch hinter ihnen. Auch sie sind mit dem Schöpfer verbunden. Er erfüllt sie mit Speise und Freude (Apg. 14). Er erfüllt sie mit Wohlgefallen (Psalm 145). Der Schöpfungsglaube legt somit eine gewisse Nähe auch zu den Menschen in anderen Religionen an.

Gott ist schon da

Die Heimat des Wortes „Mission“ (deutsch: „Sendung“) liegt im Begriff der Trinität: Gott sendet seinen Sohn. Darauf hat bereits Karl Barth hingewiesen. Von dort her wurde das Konzept von Mission als Missio Dei entwickelt. Gott ist mehr als nur ein Auftraggeber. Er ist selbst im Fluss seines Wirkens. Die Mission der Kirche ist in die vorauslaufende Mission Gottes hineingenommen. Eine solche vorauslaufende Beziehung zu Gott haben aber von der Schöpfung her auch die Angehörigen anderer Religionen. Es gehört zu den trinitätsvergessenen Einseitigkeiten, wenn aus dem Sendungs- und Segnungsgeschehen Gottes einzelne Aspekte herausgegriffen und andere darüber vernachlässigt werden.

Drei Fehler

Prof. Hans-Martin Barth benannte in seinem Vortrag drei typische Fehler der Mission:

a) Export von Konfessionen: Wenn vorrangig an die Ausbreitung der eigenen Konfessionskirche gedacht wird, läuft etwas schief. Nun geht es in der Mission durchaus auch um die Bildung von Gemeinden und die Gewinnung von Gläubigen. Aber es wird problematisch, wenn dieses Ziel sich verselbständigt und ein institutionenegoistischer Aktivismus aufkommt. Die schlichte Multiplikation der eigenen Glaubensvorstellung und -praxis in andere geografische Bereiche greift zu kurz. Die Mission Gottes ist weit mehr als Gemeindegründung. Statt dessen sollte Mission als dreifaltiger Vollzug neu entdeckt werden. Gottes Mission umfasst und trägt die (bescheidene) Mission der Kirchen. Deren Zielsetzung sollte statt in der quantitativen Ausbreitung der eigenen Konfessionskirche vielmehr in der qualitativen Ausbreitung des Christentums liegen. Die Einpflanzung des Glaubens in die jeweilige Kultur, in der er dann selbst Wurzeln schlägt und eigene Früchte bringt, ist wertvoller als eine Vergrößerung der eigenen Konfession. Das neue Missionsdokument des Lutherischen Weltbundes zielt in diesem Sinne nicht einfach auf Mitgliedergewinnung, sondern ist getragen von dem Vertrauen auf das Wirken Gottes auch außerhalb der Kirche.

b) christologische Verengung: Die Botschaft von Jesus Christus ist die eigentliche Provokation nichtchristlicher Religionen. Da führt nichts dran vorbei. Das christliche Bekenntnis beinhaltet, dass das Wesen Gottes des Vaters nur Blick auf seinen Sohn Jesus Christus richtig erkannt werden kann (Joh. 14,6f.).

Darüber darf aber nicht das Gemeinsame vergessen werden: die Wirkung des Geistes, der „weht, wo er will“, die Verbindung in der Schöpfung und Gottes Heilswille für alle Menschen. In welcher Weise Gott das erfüllen wird, dürfen wir getrost ihm überlassen. Die Sorge um das ewige Heil anderer Menschen ist Gottes Sorge. Aufgabe der Christen ist es, ihnen in großer Gelassenheit den eigenen Glauben zu bezeugen. Gerade die Mission des Dalai Lama ist in ihrer unaufgeregten Entspanntheit aus der erklärten Absicht, nicht überzeugen zu wollen, für viele sehr überzeugend.

c) Konzentration auf soziales Handeln und Entwicklungshilfe: Für die Missionswerke gehört das Bezeugen der Liebe Gottes in Wort und Tat zusammen. Diese Zusammengehörigkeit darf weder in der einen, noch in der anderen Richtung aufgelöst werden. Eine verschämte Mission, die sich hinter Entwicklungshilfe versteckt, kann dies nicht mehr erfüllen. Andererseits wird eine Evangelisation unglaubwürdig, wenn sie gute Botschaft verkünden will, ohne bestehende Ungerechtigkeiten in den Blick zu nehmen und aktiv die reale Not der Menschen zu bekämpfen.

Gottes Wirken durch nichtchristliche Religionen

Ist es denkbar, dass Gott auch durch nichtchristliche Mission wirkt?
Wenn Gottes Walten auch hinter den nichtchristlichen Religionen wirkt, dann ist es nicht auszuschließen, dass sie einen Auftrag aneinander haben. Christliche Mission darf nicht immer nur geben wollen. Wir können gegenwärtig erleben, dass die Begegnung mit nichtchristlichen Religionen das Christentum selbst befruchten kann. Das geht ganz praktisch:
•Im deutschen Kindergarten werden unsere (nicht mehr christlichen) Kinder von muslimischen Kindern gefragt, wie sie es mit dem Gebet halten und was für sie Gott bedeutet.
•Die Debatten um den Ruf des Muezzins erinnern uns daran, dass die Glocken eigentlich zum Gebet rufen.
•Die andere Grammatik asiatischer Sprachen hinterfragt das aristotelische Denken und kann helfen, davon geprägte Einseitigkeiten des westlichen Gottesbegriffes zu erkennen.
•Buddhistische Meditationspraxis beeinflusste die Tiefe des christlichen Gebetes.
•Das Christentum ist auf die Nächstenliebe bezogen, buddhistische Impulse erweitern die Nachsicht auch auf die außermenschliche Kreatur.
•Buddhistische und islamische Formen des Wirtschaftens werden als Alternative zum nachchristlichen Kapitalismus diskutiert.

Es wäre auszuloten, in wieweit christliche und nichtchristliche Religionen gemeinsame Aufgaben im Blick auf die Herausforderungen der modernen Welt haben, z.B. im Kampf gegen Hunger, Alkohol- und Drogenmissbrauch, globale Ungerechtigkeit. Dies hebt die Frage nicht auf, wo aus christlicher Sicht gegen unmenschliche Riten u.ä. vorgegangen werden muss.

Überwundene Enttäuschungen

Die trinitarische Perspektive kann auch dazu helfen, mit den Enttäuschungen in der Missionsarbeit umzugehen. In der Missionsarbeit wurden und werden oft viele Opfer gebracht, deren Erfolg nicht unmittelbar zu spüren ist. Die konkreten Erfahrungen konfrontieren mit der bitteren Wahrnehmung der Verborgenheit Gottes. Das Problem der Stagnation, insbesondere der weitgehenden Erfolglosigkeit der Evangelisation gegenüber Atheisten und Agnostikern in den Kernländern der Reformation ist eine betrübliche Erfahrung.

Wo aber mit der verborgenen Präsenz des dreieinigen Gottes gerechnet wird, sind solche Erfahrungen nicht nur leichter zu ertragen. Es kann sich auch der Blick in neue Richtungen öffnen: Geht Gott inzwischen andere Wege, denen gegenüber wir blind sind? Sind die Christen eher zur Buße und zum Innehalten aufgerufen, als zu neuem missionarischen Aktionismus? Das ständige Achten auf Erfolg und Wirkung kann von dem eigentlichen Ablenken. Eine gelassenere Perspektive beschreibt das Sprichwort: „Tue das Gute und wirf es ins Meer. Sieht es der Fisch nicht, so sieht es der Herr.“ In diesem Sinne missionarisch sein bedeutet: in Gemeinschaft von Christen und Nichtchristen zu Hause zu sein, mit ihnen zu feiern und zu leben. Dies kann die Augen dafür öffnen, welchen Reichtum des Segens Gott auch dort erwecken kann, meinte Prof. Barth in seinem Referat. Auf dieser Linie liegt auch die Erfahrung, dass die wohl erfolgreichste Mission in der überzeugten eigenen religiösen Praxis besteht, die nicht stets darauf schielt, wie das bei anderen ankommt, sondern die sich aus innerer Folgerichtigkeit vollzieht.

Harald Lamprecht

 

Artikel-URL: https://www.confessio.de/artikel/284

Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 1/2012 ab Seite 16