Not lehrt Beten

Studie: Staatliche Fürsorge und Wohlstand als Religionskiller
Medizintechnik MRT
Magnetresonanztomograph (MRT)

Atheistische Verbände bemühen sich seit langem, die Absurdität von Religionen herauszustellen. Dennoch lassen sich religiöse Fragen und Sehnsüchte nicht einfach ausrotten. Weltweit legen die Religionen sogar noch zu. Nur in Mitteleuropa sieht es anders aus. Dabei sind die härteste Herausforderung für die Religionen aber nicht der Zweifel oder die Kritik von Atheisten. Es sind – so erstaunlich es klingen mag – staatliche Fürsorge und Stabilität. Davon hat die Süddeutsche Zeitung kürzlich berichtet.

Eine amerikanische psychologische Studie von Miron Zuckerman (University of Rochester) und Ed Diener (University of Virginia), die im Fachblatt Personality and Social Psychology Bulletin veröffentlicht wurde, zeigt diesbezüglich interessante Ergebnisse: Die Intensität des Glaubes an einen Gott und die Fürsorge, die ein Staat seinen Bürgern zukommen lässt, stehen in einem umgekehrt proportionalen Verhältnis zueinander. Das heißt konkret: Je mehr Sicherheit und Stabilität auch in Lebenskrisen (Krankheit, Arbeitslosigkeit) ein Wohlfahrtsstaat seinen Bürgern garantieren kann, desto weniger stark ist der Gottesglaube ausgeprägt. Umgekehrt kann ebenso gesagt werden: Je weniger säkulare Einrichtungen für Sicherheit sorgen können, desto mehr hoffen die Menschen auf göttlichen Beistand in den Krisen ihres Lebens - und auch schon davor und danach.

Für diese Studie wurden Daten ausgewertet, die für die Gallup World Poll zwischen 2005 und 2009 weltweit erhoben wurden. Aus 155 Nationen wurden mehr als 455 000 Personen befragt. Dabei waren Länder mit unterschiedlichen vorherrschenden Religionen - Christentum, Hinduismus, Buddhismus, Islam. Unabhängig von der jeweiligen Religion fanden die Forscher, dass der Glaube dort intensiver gelebt wurde, wo die staatlichen Leistungen unzuverlässig waren. Wo aber die Behörden das Wohlergehen der Bürger einigermaßen vernünftig zu verbessern suchten, suchten die Menschen weniger Halt und Hoffnung im Glauben. Eine hohe Lebensqualität senkte die Attraktivität von Religion.

Bestätigt wurden diese Zusammenhänge von einer weiteren Auswertung, die Daten und Umfrageergebnisse zu Entwicklungen in verschiedenen Bundesstaaten der USA aus den Jahren 2008 bis 2013 verglichen hat. Dort zeigte sich, dass Religion weniger wichtig wurde, wenn ein bis zwei Jahre zuvor die staatlichen Leistungen ausgebaut oder verbessert worden waren. In Staaten mit schwacher Verwaltung hingegen war die Religiosität für die persönliche Lebensqualität relevanter.

Offenbar sind Religionen unabhängig von ihren jeweils spezifischen Inhalten für bestimmte psychische Bedürfnisse wichtig. Im Angesicht von Unsicherheit, Einsamkeit oder bei Naturkatastrophen geben sie Halt und leisten einen wichtigen Beitrag zum Umgang mit den widrigen Zufällen des Lebens („Kontingenzbewältigung“). In dem Maß, wie die eigene wirtschaftliche Versorgungssituation ausreichend stabil und krisenfest erscheint und die Organe des Staates einigermaßen wirksam für irdische Gerechtigkeit sorgen, Kriminelle bestrafen und die Ordnung erhalten können, sinkt die Bereitschaft, dies von einem intervenierenden Gott zu erwarten. Die Forscher stellten noch mehr fest: In Gesellschaften, wo die staatliche Ordnung zusammengebrochen ist, bleibt allein die Furcht vor der göttlichen Strafe, um Menschen zu ethischem Verhalten und zur Einhaltung von Regeln zu motivieren. Entsprechend stärker ist dort das Misstrauen gegenüber Atheisten ausgeprägt ist, als dies bei funktionierender staatlicher Ordnung der Fall ist.

Der Artikel der Süddeutschen Zeitung findet einen Beleg für die Thesen in dem Unterschied zwischen Europa und den USA: Warum sind viele Amerikaner so tief religiös? Weil sie zu viele Schusswaffen und keine Krankenversicherung haben – oder zumindest fürchten müssen, sie gleich wieder zu verlieren.

sz 26.04.2018

Artikel-URL: https://www.confessio.de/index.php/news/1185

Autor
HL
Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 2/2018 ab Seite 03