Einladung zum Dialog

Brief von 138 muslimischen Gelehrten an die Christen

Die Regensburger Vorlesung von Papst Benedikt XVI. am 12. 9. 2006 hatte weitreichende Folgen: Das von ihm benutzte Zitat eines mittelalterlichen byzantinischen Kaisers, der Islam hätte „nichts Gutes gebracht“, hatte auf Betreiben islamistischer Kräfte zu teilweise blutigen Protesten geführt. Besonnenere Muslime erkannten, dass dies kein guter Weg der Auseinandersetzung ist und nahmen den Konflikt zum Anlass, den christlich-islamischen Dialog auf oberer Ebene, d. h. auf der Ebene der Gelehrten mit neuen Impulsen zu versehen.

A Common Word

Ein erster offener Brief entstand noch im Oktober 2006 und wurde von 38 muslimischen Intellektuellen an Papst Benedikt XVI. gesandt. Nach einer größeren Konferenz in Amman kam es genau ein Jahr nach dem ersten Offenen Brief am 13. Oktober 2007 zur Veröffentlichung des „Briefes der 138“ muslimischen Gelehrten, der nun an viele wichtige Vertreter christlicher Kirchen verschiedener Konfessionen gerichtet war. Weil der Originaltitel „An Open Letter and Call from Muslim Religious Leaders“ etwas unhandlich ist, wird dieser zweite Offene Brief entweder nach der Zahl der Erstunterzeichner oder nach einem dem Haupttext vorangestellten Koranzitat aus Sure 3,64 benannt: „A Common Word Between Us and You“ (Ein Wort, das uns und euch gemeinsam ist“, abgekürzt als „A Common Word“. Eine offizielle Webseite sammelt international die Reaktionen und bietet weitere Hintergrundinformationen an (http://www.acommonword.com).

Treibende Kraft hinter dieser Dialoginitiative ist das Königliche Aal al-Bayt-Institut in Jordanien, welches bereits in den Jahren 2004 und 2005 mit interreligiösen Botschaften an die Öffentlichkeit getreten war und sich darum bemüht, die Spannungen zwischen Muslimen, Christen und Juden abzubauen.

Struktur und Inhalt

Der Brief beginnt mit einer langen Liste der christlichen Empfänger, wobei das Bemühen erkennbar ist, alle christlichen Traditionen einzubeziehen, indem neben Papst und orthodoxen Patriarchen auch die Leiter protestantischer und freikirchlicher Weltbünde sowie der ÖRK angesprochen werden. Auf eine Inhaltsangabe und Kurzfassung folgt der eigentliche Brieftext in drei Teilen: 1. Die Liebe zu Gott, 2. die Nächstenliebe, 3. „Kommt herbei zu einem Wort, das uns gemeinsam ist“ - eine Aufforderung zu friedlichem Miteinander in der Welt aufgrund der in 1. und 2. dargelegten Gemeinsamkeit in den Grundaufgaben der Gottesliebe und der Nächstenliebe.

Bedeutung

Positiv zu würdigen und in dieser Weise bislang ohne Beispiel sind an diesem Dialogangebot vor allem drei Aspekte:

  • Der Brief stellt die Liebe in den Mittelpunkt des Glaubens, speziell in der inneren Beziehung von Gottesliebe (hier allerdings islamisch nur verstanden als Liebe zu Gott) und Liebe zum Nächsten.
  • Es werden neben dem Koran auch ausführlich biblische Texte zitiert.
  • Die breite Basis der Absender wie der Empfänger des Briefes zeigt die Suche nach echter Verständigung.

Zu sehen ist freilich auch, dass das Gesprächsangebot im islamischen Kontext verbleibt und christliche Positionen nicht gemäß dem christlichen Selbstverständnis beschreibt, sondern in der islamischen Deutung präsentiert.

Christliche Reaktionen

Inzwischen sind zahlreiche Reaktionen aus verschiedenen christlichen Kirchen erfolgt. Der Ökumenische Rat der Kirchen hat einen weltweiten Konsultationsprozess gestartet, um zu einer von den Mitgliedskirchen gemeinsam verantworteten Stellungnahme zu finden und hat dazu eine Handreichung erarbeitet. Im Herbst 2009 wird der ÖRK eine Weltkonferenz dazu veranstalten. Die bisher eingegangenen Antworten decken ein breites Spektrum verschiedener christlicher Traditionen ab. Es gibt geradezu enthusiastische Begrüßungen des Dialogangebotes ebenso wie kritische Begutachtungen, welche den Brief als Beispiel islamischer Da‘wa („Einladung zum Islam“, Mission) lesen. Eine inhaltlich eigenständige Antwort hat nach Konsultation mit anderen christlichen Kirchen (u.a. auch der EKD) der Erzbischof von Canterbury, Rowan Williams unter dem Titel „A Common Word for the Common Good“ (Ein gemeinsames Wort für das gemeinsame Wohl) verfasst.

Dokumentation als EZW-Text 202

Dialog auf oberer Ebene ist wichtig, aber er kann nur dann Früchte tragen, wenn er mit der Basis verbunden bleibt. Das ist bei der Diskussion um den Brief der 138 muslimischen Gelehrten bislang noch zu wenig der Fall. Auf der Ebene der Gemeinden ist der Brief trotz seiner historischen Bedeutung weithin unbekannt. Dies mag damit zusammenhängen, dass der Text zunächst nur in englischer Sprache vorlag und für viele Publikationsorgane zum Abdruck zu unhandlich war.

Dr. Friedmann Eißler von der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen hat diesen Text zusammen mit den wichtigsten bisher erschienenen Reaktionen in einem EZW-Text dokumentiert, der diese Dokumente für Gesprächskreise und interessierte Gemeindegruppen erschließt. Neben dem deutschen Wortlaut des Offenen Briefes und einem ergänzenden Kommuniqué muslimischer Gelehrter vom Oktober 2007 sind in chronologischer Reihenfolge die wichtigsten Reaktionen dargestellt und einleitend kurz kommentiert. Abgedruckt sind die deutschen Texte der Stellungnahmen von:

  • Yale Divinity School (New Haven/USA)
  • Barnabas Fund (Initiative für christliche Minderheiten in islamischen Ländern)
  • Samir Khalil Samir SJ (im Libanon lehrender Jesuit)
  • Christian Troll SJ (Deutsche Bischofskonferenz/Christlich-Islamischer Dialog)
  • Mor Eustathius Matta Roham (Erzbischof von Mesopotamien und Euphrat)
  • Internationale Konferenz Bekennender Gemeinschaften
  • Ökumenischer Rat der Kirchen
  • Weltweite Evangelische Allianz
  • Alexij II. (Patriarch der Russisch-Orthodoxen Kirche)
  • Evangelische Akademie Bad Boll
  • Rowan Williams (Erzbischof v. Canterbury)
  • Abschlusserklärung der Yale Common Word Conference

Der EZW-Text Nr. 202 kann bei der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen in Berlin angefordert werden: 030-28395-211 oder info@ezw-berlin.de

 

Dr. Harald Lamprecht

ist Beauftragter für Weltanschauungs- und Sektenfragen der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens und Geschäftsführer des Evangelischen Bundes Sachsen.

Artikel-URL: https://www.confessio.de/artikel/219

Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 2/2009 ab Seite 12