Das Erschrecken

Was uns der rechtsextreme Terror klarmachen sollte

Die Aufdeckung der Mordserie der Zwickauer Neonazigruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) hat die deutsche Politik aufgerüttelt - etwas zumindest. Das ist auch gut so, denn das Phänomen kann und darf nicht länger unter den Tisch gekehrt werden. Die Dimension des rechtsextremen Terrors hat viele erschreckt. Für diejenigen, die sich schon länger mit der Thematik befassen, ist die Überraschung bei weitem nicht so groß. Im Gegenteil, Opferberatungsstellen und andere Initiativen haben schon lange und immer wieder darauf hingewiesen, dass rechte Gewalt zielgerichtet und systematisch gegen diejenigen eingesetzt wird, die als Feind klassifiziert werden. Aber sie wurden nicht gehört. Ein Indikator dafür ist die Diskrepanz bei den Zahlen. Die Statistiken der Opferberatungsstellen weisen regelmäßig deutlich höhere Zahlen rechter Gewalttaten aus, als von den offiziellen Stellen bestätigt werden. Zur Erklärung wurde darauf hingewiesen, dass eben nicht jede Straftat, die ein Mensch mit rechtsextremer Gesinnung begehe, auch eine Tat mit solcher Motivation sei. Das ist als Fakt zweifelsohne richtig. Aber offenbar ist mit dieser Begründung viel zu oft nicht ausreichend auf den Zusammenhang geachtet worden. Wenn nun die Aufmerksamkeit in dieser Hinsicht etwas zugenommen hat, dann ist das ein Schritt in die richtige Richtung.

Rechts-links-Ablenkungen

Wer sich mit Rechtsextremismus kritisch auseinandersetzt, muss (leider) immer wieder erleben, dass quasi gebetsmühlenartig vor dem Linksextremismus gewarnt und ein ebensolches Agieren dagegen gefordert wird. Die aktuellen Fälle zeigen wieder, wie unpassend diese Gleichsetzung ist und Äpfel mit Birnen verglichen werden. Deutlich wird dies insbesondere, wenn man einen Blick auf 1) die gegenwärtige Bedrohungslage, 2) die Opfergruppen, 3) die Sozialstruktur und 4) den Rückhalt in der Bevölkerung bedenkt.

Zeiten

Die letzten Terroranschläge mit linksextremem Hintergrund waren die der RAF in den 1970er Jahren. In der Gegenwart gibt es so gut wie keine Mordopfer mit linksextremem Hintergrund. Dem stehen über 150 Todesopfer rechter Gewalt seit 1990 in Deutschland gegenüber. Die Gefahr, von einem Mitglied der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands (MLDP) gewaltsam seines Lebens beraubt zu werden ist um Dimensionen geringer, als einem rechten Schlägertrupp in die Fänge zu geraten. Freilich hängt dies noch etwas davon ab, wer man ist.

Opfergruppen

Die Opfer der RAF waren hoch gestellte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Ihre Anschläge richteten sich gegen das Establishment. Entsprechend groß war das allgemeine Aufsehen und die Erinnerung daran bis heute.

Die Opfer der Zwickauer Terrorzelle waren (ehemalige) Ausländer. Im Zielbereich rechter Gewalt sind vor allem Menschen am Rande der Gesellschaft: Ausländer, Obdachlose, Zigeuner. Diese haben keine Lobby in unserem Land. Deren Tod verursacht keinen gesellschaftlichen Aufschrei, sondern nur eine kurze Zeitungsnotiz, die bald wieder vergessen ist. Dazu kommen die politischen Gegner, also in erster Linie diejenigen, die als politisch „links“ klassifiziert werden. Es gibt mehrere Orte in Sachsen, wo sich Jugendliche mit bunten Haaren abends nicht mehr allein auf die Straße wagen. Aber weil die ja ohnehin selbst unter pauschalem Extremismusverdacht stehen (man denke nur an die RAF und die Untaten der SED...) nimmt sich der Durchschnittsbürger deren Leiden auch nicht so zu Herzen. Für die Lokalpolitiker ist es zudem viel einfacher, dies als Konflikte zwischen rivalisierenden Jugendbanden aus gegensätzlichen politischen Lagern darzustellen, als sich nachhaltiger mit den Ursachen auseinanderzusetzen. Eine solche Haltung ist kurzsichtig und gefährlich. Jeder, der nicht mit der rechtsnationalen Weltsicht der braunen Killer harmoniert, kann sich über kurz oder lang auf der Abschussliste wiederfinden. Die GESTAPO hat seinerzeit auch zuerst ihre politischen Gegner ausgeschaltet, bevor später auch einflussreiche Intellektuelle einfach so verschwanden. Die deutsche Geschichte sollte uns hier sehr zur Wachsamkeit ermahnen.

Wenn wir aufhören, die Menschen, die unter uns leben, in ihrer Würde zu verteidigen, egal welche Haut- oder Haarfarbe sie haben, dann haben wir verloren - nicht nur unseren Anstand, sondern möglicherweise bald auch das eigene Leben. Wo es die Gesellschaft versäumt, den Opfern von Gewalt Anteilnahme, Schutz und Unterstützung zukommen zu lassen, ist es nicht verwunderlich, wenn die so im Stich gelassenen selbst zum Gegenschlag aufrüsten. Es gibt auch in der Antifa-Szene eine zunehmende Gewaltbereitschaft, die mit Sorge erfüllen kann. Wenn das Vertrauen in das Gewaltmonopol des Staates erschüttert ist, steigt der Drang zur Selbstjustiz. Eine solche Entwicklung ist zum Schaden der Demokratie. Stoppen kann man sie nur, wenn man die Ursachen in den Blick nimmt.

Sozialstruktur

Das Problem des Rechtsextremismus ist nicht nur ein Phänomen einiger weniger verwirrter jugendlicher Dummköpfe. Die gibt es gewiss auch. Aber dahinter stehen Strukturen. Die Kameradschaftsszene verbindet ideologischen Anspruch mit schlagkräftiger Organisation an der Grenze und oft auch jenseits der Grenze organisierter Kriminalität. Währenddessen bemüht sich die NPD um das Image des netten Nachbarn von nebenan, der sich um die Probleme vor Ort kümmert - und ist damit erschreckend erfolgreich. Sie sitzt zum zweiten Mal im sächsischen Landtag und in vielen kommunalen Räten. Dafür kassieren sie nicht unbeträchtliche Steuermittel. Das ist Geld, welches wiederum in den Aufbau neuer Strukturen gesteckt werden kann.

Rückhalt

Rechtsextremismus ist geprägt durch die Kombination von Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus mit einem übersteigerten Nationalgefühl (Chauvinismus) und der Befürwortung autoritativ-diktatorischer Herrschaftsformen (der Ruf nach dem starken Mann). Verbindendes Element ist eine letzlich rassisch bestimmte Ideologie der Ungleichwertigkeit (Ausländer haben weniger Rechte als Deutsche...) und eine Verharmlosung der Verbrechen des Nationalsozialismus. Diese Elemente für sich betrachtet finden in der breiten Bevölkerung z.T. erschreckend hohe Zustimmungswerte. Verschiedene empirische Studien haben gezeigt, dass auch die Kirchen davon nicht verschont sind. Dieser Widerspruch zwischen Sein und Sollen, zwischen Glaubensanspruch und Wirklichkeit macht betroffen. Fremdenfeindlichkeit ist in Sachsen ein ernsthaftes Problem, leider auch unter Christen. Sie wird oft unterschwellig davon verstärkt, dass mit der fremden Kultur auch eine fremde Religion verknüpft ist. An dieser Stelle kann nicht deutlich genug die biblische Mahnung wiederholt werden: „Die Fremdlinge sollst du nicht bedrängen und bedrücken, denn ihr seid auch Fremdlinge in Ägyptenland gewesen.“ (2. Mose 22,20)

Fazit

Das Problem des Rechtsextremismus lässt sich nur dann wirkungsvoll bekämpfen, wenn man diese Elemente in den Blick nimmt und die fruchtlosen rechts-links-Gleichsetzungen unterlässt, die keinen anderen Effekt haben, als immer wieder vom Kernthema abzulenken.

Sollte tatsächlich eines Tages der Linksextremismus zu einer ähnlichen Bedrohung der Freiheit in Deutschland heranwachsen, dann wird es auch nötig sein, sich ihm genauso entschlossen in den Weg zu stellen und dessen Ursachen zu bedenken. Diese sind aber mit Sicherheit andere und erfordern andere Mittel und Methoden. In einem Aufwasch kann man sie nicht sachgerecht behandeln. Gegenwärtig kommt der Terror definitiv nicht von links.

Harald Lamprecht

 

 

 

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Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 5/2011 ab Seite 18