Wege zur Verständigung
Voraussetzungen
Fruchtbringende Gespräche haben Voraussetzungen. Diese zu schaffen ist immer der erste Schritt, denn sie bilden gewissermaßen das Fundament. Die weiteren Elemente bauen darauf auf.
1) Den eigenen Standpunkt klären. Ein verbreiteter Irrtum besteht in der Meinung, keine eigene Position oder eine unklare Positionierung sei nützlich oder sogar Voraussetzung für Dialog, weil damit Offenheit einhergehe. Das ist falsch. Nur von einem befestigten Ufer aus kann man eine tragfähige Brücke bauen. Die Erfahrung besagt: Die Bereitschaft zur offenen Wahrnehmung anderer Positionen ist sogar leichter, wenn die eigene Position geklärt ist. Wer weiß, wo er zu Hause ist, kann sich auch andere Wohnungen ansehen, ohne gleich dort einziehen zu wollen. Im Gegenteil zeigt die Erfahrung, dass eine aggressive Abwehr des Anderen ein deutliches Zeichen für die Schwäche des eigenen Standpunktes darstellt: Ich bin mir meiner Sache so unsicher, dass ich es nicht wagen kann, in ein offenes Gespräch einzutreten. Stattdessen muss ich mir den Anderen mit Polemik und Feindseligkeiten so weit auf Abstand halten, dass nicht einmal die Spur einer Versuchung entsteht, ihm überhaupt zuzuhören.
2) Eine gemeinsame Basis finden. Jedes Gespräch, das auf Verständigung ausgerichtet ist, braucht irgendeinen gemeinsamen Anknüpfungspunkt, der von beiden Seiten akzeptiert ist. Diese gemeinsame Basis muss nicht zwingend in dem Themenbereich liegen, um die es geht. Ohne gemeinsam akzeptierte Aussagen gibt es aber keine Annäherung. Möglicherweise muss manchmal sehr weit zurückgegangen werden, um da etwas zu finden. Es ist aber unerlässlich.
Im ökumenischen Gespräch gibt es eine solche gemeinsame Basis im Grund immer schon in der gemeinsamen Überzeugung, dass das Christentum im Kern eine gute Religion ist. Auf dieser Basis kann man darüber diskutieren, was zu einem guten Christentum dazu gehört und was nicht, was seine Grundlagen sind (Bibel, Tradition?) und was nicht (neue Offenbarungen…) usw.
Im interreligiösen Gespräch gibt es diese gemeinsame Basis gerade nicht in der Religion. (Im Gegenteil, da liegt die Fundamentaldifferenz, welche Religion die richtige ist.) Für die Verständigung wird hier die gemeinsame Basis in der Regel auf der Ebene des Menschseins gefunden: Ich habe als Mensch genauso viel Recht, für meine Religion zu streiten und diese gut zu finden, wie du für deine Religion. Möglicherweise ist einer von uns beiden im Irrtum. Aber auf der Ebene des Menschseins sind wir prinzipiell gleichwertig und können darum vergleichen: Was bedeutet meine Religion für mich und wie hilft sie mir oder engt mich ein und wie ist das bei dir mit deiner Religion?
3) Vertrauen wagen. Zu einem sinnvollen Gespräch gehört auch ein Mindestmaß an Vertrauen gegenüber dem Gesprächspartner. Mentale Abrüstung ist oft nötig. Es funktioniert nicht, wenn ich dem anderen permanent Böses unterstelle. Eine Hermeneutik des Verdachts („Die lügen alle! Das ist nur ein taktisches Argument!“) vereitelt jeden Gesprächsfortschritt. Stattdessen ist unverzichtbar, gegenseitig Ehrlichkeit vorauszusetzen: Das, was du sagst, das meinst du auch, genauso wie auch ich das meine, was ich sage.
Methoden
Wenn diese drei Voraussetzungen erfüllt sind, kann ein Gespräch Frucht bringen. Im ökumenischen Dialog sind im Laufe der Jahrzehnte eine Reihe von weiteren Erkenntnissen und Methoden entwickelt worden, die als Instrumente in diesem Verständigungsprozess dienen.
4) Genau zuhören: Die Basis eines Gespräches ist es, dem Gesprächspartner möglichst genau zuzuhören. Das bedeutet vor allem, die immer vorhandenen eigenen Vorurteile und Zuschreibungen erst einmal zurückzustellen, weil sie ein wirkliches Verstehen verhindern können. Es geht nicht nur darum, zu erkennen: Was glaubt mein Gegenüber?, sondern auch: Warum ist dieser Person das wichtig? Was genau ist ihr daran wichtig – und was weniger? Wo liegt der Schwerpunkt?
Es ist immer leicht, sich den Gegner nach dem Pfeil zu schnitzen, den man auf ihn abschießen möchte. Das hilft aber nicht. Hier geht es darum, die vermeintlichen Differenzen auf die tatsächlichen zu reduzieren. Keine Sorge – es bleiben immer genügend übrig. Entscheidend ist aber der Verzicht auf verzerrende Überzeichnungen und polemische Übertreibungen.
Manchmal geht es an dieser Stelle auch gar nicht viel weiter. Eine realistische gegenseitige Wahrnehmung ist alles, was mitunter zu erreichen ist. Aber das ist auch schon sehr viel: Auf der Basis der drei genannten Voraussetzungen den anderen ohne Polemik in seinem Sein und Wollen verstehen zu können – das ist schon eine Menge im Vergleich dazu, all das nicht zu haben.
Das Motto des Konfessionskundlichen Instituts des Evangelischen Bundes lautet „Den Nächsten kennen wie sich selbst“. Darin ist dieses Ziel ausgedrückt. Ich weiß selbst auch um meine inneren Spannungen, ungelösten Rätsel und Widersprüchlichkeiten. Solches beim anderen wahrzunehmen und zu beschreiben (sogar auch zu kritisieren!), ohne mich deshalb über ihn zu erheben und blind zu werden für die eigenen dunklen Flecken – das ist schon ein erheblicher Fortschritt im Miteinander.
5) Gemeinsamkeiten und Unterschiede angemessen gewichten: In der abgrenzenden Polemik überwiegt der Blick auf Unterschiede und der Trend, Gegensätze zu überschärfen. Eine möglicherweise weit reichende gemeinsame Basis wird dabei oft übersehen, weil ein Unterschied im Detail auf das Ganze ausgedehnt wird.
Ein banales Beispiel: Äpfel und Birnen sind nicht gleich. Sie unterscheiden sich in Form, Geschmack, Reifungsverhalten u.v.a.m. Allerdings sind beide Obst, haben also viel mehr gemeinsam als Äpfel und Stühle oder Birnen und Hunde. Äpfel und Birnen sind gleichermaßen zur Ernährung geeignet und können gut auf demselben Teller Platz finden. Das leugnet nicht ihre Unterschiede, stellt sie aber in den angemessenen Rahmen. Auch fanatische Apfelfreunde können dann zugeben, dass auch Birnen (manchmal) essbar sind. In dieser Hinsicht sind Äpfel und Birnen dann eben doch gleich.
Im Kern geht es also darum, Widersprüche aufzulösen, indem man genauer hinschaut und Unterscheidungen vornimmt. Wo genau liegen die Unterschiede? In welchen anderen Bereichen gibt es vielleicht doch Übereinstimmungen? Dies ermöglicht dann mitunter eine andere Bewertung und Gewichtung der verbleibenden Unterschiede im Verhältnis zu den Gemeinsamkeiten.
6) Differenzierter Konsens: In der ökumenischen Arbeit ist der Begriff des „differenzierten Konsens“ wichtig und erstmalig im Dokument „Lehrverurteilungen – kirchentrennend?“ entwickelt worden. Was bedeutet er? Auch hier geht es um eine Unterscheidung von Wesenskern und Begleitumständen. Der Fokus liegt aber nicht auf der Frage von „Gleichheit“, sondern ob die eine Sichtweise die andere wirklich ausschließt. Wenn man durch genaues Zuhören (4) und angemessene Wichtung (5) der Differenzen zu dem Ergebnis kommen kann, dass die Positionen zwar unterschiedlich sind, aber dem Kernanliegen der jeweils anderen Seite nicht widersprechen, dann können die verbleibenden Unterschiede in den Details der Ausgestaltung ausgehalten werden.
7) Versöhnte Verschiedenheit: Eng mit dem differenzierten Konsens ist die „versöhnte Verschiedenheit“ verbunden. Darin drückt sich die Erkenntnis aus, dass das Ziel der ökumenischen Bemühung keine uniforme Gleichförmigkeit ist. Das bedeutet: Es gibt eine legitime Vielfalt und Unterschiedlichkeit an Auffassungen. Wichtig ist lediglich, dass diese im Sinn des „differenzierten Konsens“ so beschaffen sind, dass dennoch Gemeinschaft miteinander möglich ist. Welches Maß an Homogenität ist also das Ziel? Wie viel Vielfalt lässt sich aushalten? Brauche ich eine vollkommene Einheit? Ist sie überhaupt ein erstrebenswertes Ziel? Oder genügt es, wenn wir uns gegenseitig aushalten und vielleicht sogar akzeptieren können?
In der Bibel ist das Miteinander der Christen ganz überwiegend mit dem griechischen Wort „Koinonia“ – „Gemeinschaft“ ausgedrückt. Gemeinschaft ist keine Einheit. Sie ist das Miteinander von Verschiedenem.
Für jede menschliche Gemeinschaft ist also zu bestimmen, wie hoch das Maß an Übereinstimmung sein muss, damit Gemeinschaft entstehen kann, und wie groß die innere Vielfalt dennoch sein darf, damit auch Freiheit möglich ist.
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