Der Staat und die Kirchenfinanzen

Warum der Staat ein Interesse an der gesellschaftlichen Arbeit von Weltanschauungsgemeinschaften hat

Laizismus ist die entschiedene Trennung von Staat und Religion. In der westlichen Welt wird meist Frankreich als Beispiel für einen laizistischen Staat genannt. In Deutschland gibt es zwar eine formale Trennung von Staat und Kirche, man findet jedoch auch vielfältige Formen von Zusammenarbeit und Kooperation. Dadurch ist die Religion nicht in dem Bereich des Privaten zurück gedrängt, sondern sie bleibt Teil des öffentlichen Lebens. Man spricht daher von einer „hinkenden Trennung“ von Staat und Kirche.
Dieses Konzept hat sich bewährt und ist im Grundgesetz verankert. Der Staat bleibt weltanschaulich neutral, hat aber großes Interesse daran, dass die Religionsgemeinschaften das gesellschaftliche Leben mit gestalten. Daher unterstützt der Staat bestimmte Formen der kirchlichen Bildungsarbeit, die Militärseelsorge, die Ausbildung von Theologen an staatlichen Universitäten usw. Ihren wichtigsten Ausdruck findet diese Unterstützung z. B. darin, dass die Beiträge zur Kirchensteuer steuermindernd geltend gemacht werden können. Alles dies ist klar gesetzlich geregelt. Bei den Staatsleistungen für die Kirchen handelt es sich nicht um Almosen oder gar Geschenke. Von Rechts wegen können diese ebenso von anderen Religionsgemeinschaften, die entsprechende gesellschaftliche Bedeutung haben bzw. den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts aufweisen, in Anspruch genommen werden.

Laizistischer Arbeitskreis

Nun gibt es jedoch immer wieder Bemühungen, diese „hinkende“ Trennung in eine entschiedene Trennung abzuwandeln und Deutschland zu einem laizistischen Staat zu machen. Diese Idee verfolgen jene, denen der gesellschaftliche Einfluss der Kirchen ein Ärgernis ist. Oft heißt es: wenn der Staat sparen muss und Subventionen abbaut, dann kann er ja bei der steuerlichen Absetzbarkeit der Kirchensteuer anfangen. Seit dem Sommer werden diese Tönen wieder lauter.
So gab es Versuche, in der SPD einen laizistischen Arbeitskreis zu gründen. Mehr als fünfzig SPD-Mitglieder aus ganz Deutschland sind Mitte Oktober 2010 zusammengekommen, um Ziele und Selbstverständnis der neuen Gruppierung in der SPD zu erarbeiten. Die Gründung wurde seit Jahren in verschiedenen Internetforen vorbereitet. Zu den prominenten Unterstützern gehören zahlreiche SPD-Landtags- und Bundestagsabgeordnete, darunter Gerd Andres, Bundesstaatssekretär a.D. sowie Ingrid Matthäus-Maier, viele Jahre stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion und Mitglied im Beirat der religionskritischen Giordano-Bruno-Stiftung. Die SPD-Parteispitze reagierte vorerst kritisch und untersagte ihren Mitgliedern die Verwendung des Parteinamens in diesem Zusammenhang. Man ließ sogar die Internetpräsenz abschalten, da sie den Namen der SPD unzulässigerweise verwendet habe. Das aber schreckt nicht ab. Und so ist die Homepage inzwischen unter neuer Bezeichnung wieder online.

LAK Laizismus in Bayern

Auch bei Bündnis 90 / Die Grünen wittern Laizisten Morgenluft. Ausgerechnet im Bayerischen Landesverband steht die Gründung eines Arbeitskreis Laizismus bevor. Wenige Tage vor Weihnachten soll es soweit sein. In einem internen Text heißt es: „Der LAK Laizismus soll bayerische Grüne versammeln, die sich für die Trennung von Kirche und Staat engagieren, kirchliche Privilegien abschaffen und das Verfassungsgebot einer säkularen Gesellschaft umsetzen wollen. Das beschert uns einen bunten Strauß an Themen, genannt seien hier nur beispielsweise die Zahlungen des Staates an die Kirchen aufgrund der Konkordate, der Religionsunterricht, religiöse Symbole in öffentlichen Gebäuden, die Privilegierung von Tendenzbetrieben, der Kirchensteuereinzug durch das staatliche Finanzamt …“ In der FDP gibt es schon seit längerer Zeit Kräfte, welche die Staatsleistungen an die Kirchen infrage stellen. FDP-Generalsekretär Lindner hatte sich kürzlich klar gegen diese Leistungen ausgesprochen. In der Partei Die LINKE wird schon länger über die „hinkenden Trennung“ gestritten. Zur Diskussion stehen die bereits erwähnten Fragen nach Militärpfarrern, staatlich bezahlten Religionslehrern sowie kirchlichen Einrichtungen, die, wie z. B. Krankenhäuser, mitunter zu 85 % vom Staat finanziert werden.

Violettbuch Kirchenfinanzen

Da passt es wie die sprichwörtliche „Faust aufs Auge“, dass Carsten Frerk in diesen Tagen im kirchenkritischen Alibi-Verlag sein „Violettbuch Kirchenfinanzen - Wie der Staat die Kirchen finanziert“ vorlegt. Frerk hat in den letzten Jahren wiederholt zu den Finanzen von Kirchen, Diakonie und Caritas publiziert. Auch jetzt trägt er wieder eine Fülle von Informationen zusammen, um so seine These zu erhärten, der Staat würde in unredlicher Weise die großen Kirchen finanzieren. Das Buch ist keine streng wissenschaftliche Darstellung, sondern eher eine Streitschrift, die eine vorgefasste Meinung stützen soll. Die vorgefasste Meinung lautet: Die Kirchen bitten den Staat in geradezu ungeheuerlicher Weise zur Kasse, sie tun das mit Tricks und Winkelzügen und verschweigen ihren eigenen Mitgliedern und der Öffentlichkeit darüber die Wahrheit. Dazu einige Zitate: Die Kirchen „lassen sich nicht in die Karten schauen“ (S. 13), ziehen „den Gläubigen das Geld aus der Tasche“ (S. 14), sind „nicht zimperlich“ wenn es um Geld geht (S. 111) und treiben „mentalen Kindesmissbrauch“ (S. 133).

Polemische Suggestion

Wie man sieht, polarisiert Frerk. Der Autor hat eine Fülle von Informationen zusammen getragen und ermöglicht einen interessanten Einblick in ein oftmals unbeachtetes Thema. Das Problem der enormen Materialfülle sind jedoch die Deutung der Zahlen und der polemische Unterton. So suggeriert Frerk fortwährend, dass die Staatsleistungen an die Kirchen irgendwie anrüchig wären. Dazu muss man festhalten: Die Leistungen sind juristisch korrekt. Wenn der Autor oder einzelne von ihm befragte Personen oder gar Mitglieder des Deutschen Bundestages das nicht wissen, so ist das Ausdruck von Unkenntnis, aber kein Indiz dafür, dass hier irgendwas nicht mit rechten Dingen zugehen würde.

Erstaunliche Zahlen

Ich räume gern ein, dass Frerk erstaunliche Zahlen präsentiert. In seinen Augen beweisen erstaunliche Zahlen, dass hier erstaunliches Unrecht geschieht. Man kann aber auch sagen, dass die erstaunlichen Zahlen zeigen, dass die beiden christlichen Kirchen in Deutschland eben nicht irgendwelche zweitrangigen Vereine, sondern die mit Abstand größten „Player“ in der Gesellschaft sind. In Deutschland sind ca. 60% der Bevölkerung Mitglied einer der beiden großen Kirchen und sie sind das nicht, weil sie nur zu faul zum Austreten wären. Zwischen vier und fünf Millionen gehen Sonntags in die Kirche. Das ist eine Zahl, die weit über der Zahl der Besucher von Bundesligaspielen liegt und weit über der Zahl der Mitglieder der säkularen Organisationen – einer Zahl, welche bei der Pressekonferenz des KORSO am 15. November 2010 übrigens vorsätzlich verleugnet wurde.

Kirchentag bringt Gewinn

Zur Problematik der von Frerk präsentierten Zahlen bzw. zur Problematik der Interpretation nur ein Beispiel: Der Kirchentag in Bremen (2009) wurde vom Land mit 7,5 Mio. Euro gefördert. So wie der Autor diese Zahl präsentiert („Die Freien Hansestädte … müssen besonders großzügig zahlen“ S. 207) suggeriert er, der Bremer Senat wäre ein willfähriges Werkzeug der Kirchen und „müsse“ deren Anweisungen ausführen. Bremen hat jedoch hart verhandelt und im Ergebnis sehr viel Geld zur Verfügung gestellt, weil Kirchentage auch viel Geld in die Kassen der Städte bringen und Werbung für eine ganze Region sind. Selbst die Loveparade wurde in nennenswertem Umfang mit öffentlichen Geldern gefördert. Großveranstaltungen sind unter bestimmen Voraussetzungen förderungswürdig – auch ein atheistisches Superfest mit 100.000 Teilnehmern würde wohl in ähnlicher Weise gefördert werden. Da ist sie wieder, die „hinkende Trennung“ von Staat und Religion.

Keine Mauschelei

Inzwischen hat der Leiter der Finanzabteilung im Kirchenamt der EKD die von Frerk vorgetragenen Zahlen bzw. ihre Deutung als „unsinnig“ und „abenteuerlich“ bezeichnet. Aber damit ist die Diskussion noch nicht zu Ende. Denn meist werden Vorhaltungen wie die von Frerk in den Medien unkritisch aufgegriffen.

Die Kirchen müssen viel besser erklären, warum die „hinkende Trennung“ für Kirche und Gesellschaft ein Gewinn ist. Hier geht es nicht um Mauschelei. Denn die Kirchen übernehmen Aufgaben, die der Staat gar nicht bewältigen kann. Gerade in Zeiten der Spardiskussionen muss man diesen laizistischen Tönen mit ruhigen Argumenten begegnen. Dies gilt besonders im Osten Deutschlands, wo kirchenkritische Töne meist auf fruchtbaren Boden fallen.

 

Dr. Andreas Fincke

ist Leiter der Stadtakademie und Studentenpfarrer in Erfurt. Zuvor war er u.a. Referent bei der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen in Berlin. 

Artikel-URL: https://www.confessio.de/index.php/artikel/260

Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 6/2010 ab Seite 04