Der Reichsdeputationshauptschluss

Der Grund für die Staatsleistungen

Stellen Sie sich vor, Ihr Großvater hat seinerzeit ein schönes Haus gebaut, das von ihm an Ihre Eltern und nun an Sie weitervererbt wurde und nun von Ihnen gepflegt und erhalten wird. In den Jahren hat es sich ergeben, dass Sie nicht selbst das Haus bewohnen, sondern Mieter eingezogen sind. Was würden Sie sagen, wenn diese Mieter eines Tages Ihnen schreiben, sie wohnen nun schon so lange hier und wollten daher keine Miete mehr zahlen. Das Haus gehöre doch jetzt faktisch ihnen, denn die Verträge seien ja schon so alt, das sei nun längst verjährt. Überhaupt hätten sie Ihren Großvater ja nie gekannt und sähen gar nicht ein, dass sie nun ihr Leben lang dafür bezahlen sollten, nur weil er und nicht sie selbst damals das Haus gebaut hatten.

Ungefähr in der Art dieses Briefes laufen gegenwärtig einige Debatten, in denen es um die Staatsleistungen an die Kirchen und ihre Ablösung geht. Nur die Zeiträume sind etwas größer, die Struktur der Argumentation ist hingegen sehr ähnlich. Zur Erläuterung ist ein größerer Blick in die Vergangenheit notwendig.

Als in der Zeit nach der Völkerwanderung die Wälder Germaniens allmählich gerodet wurden waren häufig christliche Klöster an vorderster Stelle in der Wildnis. Die Mönche machten Land urbar, das sie mit seinen Erträgen versorgte. Auch in späteren Jahrhunderten war die Versorgung der Pfarrer dadurch geregelt, dass ihnen ein Stück Land zugeteilt wurde (die „Pfarre“ - daher der Name), aus dessen Einkünften der Lebensunterhalt zu bestreiten war. Somit gab es etliche Ländereien, auf denen grundrechtlich bestimmte Lasten ruhten, nämlich die Versorgung der Pfarrer.

Nun gab es in der deutschen Geschichte verschiedene Entwicklungen, die zu einer Enteignung der Kirchen führten. Die größte und bedeutendste dieser Enteignungen geschah 1803 beim sogenannten „Reichsdeputationshauptschluss“. Als Entschädigung für Kriegsverluste im linksrheinischen Gebiet bekamen die deutschen Fürsten Güter zugeschlagen, die bislang den Bischöfen gehörten. Die Kirchen wurden durch Napoleon entschädigungslos enteignet. Für den Verlust an Herrschaft und Land gab es keinen finanziellen Ausgleich. Allerdings übernahmen die neuen Herren – also nun die weltlichen Fürsten – die Ländereien mit ihren Gütern und Lasten. Zu diesen Lasten gehört nach wie vor die Versorgung der Pfarrer und die Ermöglichung von Gottesdiensten. Nur dass dies nun nicht mehr der Bischof, sondern als neuer Besitzer der Landesfürst bezahlen musste, dem ja auch die umfangreicheren Erträge dieser Ländereien zufielen. Dies ist sozusagen der Beginn des Miet- oder genauergesagt Pachtverhältnisses.

In der Rechtsnachfolge der früheren Fürsten zahlt auch heute der Staat einen Teil aus den Erträgen (d.h. Steuern) aus den enteigneten Ländereien an die Kirchen. Zu einer Ablösung dieser laufenden Zahlungen (d.h. Auszug der Mieter und Rückgabe) sind die Kirchen durchaus bereit. Dann würden die Kirchen diese Ausgaben selbst wieder übernehmen können. Nur ist dies gegenwärtig für den Staat schwer finanzierbar. Keine Lösung – weder in rechtlicher, noch in praktischer Hinsicht – ist jedoch die von uninformierten oder böswilligen Personen gelegentlich geforderte ersatzlose Streichung dieser Staatsleistungen. Dies käme rechtlich einer Auflösung sämtlicher Eigentumsverhältnisse aus „alten“ Verträgen gleich. Welcher Mieter bräuchte dann noch seine Miete zahlen?

Dr. Harald Lamprecht

ist Beauftragter für Weltanschauungs- und Sektenfragen der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens und Geschäftsführer des Evangelischen Bundes Sachsen.

Artikel-URL: https://www.confessio.de/index.php/artikel/977

Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 6/2010 ab Seite 04