Potter Reloaded

Zum 5. Band "Harry Potter und der Orden des Phönix" (2003)

Am 8. November 2003 ist es soweit: Harry Potter Band 5 kommt in deutscher Übersetzung in die Bücherregale. Den Obdachlosenzeitungen hat der Vorabdruck des ersten Kapitels schon unerwarteten Gewinn beschert und auch sonst bricht das Buch etliche Rekorde in der Geschichte des Buchhandels. Die Erwartungen sind hoch – mancherorts mehren sich aber auch die Befürchtungen, dass dieses Buch Kinder und Jugendliche zu Magie und Zauberei anleiten würde. Was ist dran an diesen Wünschen und Ängsten?

Die äußere Situation ist bedrohlich: Der böse Zauberer Voldemort (in allen Potter-Bänden Inbegriff des Bösen) war zum Ende des 4. Bandes in einem grusligen Ritual wieder zur Existenz gekommen und sammelt nun im Verborgenen seine Getreuen. Jedoch: der Zaubereiminister weigert sich aus persönlichen Machtinteressen die Bedrohung und den Ernst der Lage anzuerkennen. Statt gegen Voldemort zu rüsten, bekämpft er Harry und Schulleiter Dumbledore. Albus Dubledoree, als Gegenpol zu Voldemort so etwas wie Inbegriff des Guten, ist Leiter des Ordens des Phönix. Dieser Orden ist nun keine magische Geheimorganisation nach esoterischem Vorbild (wie man es in dieser Phantasiewelt vermuten könnte), sondern schlicht ein Zweckbündnis der Kämpfer gegen Voldemort. Aufgrund der genannten ministerialen Fehleinschätzung muss er aus dem Untergrund agieren. Aus dieser Zwei-Fronten-Ausgangsstellung bezieht der 5. Band seinen Stoff und seine Spannung. Was dabei herauskommt, liest sich wie eine Mischung aus Widerstandsgruppen im 3. Reich, Verschwörungstheorie (traue keiner offiziellen Nachricht) und eigenen Erfahrungen im Rahmen der DDR-Volksbildung.

Harry Potter ist wieder ein Jahr älter geworden und kommt in die Pubertät. Dazu gehört der erste Kuß ebenso wie die schmerzvolle Erfahrung, dass die einstigen Idole Risse bekommen und z. B. die eigenen Eltern auch ihre Fehler haben. Die Autorin stand vor der schwierigen Aufgabe, die innere Reifung auch darin deutlich werden zu lassen, dass Gut und Böse nicht als absolute Größen außerhalb des Menschen existieren, sondern in Versuchlichkeit und Heldenmut auch innerhalb eines jeden Menschen miteinander ringen. Leider ist sie dabei auf halbem Wege stehengeblieben, indem das Böse in Harry allein als mentale Inbesitznahme durch Voldemort dargestellt wird. Die Gruseleffekte dieses Bandes liegen stärker auf der psychischen Ebene, etwa wenn sich Harry vergeblich bemüht, gegen die mentale Fernsteuerung durch Voldemort anzukämpfen. Ansonsten dominiert – vor allem im Finale – wilde Action. Man fragt sich, warum bei fehlgeleiteten Zaubersprüchen Einschlaglöcher entstehen müssen. Gerade an solchen Details zeigt sich aber wieder deutlich, dass die magische Welt des Harry Potter lediglich ein anderes Erscheinungsbild ansonsten sehr irdischer Vorstellungen und Lebensweisen darstellt. Mit einem esoterischen Verständnis von Magie hat sie nichts zu tun. Viel stärker sind die Einflüsse modernen Action-Kinos, wo wilde Verfolgungsjagden und Schießereien offenbar dazugehören, seien sie nun mit Maschinenpistolen oder mit Zauberstöcken. Selbst die Haupthandlung scheint davon massiv beeinflusst: Verständlich wird sie erst im Vergleich zu dem Film "Matrix", geht es doch in beiden um die geschichtsverändernde Kraft einer persönlichen Prophezeiung.

Positiv anzumerken ist die einfühlsame Auseinandersetzung mit dem Thema Tod und Sterben. Harry verliert einen lieben Freund (mehr soll hier nicht verraten werden). Der Trauerarbeit wird aber ausreichend Raum gewährt, wenngleich sie – das darf aus christlicher Perspektive kritisiert werden – in innerweltlicher Hoffnungslosigkeit verharrt.

Grundsätzlich gilt das zu den bisherigen Bänden gesagte auch hier: Harry Potter ist ein durchaus tugendhafter Held in einer phantasievollen Geschichte. Nicht die phantastische Bildwelt der Geschichte mit Hexen und Zauberern an sich ist gefährlich, denn sie bleibt bunte Phantasie. Zum Problem wird es, wo reale Menschen glauben, selbst Hexen oder Magier zu sein und versuchen, die Potter-Begeisterung für ihre Zwecke zu nutzen. Wo Magie nicht mehr im Reich der Phantasie angesiedelt wird, dort müssen die Alarmglocken schrillen. Nicht später, aber auch nicht eher.

Harald Lamprecht

Dieser Beitrag ist unter dem Titel "Mit Zauberstab und Einschlaglöchern" erschienen in der Wochenzeitung der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens, "Der Sonntag" Nr. 45, vom 9. November 2003 (ebenso in "Die Kirche" und "Glaube und Heimat").


Artikel-URL: https://www.confessio.de/artikel/127