Spannende Volksverdummung

Die Thriller von Dan Brown "Sakrileg" und "Illuminati"
Romane haben meist keinen hohen Anspruch auf Wahrheitstreue. Dennoch können Romane Vorstellungen und Meinungen ganzer Generationen prägen - besonders dann, wenn man von den geschilderten Rahmenbedingungen und -kulturen keine Ahnung hat. Karl May hat dies mit seinen phantasiereichen Schilderungen bewiesen und ein eigenes Klischee des Wilden Westens wie des Orients geprägt. Der Amerikaner Dan Brown ist gegenwärtig dabei, mit seinen Bestsellern in weiten Teilen der Bevölkerung ein völlig verzerrtes Bild der Kirchengeschichte und des christlichen Glaubens zu prägen. Seine Bücher „Illuminati“ und „Sakrileg“ sind enorm spannend, transportieren aber neben der offensichtlich fiktiven Story auch viele handfeste und ideologisch motivierte Fehlinformationen. Deren Verwechslung mit historisch belegten Tatsachen ist offenbar gewollt, denn beide Bücher enthalten einleitend einen kurzen Abschnitt, in dem die Faktizität der Rahmenelemente behauptet wird.

Action und Klischee

Das Grundmuster der Story ist in beiden Büchern fast austauschbar: Ein angesehener Wissenschaftler wird in einem hochtechnisierten öffentlichen Gebäude brutal ermordet, weil ihm ein Geheimnis abgepresst werden soll. Dabei wurde der religiös fanatische Mörder von einer aus dem Hintergrund agierenden Person quasi ferngesteuert, deren Identität erst im Finale alles auf den Kopf stellt. Zur Aufklärung der Verbrechen wird eilends die Hauptfigur der Bücher, der amerikanische „Symbolologe“ Dr. Robert Langdon hinzugezogen. Unterstützt von der jungen Tochter bzw. Enkelin des Ermordeten begibt er sich auf eine abenteuerliche und dramatische Suche nach der rätselhaften Geheimgesellschaft, die Anlass für die Morde war. Die erzielte Spannung und Action in Verbindung mit Klischeepflege würden auch James Bond zur Ehre gereichen. Allerdings handelt es sich bei den transportierten Klischees hier nicht um den martinirührenden und frauenverführenden englischen Gentlemen, sondern um religiöse Zerrbilder und populäre Irrtümer zu kirchengeschichtlichen Fragen.

Die Themen der Bücher sind zutiefst religiöse Themen. Es geht um das Verhältnis von Glaube und Wissenschaft, um weibliche Elemente im Gottesbild, das Leben Jesu, die Entstehung der Bibel und - ganz wesentlich - die Rolle von Geheimgesellschaften als Kritiker und Gegner der Kirche. Dabei wird die Frontlinie schnell deutlich: Die Geheimgesellschaft steht (in „Sakrileg“ noch deutlicher als in „Illuminati“) auf der Seite des Guten und kämpft im Untergrund gegen die Unterdrückung von Ideen („Wissen“ genannt) durch die böse Kirche. Das Glaubensbekenntnis, das der Autor seinen Protagonisten in den Mund legt, ist im Bereich zwischen esoterischer All-einheitsschau und neuheidnischer Naturvergötterung angesiedelt.

Glaube und Wissenschaft

In „Illuminati“ wird der Konflikt zwischen Glaube und Wissenschaft dramatisch inszeniert. Im CERN, dem modernsten Forschungszentrum für Elementarteilchen in der Kernphysik, wurde ein Behälter mit Antimaterie gestohlen und im Vatikan versteckt, wo er droht, in weniger als 24 Stunden die gesamte Vatikanstadt zu zerstören. Dass währenddessen gerade das Konklave zur Wahl eines neuen Papstes begonnen hat, sämtliche Kardinäle in der Sixtinischen Kapelle eingeschlossen sind und tausende Schaulustige auf dem Petersplatz lauern, trägt das Seinige zur Steigerung der Spannung bei. Gegenspieler ist die mysteriöse Geheimgesellschaft der „Illuminati“, die mit einer abwegigen Konstruktion zum „mächtigsten satanischen Kult auf Erden“ stilisiert werden. Zugleich wird damit der Satanismus umdefiniert: Er erscheint jetzt als eine legitime Widerstandsbewegung von angesehenen Wissenschaftlern gegen eine unterdrückerische Gewaltherrschaft der Kirche. Dies wird verbunden mit populären (latent antisemitischen) Verschwörungstheorien, die in „Illuminati“ eifrig und unhinterfragt propagiert werden. Die Illuminati hätten die Freimaurer ebenso unterwandert wie die amerikanische Regierung, internationale Banken und Konsortien und sogar den Vatikan. Die Pyramide auf der Ein-Dollar-Note muss immer wieder als Beweis dafür herhalten.

Verfälschte Kirchengeschichte

Im Vergleich zu „Sakrileg“ mutet „Illuminati“ trotz allem noch geradezu kirchenfreundlich an. „Sakrileg“, das im englischen Original „The Da Vinci Code“ heißt, scheint an Popularität die anderen Werke Dan Browns noch zu übertreffen. Durch das gesamte Buch ziehen sich Angriffe und Unterstellungen, die häufig in grober Vereinfachung „die“ Kirche für machtpolitisch motivierte Manipulationen und Unterdrückung der Geistesfreiheit verantwortlich macht.

Der „Mythos, der die Grundfesten der Kirche erschüttert“ (so die Werbung für „Sakrileg“) handelt vom Heiligen Gral. Der Gral - so erfahren die erstaunten Leser - sei das alte heidnische Symbol für das Göttlich-Weibliche, das vom Christentum systematisch unterdrückt worden sei. Unter Kaiser Konstantin sei der „Übergang der Welt vom heidnisch-matriarchalen Mutterkult zum patriarchalen Christentum mit einem Propagandafeldzug ohnegleichen durchgedrückt“ worden (172). Dazu habe nicht nur der „blutige Kreuzzug zur ‚Bekehrung‘ der Anhänger der alten heidnischen das Weibliche verehrenden Religionen“ in den Hexenverfolgungen gehört. Auch die nachträgliche Erklärung der Göttlichkeit Jesu sei von Konstantin auf dem Konzil von Nizäa im Jahre 325 aus machtpolitischen Gründen per Mehrheitsbeschluss durchgedrückt worden. Dazu habe Konstantin sogar eine neue Evangeliensammlung in Auftrag gegeben und finanziert, in der nur die zur Göttlichkeit Jesu passenden Texte aufgenommen werden durften. Fast alle anderen Texte habe Konstantin vernichten lassen. Lediglich die Schriftrollen, die in den Höhlen von Qumran gefunden wurden, hätten das alte Bild bewahrt, weshalb (wer hätte es nicht schon gedacht) der Vatikan versucht habe, die Veröffentlichung zu verhindern. (321ff.)

Der heilige Gral sei im Übrigen kein Gefäß, sondern eine Frau, „die ein Geheimnis von solcher Brisanz bewahrt hat, dass die Enthüllung [dieses Geheimnisses] das Christentum seiner Grundlage beraubt hätte!“ (Sakrileg, 329) Was ist dieses angeblich so spektakuläre „Geheimnis“, das die Kernthese des Buches bildet? Es ist die Behauptung, dass Jesus mit Maria Magdalena verheiratet gewesen sei und mit ihr auch Nachfahren gezeugt hätte, die über das fränkische Königsgeschlecht der Merowinger bis in die Gegenwart hinein überlebt hätten. Die Gralslegende sei nichts anderes als eine verschlüsselte Beschreibung dieser Tatsache. Um das Wissen von der wahren Bedeutung des Heiligen Grals und die Dokumente, die diese Dinge belegen könnten, im Untergrund zu bewahren, sei die Geheimgesellschaft der Prieure de Sion gegründet worden.

Warum die These, dass Jesus verheiratet gewesen sei, ungeheure Macht verleihen oder eine Offenbarung dieses „Geheimnisses“ gar das Christentum zerstören sollte, bleibt freilich etwas schwer einsichtig. Schließlich geht es im Christentum doch nicht um die sexuelle Unberührtheit Jesu, sondern um die Erlösung durch seinen Kreuzestod und die Auferstehung. Diese Kernaussagen des christlichen Glaubens finden in Sakrileg allerdings keine besondere Beachtung. Statt dessen wird sehr irdisch über einen „legitimen Machtanspruch“ (352) der Familie Jesu spekuliert und eine tendenziell ins Rassenmythische abgleitende Blutslehre entwickelt.

Vorläufer und Nachfolger

Die Grundaussagen der Argumentation hat sich Dan Brown nicht selbst ausgedacht. Sie entstammen dem bereits 1982 erstmalig erschienenen Buch des mittlerweile für reißerisch aufgemachte hoch spekulative Thesen berüchtigten Autorentrios Lincoln, Baigent und Leigh, „Der Heilige Gral und seine Erben.“ Bezeichnend ist, dass dieses Buch nun von Bastei-Lübbe in Nachauflage als „Muss für die Leser von Dan Browns Sakrileg” massenweise erneut auf den Markt geworfen wird. Überhaupt hat sich bereits ein Markt an Sekundärliteratur zu „Sakrileg“ entwickelt. Neben zahlreichen Internetseiten, die sich mit den im Roman angesprochenen Thesen befassen, sind auch Sachbücher im Handel, die den Anspielungen und Behauptungen mit mehr oder weniger ausgeprägtem Forschungsinteresse nachgehen. Erwähnt sei das Buch von Marc Hillefeld „Ein Code wird geknackt“. Zwar spürt man ihm an, dass es nicht von einem Wissenschaftler nach soliden Forschungen, sondern von einem Romanautor unter Zeitdruck geschrieben wurde. Aber es bemüht sich nach Kräften um die Vermittlung von Hintergrundwissen sowie die Unterscheidung von historischer Forschung und wilder Spekulation.

Wie nötig dies ist und wie schwer es unbedarften Lesern gelegentlich fallen mag, Fiktion und Realität in Dan Browns Büchern zu unterscheiden, beweist ein Fall einer Dresdner Gymnasiastin, die im Religionsunterricht im Rahmen der Behandlung von Sekten einen Vortrag über "Die Illuminati" gehalten hat. Mit dem Anspruch, historisches Faktenwissen zu präsentieren, wurden die Verschwörungstheorien aus Dan Browns Roman vorgetragen - ohne diese Quelle anzugeben und sich ihrer Fragwürdigkeit bewusst zu sein.

Warum sind diese Bücher so erfolgreich? Drei Punkte stechen besonders hervor:

1) Feindbild Kirche

Ein klares Feindbild vermag immer Emotionen zu bündeln. So hat das Feindbild „Kirche“ nicht nur im Sozialismus verordnete Anhänger gefunden, sondern wird auch heute oft gepflegt. Kreuzzüge, Schwertmission und Hexenverfolgung sind die wichtigsten der immer wiederkehrenden Schlagworte, mit denen 2000 Jahre Kirchengeschichte pauschal einen negativen Stempel aufgedrückt bekommen sollen. Motivation dafür ist in der Regel eigene Negativerfahrungen und Glaubenszweifel. Bei aller Ablehnung der Polemik sollten diese Motive kirchlicherseits sehr aufmerksam beachtet werden.

Die Skepsis gegenüber dem Glauben resultiert bei Dan Brown offenbar zu einem wesentlichen Teil aus Erfahrungen religiösen Eifers, der wahnhafte Züge annehmen kann. Das wird in seinen Büchern deutlich: Die Gehbehinderung und der Kirchenhass des Prof. Kohler vom CERN wird mit strenggläubigen Eltern erklärt, die im alleinigen Vertrauen auf Gebet und Gottes Hilfe eine mögliche medizinische Behandlung ihres Kindes abgelehnt und die bleibende Behinderung dann als göttliche Strafe für mangelnden Glauben des Sohnes interpretiert haben (Illuminati, 563ff.). Auch die verschiedenen Morde in beiden Büchern sind fast ausnahmslos religiös-ideologisch motiviert: Sie seien als Opfer für das höhere Ziel notwendig. All diesen Fällen ist gemeinsam: Die Liebe als Herzstück christlicher Verkündigung und Motivation christlichen Handelns kommt zu kurz.

2) Idealisiertes Heidentum

Als Alternative zum Kirchenglauben wird ein naturmystisches Weltbild propagiert, in dem das Heidentum als die sanfte, natürliche, ursprünglichere (da ältere) und weiblichere Religion idealisiert aufscheint. Dies schließt auch sexualmagische Vorstellungen ein: So wird spätantike Tempelprostitution zum „hieros Gamos“ verklärt, durch den Mann und Frau spiritueller Ganzheit teilhaftig würden (Sakrileg 173) und der rituelle öffentliche Vollzug des Geschlechtsaktes wird (völlig losgelöst von Liebe und Zuneigung) als uralter Weg zur Gotteserkenntnis gepriesen (Sakrileg 421f.). Während Langdon sich stark für das Heidentum begeistert, ist seine Begleiterin in „Illuminati“ eine Yogalehrerin. Sie steht damit für den Typus der im fernöstlichen Bereich nach religiöser Inspiration suchenden Mittdreißigerin. Auch dies gehört zu Strömungen des Zeitgeistes.

3) Mystische Geheimgesellschaften:

Neben Kirchenkritik und Neuheidentum bilden die Geheimgesellschaften das dritte Zugpferd dieser Religionsthriller. Die Spannung der Neugier, die Geheimnisvolles automatisch auslöst, hat schon immer Geheimgesellschaften einen besonderen Nimbus verschafft - egal, ob diese nun in der Wirklichkeit oder nur in der Einbildung existierten. Mit der Einbeziehung arcaner Orden ist ein Themenfeld aufgestoßen, das spekulativen Neigungen viel Futter und ebensoviel Möglichkeit zum Irrtum gibt.

Auch wenn es schwer fällt: Wer im kirchlichen Dienst tätig ist, sollte sich mit diesen Romanen auseinandersetzen und sich auf die Fragen einstellen, die sie aufwerfen. Über eine Million Leser in Deutschland haben ein Recht auf korrektere Antworten, als Dan Brown sie gibt. Die Themen werden wir auch noch mit den Leseunlustigen diskutieren können: die Verfilmung von Sakrileg mit Tom Hanks in der Hauptrolle beginnt im Mai und soll im Sommer 2006 in die Kinos kommen.

Harald Lamprecht

Artikel-URL: https://www.confessio.de/index.php/artikel/152

Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 2/2005 ab Seite 08