Potters Finale

7. Band: Harry Potter and the Deathly Hallows aus christlicher Sicht

Auch beim Erscheinen des siebenten und damit letzten Bandes der Harry-Potter-Reihe gab es nächtliche Verkaufsveranstaltungen und großen Medienrummel. Die strikte Geheimhaltung und die medial angeheizten Erwartungen ließen den Verkaufsstart zu einem besonderen Ereignis werden. Ohne den an der im Herbst erscheinenden deutschen Ausgabe interessierten Lesern schon zu viel vom Inhalt zu verraten, sollen dennoch einige Auswertungen zum letzten Band aus christlicher Sicht vorgenommen werden.


Zwei Ebenen

Grundsätzlich bleibt das über die bisherigen Bände Gesagte auch für den letzten Band der Reihe gültig:
  • Die Bücher sind keine Anleitungen zu Dämonenkult und praktischer Magie, sondern phantastische Literatur mit einer ethischen Botschaft. Der letzte Band ist nicht „magischer“ als die anderen und die schönsten Erfindungen von Rowley sind wieder praktische Haushaltsgegenstände wie z. B. eine verzauberte Damenhandtasche mit unglaublichem Fassungsvermögen.
  • Vorsicht ist geboten gegenüber Trittbrettfahrern, welche die phantastisch Dimension leugnen und die Potter-Begeisterung zur Verbreitung ihrer (anders gearteten) neuheidnisch-magischen Glaubensvorstellungen benutzen wollen.

Der Ernst der Lage

Band 7 ist noch weniger ein Kinderbuch als die vorigen beiden Bände. Die Akteure sind keine Kinder mehr, sondern volljährige und damit voll verantwortliche Jugendliche. Es ist auch keine Schulgeschichte mehr, bei der man schlimmstenfalls Strafaufgaben bekommen oder von der Schule fliegen kann. So friedlich geht es nicht mehr zu. Band 7 spielt im Krieg, es geht um Leben und Tod. Spezieller könnte man es als einen Partisanenkrieg bezeichnen: Eine kleine Schar mutiger Kämpfer im Untergrund muss die Freiheit gegen eine finstere Besatzungsmacht verteidigen, welche mit brutalem Terror regiert. Die Grausamkeiten und Verbrechen, die in solch einem Krieg geschehen, werden nicht beschönigt und Tote sind mehr als in jedem Potter-Buch zuvor zu beklagen. Über manche Strecken zieht sich beim Lesen eine Beklemmung, die nicht wie zuvor durch lustige Schulbegebenheiten aufgelockert wird.

Rassenwahn

Markenzeichen der Anhänger des dunklen Lord Voldemort ist ihre ausgeprägte Rassenideologie. Nur reinrassige Zauberer aus alten Zaubererfamilien behalten ein normales Lebensrecht, andere werden schikaniert und verfolgt. Als die Anhänger Voldemorts die Regierungsmacht übernehmen, werden Rassengesetze erlassen, die völlig absurd erscheinen könnten, hätte es nicht im nationalsozialistischen Deutschland etwas ganz ähnliches wirklich gegeben. Vieles erinnert an den Terror der SS und SA-Truppen im 3. Reich. Auch ohne dass dieser Vergleich im Buch explizit gezogen wird, leistet J.K. Rowling durch ihre Darstellung einen wichtigen Beitrag zur emotionalen und argumentativen Auseinandersetzung mit neonazistischem Gedankengut.

Freundschaft

Ein wichtiges Thema ist wieder die Freundschaft. Harry, Ron und Hermine sind weitgehend auf sich selbst gestellt und ständig auf der Flucht vor Voldemorts Häschern. Die härteste Probe für die Freundschaft ist die entbehrungsreiche Ödnis dieser Flucht, ständig bedroht und ohne Erfolge in ihrer Mission. Dies führt unvermeidlich zu Spannungen untereinander. Und doch brauchen sie einander, retten sich gegenseitig aus Lebensgefahr und stehen mit Geistesgegenwart und Mut füreinander ein. Es ist Harrys Selbstlosigkeit, auch in größter Lebensgefahr erst die Rettung der Freunde zu organisieren, die es ihm letztlich ermöglicht, seine Mission zu erfüllen.

Tod und Leben

Die Frage nach Tod und Leben wird in verschiedenen Dimensionen diskutiert. Viele Menschen sterben, Freunde und Feinde, Schuldige und Unschuldige. Harry leidet unter dem Verlust seiner Ratgeber, hätte Dumbledore noch so vieles zu fragen, wünscht nichts sehnlicher, als mit ihm sprechen zu können. Er gerät sogar in den Besitz eines Steines, der die Toten heraufholen kann, aber eine Totenbeschwörung findet dennoch nicht statt. Immer wieder wird mit großer Deutlichkeit herausgestellt: die Toten haben ihren eigenen Bereich, sie kehren nicht zu den Lebenden zurück und sie verdienen, in Ruhe gelassen zu werden. Die Erscheinungen von Harrys Eltern und seinem verstorbenen Freund und Onkel Sirius sowie ein längeres Gespräch mit Dumbledore in einer vielleicht als Nahtod-Erlebnis zu deutenden nicht näher bezeichneten Sphäre sind nur leichte Durchbrechungen dieses Prinzips. Insgesamt bleibt eine deutliche Distanz zu alten und neuen spiritistischen Praktiken sowie zu populären Reinkarnationsvorstellungen in allen Potter-Bänden bestehen.

Christliches bei Harry Potter

Es bleibt dabei: Die Potter-Romane sind keine christlichen Erbauungsbücher. Zwar lässt die Nähe des Todes sogar Zauberer frömmer werden und Gott für die Bewahrung des Lebens der Familienmitglieder danken (z.B. auf S. 66). Am Weihnachtsabend kommen Harry und Hermine an einer gefüllten Kirche vorbei. Sie hören Choräle singen, die Harry aus Hogwarts kannte und überlegen, ob Harrys Eltern, wenn sie noch leben würden, jetzt in dieser Kirche wären (S. 265). Aber sie gehen selbst nicht hinein, sondern besuchen den dahinter liegenden Friedhof. Mit den Ausdrucksformen christlicher Religiosität besteht nur eine sehr entfernte Verbindung über Reste des Brauchtums der vorangegangenen Generationen. Eigene religiöse Praxis gibt es nicht.

Wesentliche Aussagen der christlichen Theologie kann man dennoch auch im letzten Potter-Band wieder anschaulich erklärt finden. Insofern bieten diese Romane durchaus Potenzial zur religionspädagogischen Auswertung. Wie bereits im ersten, so wird noch einmal im letzten Band betont, welche befreiende Kraft gegen die Mächte der Finsternis der Liebe zukommt, die sogar das Opfer des eigenen Lebens nicht scheut. Das freiwillige, stellvertretende Opfer besiegt letztlich die Herrschaft des Bösen und kann sogar den Tod überwinden.

Kreuzestheologie anschaulich

Nicht die Magie bei Harry Potter ist real, sondern die beschriebenen Zusammenhänge von Liebe und Hass, Selbstsucht und Selbstlosigkeit, Opferbereitschaft und Hingabe. Harry Potter ist eine Romanfigur. Sein Leben hat nicht wirklich stattgefunden. Ein anderes Leben aber ist historisch verbürgt: Christen bekennen die Wirklichkeit und die erlösende Kraft des Sterbens und Auferstehens von Jesus. Das Christentum betrachtet Jesus nicht lediglich als einen Tugendlehrer, der beispielhaft ein anständiges Leben gezeigt hat. Jesus ist der Erlöser, der in Tod und Auferstehung Sünde, Tod und Teufel besiegt hat (1.Kor 15). Darin kulminiert die christliche Botschaft.

Die Verkündigung dieser Glaubensaussagen hat oft mit dem Problem mangelnder Anschaulichkeit zu kämpfen. Wie stellvertretendes Leiden als Erlösungshandeln verständlich zu machen ist, hat schon immer die Theologie beschäftigt. Anselm von Canterbury deutete es als Sühneleistung im Kontext römischen Rechtsdenkens. Nun wäre Harry Potter gewiss überstrapaziert, wenn man ihn in allen Details als Allegorie auf die christliche Erlösungslehre interpretiert. Die Grundaussage mit dem Schicksal von Harry vermag dennoch genau diesen Punkt deutlich werden zu lassen. Harry opfert sich aus freien Stücken für seine Freunde und für die Welt, um sie von dem Bösen zu befreien. Treibende Kraft ist die Liebe. Soweit passt der Vergleich. Die Probleme der Theologie sind damit nicht gelöst, denn die Notwendigkeit dafür wird nicht mit Sühne für vergangene Schuld begründet, sondern mit abgespaltenen und assimilierten Seelenteilen bei Voldemorts erstem Angriff auf Harry. Das ist auch nicht besser als Anselms Theorie und zählt nicht mehr zu den verwertbaren Teilen einer solchen Allegorese. Um mit Jugendlichen in ein Gespräch über diese Grundlagen des christlichen Glaubens zu kommen, kann aber sogar Harry Potter ein guter Anlass sein.

Harald Lamprecht

Artikel-URL: https://www.confessio.de/artikel/105

Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 4/2007 ab Seite 11