Injizierte Dämonen?

Falsche Prophetie zur Schweinegrippe inspiriert Verschwörungstheoretiker und Esoteriker

Zur Unterscheidung von wahrer und falscher Prophetie nennt das Alte Testament ein nicht immer befriedigendes, aber dafür klares Kriterium:

„Wenn du aber in deinem Herzen sagen würdest: Wie kann ich merken, welches Wort der HERR nicht geredet hat? – wenn der Prophet redet in dem Namen des HERRN und es wird nichts daraus und es trifft nicht ein, dann ist es ein Wort, das der HERR nicht geredet hat. Der Prophet hat’s aus Vermessenheit geredet; darum scheue dich nicht vor ihm.“ (5. Mose 18, 21f.)

Die Beurteilung der Folgen ist – auch nach Mt. 7,15 – wesentlich bei der Bewertung von Prophetie. Der Nachteil davon ist offensichtlich: Es braucht einen gewissen zeitlichen Abstand. Manchmal ist aber die Prophetie auch so offensichtlich falsch, dass es dieses Abstandes nicht bedarf, sondern die Benutzung des gesunden Menschenverstandes sich als vollkommen ausreichend erweist. Wer nun einwenden will, man könne nicht mit dem menschlichen Verstand Gottes Reden beurteilen, der irrt: Gott hat uns schließlich den Verstand gegeben, damit wir ihn benutzen. Nicht um uns damit über Gott zu erheben, aber sehr wohl, um nicht auf jeden hereinzufallen, der den Namen Gottes missbräuchlich verwendet. Denn wo solches geschieht, kann es weitreichende Folgen haben.

End-Zeit Vision

Ein besonders krasses Beispiel offensichtlich falscher Prophetie hat der Pastor der Berliner Freien Nazarethkirche, Joh. W. Matutis bereits im August 2009 verbreitet. Bei der Predigtvorbereitung habe er folgende „End-Zeit Vision“ erhalten:

Wölfe hätten sich unter eine Schafherde gemischt, ohne dass die Hirten und Schäferhunde Alarm schlugen. Statt die Schafe zu fressen, wurden sie von den Wölfen nur mit einem Giftzahn gezwickt. Danach hätten die Wölfe zunächst die Schafherde wieder verlassen um dann mit ihrem Anführer, der sich als ein Dämon entpuppte, zu erklären:

„Meine lieben Hirten, liebe Hunde und alle meine lieben Schafe, ihr gehört jetzt alle uns. Wir haben euch fest in der Hand. Wir waren unter euch, und ihr habe es nicht gemerkt. Wir haben flächendeckend unter euch gearbeitet, euch alle „angepiekst“ und euch ein Serum eingeflösst, das euch uns hörig macht. Ihr tragt jetzt alle unser „Mahlzeichen“ und wir haben euch unseren Geist und unsere Informationen eingespritzt und ihr habt es unmerklich und willig in euch aufgenommen. Für euch gibt es jetzt kein Entrinnen mehr. Die ganze Herde ist jetzt unter unserer Kontrolle.“[1]

Sodann erklärte der Wolfs-Dämon, sie seien nun gekommen, um sich für die Austreibung aus dem Gardarener in die Schweine (Mk 5,1-17) zu rächen. Die Vision wird übergeleitet in eine angebliche Anrede Gottes:

„Und hier sprach Gott zu mir: ‚Mein Sohn, alle Menschen werden in den nächsten Tagen zwangsweise, flächendeckend gegen die Schweinegrippe geimpft werden. Dabei bekommen alle die, die meinen Geist und mein Siegel nicht in ihrem Leben haben, einen ‚Dämon aus dem Abgrund‘ eingeimpft. Ja es wird so sein, dass sie den ‚Todes-Geist‘ eingeimpft bekommen werden. Und die Wölfe werden mit ihnen tun und lassen können, was sie wollen. Wer ihnen widerspricht oder sich zur Wehr setzt und ihnen die Gefolgschaft verweigert, der wird per Knopfdruck ‚ausgeknipst‘ werden. Für sie wird es kein Entrinnen mehr vor ihnen geben.‘“

Nach weiteren Warnungen „vor dieser weltweiten ‚Zwangs-Pickserei‘“ beteuert Matutis noch einmal: „Ich gebe hier diese Botschaft so weiter, wie der Herr sie mir gab.“ Als Nachsatz fordert er noch eine HOAX-artige Verbreitung für seine Vision:

„P.S.: Und schicke bitte diese Botschaft an alle, die du kennst, weiter. Kopiere und verteile es in deiner Umgebung. Wir sind Wächter Gottes.  Wir müssen unsere Mitmenschen warnen. Wenn wir das nicht tun, wird Gott das Blut dieser Menschen von unseren Händen fordern.  (Lies Hesekiel 3,16-21).“

Entsprechend lief der Text über diverse eMail-Kanäle und ist inzwischen neben der Homepage von Matutis auf zahlreichen weiteren Webseiten und Foren zu lesen - zum Teil mit eigenwilligen Ergänzungen (s.u.).

Unfreiwillige Realsatire

Nun kann man ja durchaus die Schweinegrippe in erster Linie für eine Medienkrankheit halten und an der Gestaltung der Impfaktion auch rational begründete Kritik üben. Das Insistieren auf dem angeblich göttlichen Ursprung dieses wirren Angsttraumes von Pastor Matutis disqualifiziert ihn aber als Verkünder des göttlichen Wortes. Wo so offensichtlich falsche Aussagen Gott in den Mund gelegt werden, zeigt sich, dass hier die selbstkritische Vorprüfung komplett ausgefallen ist. Niemals war eine Zwangsimpfung in der Diskussion, wie Sie Gott in Matutis’ Vision angeblich ankündigt. Mit derartigen Aussagen wird das Christentum lächerlich gemacht. Was ist das für ein Gott, der solch unwahre Übertreibungen nötig hat? Für Atheisten im Internet ist solches ein willkommenes Spottobjekt - verdenken kann man es ihnen nicht.

Es wirft ein erschreckendes Licht auf die mangelnde Unterscheidungsfähigkeit in manchen christlichen Gemeinden, wenn eine solche offensichtlich falsche Prophetie unwidersprochen bleibt oder sogar noch verbreitet wird. Es müsste doch das Anliegen eines jeden Christen sein, der Prophetie für möglich hält, diese gegen ihren Missbrauch zu verteidigen.

Abstruse Theologie

Nicht nur aufgrund der leicht zu falsifizierenden Übertreibungen ist Matutis’ Prophezeiung problematisch, sondern auch wegen ihrer unausgegorenen Theologie. Wie stellt er sich das Verhältnis zwischen Gott und seinen Geschöpfen vor, wie das Wirken der Dämonen? Sollte es möglich sein, mittels eines medizinischen Eingriffes einen Menschen Gott zu entreißen? Kann man Dämonen injizieren? Beides widerspricht grundlegenden biblischen Aussagen. Die Erlösung, die Christus am Kreuz errungen hat, kann durch kein menschliches Fehlverhalten zunichte gemacht werden – erst recht nicht durch solche Lappalien wie die Entscheidung für eine bestimmte Form eines medizinischen Eingriffes. Es gibt kein Anrecht, welches Dämonen an Menschen erwerben könnten. Wohl gibt es Menschen, die das Wirken Gottes in ihrem Leben nicht erkennen. Es gibt Verstrickungen in Sünde und Schuld, in denen es Menschen nicht mehr für möglich halten, dass Gott ihnen vergeben kann. Die christliche Botschaft beinhaltet aber gerade den Zuspruch, dass keine Schuld zu groß ist, um von Christus am Kreuz nicht mit getragen worden zu sein. Wer dies für sich annimmt, hat immer die Möglichkeit zur Umkehr.

Zweifelhafte Kumpane

Matutis Angsttraum brachte ihm auch Zustimmung und eifrige Zitate  – allerdings in einem Milieu, in dem sich pfingstkirchliche Pastoren glücklicherweise seltener heimisch fühlen. Verschwörungstheoretiker, rechtsnationale Esoteriker und Spiritistengruppen haben seine Wahnidee in ihre Systeme aufgenommen und zum Teil weiter ausgebaut. Im Internet zirkuliert eine um Fußnoten erweiterte Version, in der einzelne Aussagen im Sinne gängiger Verschwörungstheorien kommentiert werden. Thema dieser Webseite waren ursprünglich sogenannte „Chemtrails“. Dieser Begriff existiert nur in der Verschwörerliteratur und steht für Kondensstreifen von Flugzeugen, die nach Meinung der Anhänger dieser Theorien in der Atmosphäre versprühte Chemikalien darstellen würden.[2] Aktuell ist die Schweinegrippe als neuer Bereich dieser Webseite dazu gekommen.

In dieser erweiterten Fassung der Prophezeiung werden die Wölfe als Ärzte und Pharmakonzerne identifiziert, die Impfablehnung ins Grundsätzliche erweitert und noch mit Aussagen des Neuoffenbarers Jakob Lorber untermauert. Die von Matutis noch magisch befürchtete Fernsteuerung wird nun technisch konkretisiert: Es würden mit der Impfung RFID-Chips implantiert, worüber dann durch eingestrahlte Frequenzmuster (z.B. über Handymasten) beliebige Krankheiten und Tod auf Knopfdruck erzeugt werden könnten.[3] Auf die technische Unmöglichkeit des dort behaupteten kann leider jetzt nicht ausführlich eingegangen werden. Es ist aber deutlich, dass Matutis’ Botschaft offenbar eine Angstsignatur enthält, welche mit den diversen übersteigerten Ängsten einer zutiefst verunsicherten und orientierungsuchenden Bevölkerungsschicht korreliert.

Lichtvolle Informationen?

Unter den modernen Channelmedien äußerte sich im „Lichtzauber-Forum“ Wolfgang Nebrig – mit „Seelennamen“ Jophiel –  zu Matutis und konnte in dessen Prophezeiung „Lichtvolle Informationen“ finden – freilich auch in eigener Umdeutung. Für ihn sind die „Dämonen aus dem Abgrund“ als „unterirdisch lebende Santiner“ aus der galaktischen Föderation zu identifizieren, während die Wölfe vergleichsweise gewöhnliche „Illuminaten (Freimaurer, Bilderberger, skull & bones und andere Geheimgesellschaften)“ seien. „Sieht man es so, wird dieser Text sehr realistisch.“ meint Jophiel. In Bezug auf die Taufe hat er dann doch ernsthafte Differenzen zu Pastor Matutis, denn das Taufsiegel sei kein Gottessiegel und würde nur das Stirnchakra verschließen. „Wenn Du dieses Siegel wieder öffnen lassen willst, dann geht das nur mit der Hilfe von Erzengel Michael.“ schreibt Jophiel und empfiehlt Schutzrituale gegen eine Vielzahl von Bedrohungen.[4]

Fadenzieher der Angst

Verbindendes Element zwischen diesen verschiedenen Aufnahmen von Matutis’ Text ist die unbewältigte Angst vor einer unverstandenen und komplexen Welt mit ihren Aporien und Kontingenzen. Genau diese Angst wird in Matutis’ Text präsentiert. Die Panikmache in der Medienberichterstattung zur Schweinegrippe ist angsterzeugend, aber sie ist für viele Menschen angesichts des Verlaufes der Erkrankung nicht nachvollziehbar. Jeder versucht eine Lösung im Rahmen seines Denkhorizontes: Bei Matutis geschieht dies in Form eines harten Dualismus zwischen Licht und Finsternis, Gott und Dämonen, in dem die Menschen zu nahezu willenlosen Objekten (Schafen) dieser Mächte werden, je nachdem, wo sie grasen und die sich folglich ja nicht von ihrer Herde entfernen dürfen. Bei den Verschwörungstheoretikern werden analog die Menschen zu Marionetten geheimer Drahtzieher im Hintergrund alles Weltgeschehens, denen alles Schlechte zugetraut wird. Nur dass diese Drahtzieher hier irdisch gedacht werden und folglich über politische oder technische Hilfsmittel die Kontrolle erlangen müssen. Die Channeling-Esoteriker verlagern die Auseinandersetzung wieder in eine kosmische Dimension, die aber mehr von StarWars als von biblischen Vorstellungen inspiriert ist. Auch hier wirken übermächtige und teils verborgene Intelligenzen am Schicksal der Menschen.

Christen wissen, dass ihr Leben in Gottes Hand liegt. Sie müssen nicht hinter allem Weltgeschehen finstere Verschwörer, unterirdische Santiner oder wölfische Dämonen vermuten. Das Wissen um die Geborgenheit in Gott befreit zu eigenverantwortlichem Handeln als Mensch. Gott will keine willenlosen Marionetten, die nur fremden Befehlen gehorchen. Medizinische Fragen sollen wir unter Einbeziehung des Verstandes selbst entscheiden. Dazu zählt auch die Frage, welche Impfungen angemessen sind und welche nicht. Ängstliche Panikmache und Verschwörungstheorien sind dabei denkbar schlechte Ratgeber, selbst wenn sie als Prophetie verkleidet daherkommen.

Dr. Harald Lamprecht

ist Beauftragter für Weltanschauungs- und Sektenfragen der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens und Geschäftsführer des Evangelischen Bundes Sachsen.

Artikel-URL: https://www.confessio.de/index.php/artikel/238

Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 6/2009 ab Seite 10