Ideologische Sakrilegien

Dan Browns "Sakrileg" ist das Plagiat einer Fälschung

Der Roman „Sakrileg“ von Dan Brown liegt seit Monaten auf den oberen Plätzen der Bestsellerlisten. Die im Mai in die Kinos kommende Verfilmung wird den Stoff auch den Bevölkerungsteilen nahebringen, die an der Hürde des Selbst-Lesens bisher gescheitert sind.

Das Problem an dem Roman ist nicht, dass er Fiktion und Realität mischt. Das ist das Wesen so gut wie aller Romane. Das Problem ist vielmehr, dass Dan Brown suggeriert, die geschilderten historischen und dokumentatorischen Rahmenelemente seiner Erzählung seien historisch zutreffend. Dies stimmt aber in weiten Teilen nicht. Er zeichnet ein Bild von der Geschichte des Christentums, das in hohem Maß von einer eigenen und in gewissen Bevölkerungskreisen durchaus populären neuheidnisch-esoterischen Ideologie getragen ist. Die Erfahrung zeigt, dass viele historisch weniger gebildete Zeitgenossen geneigt sind, den verzerrten Darstellungen von Dan Brown zu glauben und in der Folge das Christentum durch eben diese polemisch verzerrende Brille wahrnehmen. Darum mag der Kino-Start des Sakrileg-Thrillers ein Anlass für Kirchgemeinden sein, Informations- und Diskussionsveranstaltungen anzubieten, in denen über die wahren geschichtlichen Tatsachen aufgeklärt wird.

Abzuraten ist hingegen von einer Verbots- oder Boykottstimmung gegenüber den Büchern oder dem Film. Damit verhindert man nicht, dass andere Menschen sich davon einnehmen lassen, nimmt sich aber die Möglichkeit, darauf im Gespräch fundiert und korrigierend zu reagieren. Im Gegenteil: die Beschäftigung mit den falschen Vorstellungen des Buches und Filmes kann ein guter Anlass sein, sich selbst mit der Geschichte und den theologischen Entscheidungen des frühen Christentums intensiver zu beschäftigen.

Die Thesen

Dan Brown lässt seine Protagonisten in dem Roman behaupten, das Christentum hätte ursprünglich einen Kult der „großen Mutter“ gekannt. Eine zentrale Rolle hätte Maria Magdalena gespielt, die Ehefrau von Jesus gewesen sei und mit ihm gemeinsame Kinder hätte. Als Mutter der Nachkommenschaft Jesu sei sie selbst der Heilige Gral (Sangeal wird dabei als Sang Real - königliches Blut - umgedeutet). Diese Tatsache sei aber von der Kirche verheimlicht und gewaltsam unterdrückt worden. So hätte das ursprüngliche Christentum auch Jesus nicht als Gott gesehen. Erst Kaiser Konstantin hätte auf dem Konzil von Nizäa im Jahr 325 dieses Dogma aus politischen Gründen durchgesetzt. Zur Bewahrung des Wissens um die Familie Jesu und zum Schutz seiner leiblichen Nachkommen sei die Geheimgesellschaft der Prieuré de Sion gegründet worden, welche wiederum den Kern des Templerordens gebildet hätten. Die Templer hätten geheime Dokumente, welche über die Blutslinie Jesu in der Dynastie der fränkischen Merowinger Auskunft geben, beim ersten Kreuzzug im Jerusalemer Tempel gefunden und seitdem bewahrt. Einer der Großmeister der Prieuré de Sion sei Leonardo da Vinci gewesen, der in seinen Bildern verschlüsselte Botschaften versteckt habe.

Die Quellen: Fälscher und Sensationsreporter

Diese Thesen hat sich Dan Brown nicht ausgedacht. Das Grundgerüst entstammt einem Buch, welches die Fernsehreporter Michael Baigent, Henry Lincoln und Richard Leigh bereits 1982 unter dem Titel „Der Heilige Gral und seine Erben“ veröffentlichten. In diesem wird darüber hinaus behauptet, die „geheimen Dokumente“ wären in den kleinen französischen Ort Rennes le Château gelangt, wo sie der Priester Bérenger Sauniére gefunden habe und darüber plötzlich reich geworden sei. Auskunft über diese Zusammenhänge und die Prieuré de Sion würden die „Dossiers Secretes“ geben, welche in der Pariser Nationalbibliothek aufbewahrt sind.

Dort gibt es in der Tat eine entsprechende Akte. Nur stammt sie nicht etwa aus den Zeiten der Templer oder gar der alten Kirche, sondern wurde von dem französischen Fälscher Pierre Plantard (1920-2000) produziert und dort hinterlegt, um Plantards eigenen Anspruch auf den französischen Königsthron als angeblich letzten Nachfahren der Merowinger darzustellen. Abbé Sauniere war ebenfalls nicht durch die angeblichen brisanten Dokumente zu Reichtum gekommen, sondern weil er jahrelang im großen Stil betrügerisch Messen an fromme Bürger verkauft und diese Gewinne in Aktienspekulationen vervielfacht hat. Die Prieuré de Sion hatte Plantard 1956 als lokalpolitischen Verein selbst gegründet und ein Jahr später wieder aufgelöst. Erst später in den 60er Jahren erfand er die mystische Vorgeschichte dieses Vereines und stilisierte sie zur geheimnisvollen Bruderschaft. 1989 kam Plantard aber in Schwierigkeiten. Roger-Patrice Pelat, ein Geschäftsmann und Freund von François Mitterand, war unter rätselhaften Umständen gestorben. Von diesem hatte aber Plantard behauptet, er sei ein Großmeister der Prieuré de Sion gewesen. Im Polizeiverhör sagte er unter Eid aus, dass es die Prieuré de Sion nicht gebe und er alles erfunden habe. Seine Verschwörungstheorie hatte sich aber schon verselbständigt und war nicht mehr zu stoppen.

Das ZDF hat in der sehenswerten Folge der Reihe Terra X mit dem Titel „Geheimakte Sakrileg“ diesen beispiellosen „Coup des Journalismus“ enthüllt und eindrücklich Fiktion und Fakten sortiert.1

Bezeichnend ist auch, dass die Autoren Baigent und Leigh eine Urheberrechtsklage gegen Dan Brown angestrengt hatten. Einen Plagiatsvorwurf kann man aber nur für eigene Erfindungen, nicht jedoch für die Darstellung historischer Fakten erheben. Insofern muss man davon ausgehen, dass den Autoren die Fiktionalität ihrer Aussagen sehr wohl bewusst ist und die erhobenen Realitätsbehauptungen lediglich zu Marketingzwecken dienen.

 

Theologische Beurteilung

Grundsätzlich ist klarzustellen, dass die Kernthese von Brown und Baigent/Leigh am Ziel vorbei geht. Die Behauptung von Nachkommen Jesu ist in keiner Weise geeignet, die Kirche „in ihren Grundfesten zu erschüttern“, wie dies immer wieder reißerisch verkündet wird. Die biblischen und außerbiblischen Quellen berichten nichts davon, dass Jesus verheiratet war. Aber selbst wenn er es gewesen wäre - am christlichen Glauben ändert das so gut wie nichts. Weder gilt Jesus in dieser Hinsicht als Vorbild für die Christen, noch hätte dies schwierige dogmatische Konsequenzen. Was soll also das Spektakel?

Worin sich aber der christliche Glaube grundlegend von Dan Browns und anderen ähnlichen Spekulationen unterscheidet, ist die Frage, woher wir Sicherheit und Heil beziehen. Der Glaube der Christen schaut auf Jesus Christus als den Gekreuzigten und Auferstandenen. Er vertraut auf den Gott, der den Menschen kompromisslos Nahe gekommen ist - bis ins tiefste Leiden. Und er hofft auf die Hilfe von dem, der den Tod überwunden hat. Dies ist meilenweit entfernt von irdisch-beschränktem Denken in Herrscherdynastien und Machtansprüchen durch Blutslinien. Jesus war an dieser Stelle eindeutig: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt.“ (Joh. 18,36). Die Bedeutung von menschlichen Verwandschaftsverhältnissen für die Frage nach dem Heil hat Jesus explizit zurückgewiesen: „Wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter.“ Die Verirrungen von Dan Brown können ein guter Anlass sein, daran wieder zu erinnern.

Harald Lamprecht

Linktipps:

de.wikipedia.org/wiki/Prieuré_de_Sion


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Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 2/2006 ab Seite 10