Katholizismus und Judentum

Etappen einer Annäherung

Im 2. Vatikanischen Konzil wurden mit der Deklaration „Nostra Aetate“ die Weichen für das Verhältnis zwischen röm.-kath. Kirche und Judentum neu gestellt. Dennoch dauerte es noch 50 Jahre, bis ein offizielles vatikanisches Dokument sich gründlich systematisch-theologisch mit der Beziehung zum Judentum befasste. Prof. Dr. Christian Rutishauser S.J. berichtete bei der Generalversammlung des Evangelischen Bundes in Koblenz von dieser Entwicklung.

 

Keine komplett andere Religion

2015 erschien aus Anlass von 50 Jahren „Nostra Aetate“ das vatikanische Dokument mit dem inhaltsschweren Titel „Denn unwiderruflich sind Gnade und Berufung, die Gott gewährt“. Darin werden entscheidende Klärungen vorgenommen. Das grundlegende Verhältnis wird nicht mehr von den Passionserzählungen, sondern von den Ausführungen des Apostels Paulus bestimmt. Nach klassischer christlicher Auffassung gilt das Heil in Christus für alle Menschen. Zugleich ist der Bund, den Gott mit seinem Volk am Sinai geschlossen hat, unwiderruflich. Die früher oft vertretene Sukzessionslehre ist als falsch abzulehnen. Aber wie verhalten sich nun dieser universale Anspruch einerseits und der nicht widerrufene Bund andererseits zueinander? Das Dokument klärt das mit einer wichtigen religionstheologischen Zuordnung: Die Beziehung der Kirche zum Judentum ist nicht im Bereich des interreligiösen, sondern des ökumenischen Dialoges zugeordnet.

 

Theologische Konsequenzen

Die systematisch-theologischen Folgerungen daraus sind:

1. Das Judentum steht im noch immer gültigen Alten Bund mit Gott. Dennoch stellt dies keinen zweiten parallelen Heilsweg neben dem Christentum dar. Es ist kein eigener, sondern derselbe lediglich christlich erweiterte Heilsweg.

2. Das Judentum hat teil an dem Heil, das Gott schenkt. Daher gibt es keine organisierte Mission unter Juden mehr. (Individuen können natürlich jederzeit auch weiter ihren persönlichen Glauben bezeugen.)

3. Das Wesen der Kirche: Sie besteht nicht nur aus Menschen aus allen Völkern der Erde, sondern auch aus Juden und Nicht-Juden.

 

Innerkatholische Pluralität

Sogar eine hierarchisch gefasste Kirche kann eine erstaunliche Pluralität unter Päpsten aufweisen: Für Papst em. Benedikt XVI. waren diese Aussagen wohl etwas zu weitgehend. 2018 veröffentlichte er einen Aufsatz „Gnade und Berufung sind ohne Reue“ mit anderen Akzenten. So kehrt er zumindest teilweise zur Substitutionstheorie zurück, wenn er meint, dass „Elemente“ des Bundes sehr wohl ersetzt worden seien und relativiert damit den Neuanfang von Nosta Aetate. Dies wiederum setzte eine innerkatholische Debatte in Gang. Im Kern geht es dabei um die Frage, wie mit der Mission gegenüber Juden umgegangen werden soll.

 

Mission?

Im Blick auf den Taufbefehl von Mt. 28 ist festzuhalten, dass er aus jüdischer Perspektive an alle Völker gerichtet ist. Gegenüber Israel begründet er daher keine Mission. Zu diskutieren ist dort, in wieweit Jesus der Logos Gottes ist. Die christliche Mission muss die Juden nicht zum Gott der Bibel führen, weil sie dort schon sind. Die traditionelle Mission ist gegenüber Juden folglich nicht der Weg, denn sie sind bereits in einem Bund mit Gott. Worin besteht dann die Bedeutung Christi gegenüber dem Judentum? Er begründet nicht mehr den Bund. Aber ist er dann nicht wesentlich für die Auslegung der Halacha, für die Interpretation der jüdischen Ritualvorschriften?

Wenn nun der Bund unwiderruflich ist, dann sind auch die Juden, die Christen geworden sind, immer noch (auch) im Alten Bund. Sie gehen nicht völlig im Neuen Bund auf. Wenn dem aber so ist, dann haben auch getaufte Juden innerhalb der Kirche eine eigene Stellung. Wie kann man dieser gerecht werden? Eine derzeit diskutierte Idee ist es, für diese eine eigene Stellung analog zu den unierten Ostkirchen innerhalb der röm.-kath. Kirche zu schaffen.

 

Staat Israel

Zum jüdischen Selbstbewusstsein gehört das zionistische Projekt der Rückkehr in das Heilige Land. Die Konzilsdeklaration „Nostra Aetate“ hatte aber alle theologischen Fragen rings um das Land Israel ausgeklammert. Aus röm.-kath. Sicht ist der Zionismus als ein Teil der säkularen Weltgeschichte zu verstehen und nicht religiös-theologisch zu interpretieren. Der Staat Israel ist nicht einfach von der biblischen Landverheißung her zu legitimieren. Folglich sind die Beziehungen in zwei getrennten vatikanischen Kommissionen: Die Kirche pflegt religiöse Beziehungen mit dem Judentum weltweit. Der Vatikan als Staat pflegt Austausch mit dem Rabbinat des Staates Israel. Theologisch ist die Wiederherstellung Israels in eine Theologie der Diaspora eingebettet und nicht direkt an die alttestamentliche Landverheißung geknüpft. Die Rückkehr großer Teile des jüdischen Volkes wird als Zeichen der Bundestreue Gottes gesehen. Im Übrigen sind die Werte und Prinzipien der katholischen Soziallehre gegenüber Palästinensern in gleicher Weise zu verwirklichen wie gegenüber Juden, betonte Prof. Rutishauser.

 

Theologie mit Juden

Theologisch ist eigentlich die Beziehung zum Judentum ein Querschnittsthema, das in vielen Bereichen zum Tragen kommen müsste, es aber (noch) nicht immer tut. So gilt es, die Israel-Vergessenheit der Liturgie zu überwinden. Auch in der Textinterpretation gilt es voneinander zu lernen. So ist z. B. Gen 3 aus jüdischer Perspektive kein „Sündenfall“, sondern eine Auseinandersetzung über Erkenntnis. Der Sündenfall ist die Erschaffung des Goldenen Kalbes. In jedem Gottesdienst, in jeder Bibelarbeit begegnen wir dem Judentum. Auch die neutestamentlichen Schriften sind ihrem Wesen nach jüdische Schriften. Erst durch die Kanonsbildung wurden sie zu christlichen Schriften.

 

Fazit

Die Beziehung zwischen Christen und Juden ist zwar schon zwei Jahrtausende alt. Das Miteinander steht aber dennoch erst am Anfang. Es bleiben an vielen Stellen noch große Aufgaben: für mehr Verständigung sorgen, das Anliegen des Dialoges an die nächste Generation weitergeben, auch Menschen außerhalb von Europa und Nordamerika in den Dialog mit einbeziehen – damit wir gemeinsam den Willen unseres Vaters im Himmel tun.

Harald Lamprecht

Dr. Harald Lamprecht

ist Beauftragter für Weltanschauungs- und Sektenfragen der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens und Geschäftsführer des Evangelischen Bundes Sachsen.

Neuen Kommentar hinzufügen

Mit der Abgabe eines Kommentars werden die Regeln für Kommentare akzeptiert. Kurzfassung:

  • Der Kommentar bezieht sich auf den Artikel.
  • Er lässt erkennen, dass der Artikel gelesen wurde und setzt sich inhaltlich mit ihm auseinander.
  • Der Stil ist höflich und respektvoll.
  • Das Bemühen um Wahrhaftigkeit ist erkennbar.

Artikel-URL: https://www.confessio.de/artikel/1566

Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 1/2025 ab Seite 12