Probleme sehen - Feindbildern misstrauen

Muslimische Reaktionen auf die Papst-Vorlesung in Regensburg

Der Papst ist in Bayern, hält eine Vorlesung in Regensburg über Glaube und Vernunft und zitiert dabei aus einem Dialog zwischen dem Kaiser in Konstantinopel und dem arabischen Gelehrten Mudarris (= „der Lehrer“) den mittlerweile vielfach wiedergegebenen Satz: „Zeig mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat und da wirst du nur Schlechtes und Inhumanes finden wie dies, dass er vorgeschrieben hat, den Glauben, den er predigte, durch das Schwert zu verbreiten“. Und die Reaktion? Fernsehen und Zeitungen zeigen uns Bilder, als wollten die Muslime in aller Welt dem Papst - oder genauer gesagt, dem Kaiser Manuel - recht geben: sie reagieren mit Gewalt. Medien zeigen brennende Fahnen, berichten von Anschlägen auf Kirchen im Irak und von Anträgen auf Verhaftung des Papstes, wenn er in die Türkei reist.

Man kann trefflich darüber diskutieren, ob das Zitat im Rahmen der Vorlesung nötig war, ob es klug war und ob es sinnvoll war. Was bleibt ist in jedem Fall, dass diese muslimischen Reaktionen völlig unangemessen waren.

Mediengenerierter Konflikt

Noch viel stärker als beim Karikaturenstreit ist aber bei diesem Konflikt zu beobachten, dass er in erster Linie ein Produkt der Medien ist, genauer: ihrer verkürzenden Berichterstattung, die zudem offenbar instrumentalisiert wurde, um Stimmungen anzuheizen.

In vielen Berichten wurde nämlich dieses Zitat noch einmal verkürzt und nur der erste Teil wiedergegeben. Übrig bleibt, der Papst hätte gesagt, Mohammed hätte nichts Gutes gebracht. Punkt. Die eigentliche Pointe mit der Begründung in der Anwendung von Gewalt in Glaubensfragen fällt unter den Tisch. Das ist grob sinnentstellend. Dass sich Muslime über einen solchen Satz aufregen, ist nur zu verständlich. Die aufgebrachten Massen, die man auf den Bildern sehen konnte, haben mit Sicherheit nicht die ganze Rede des Papstes gesehen oder gelesen oder auch nur das Umfeld des Zitates wahrgenommen. Ihnen hat man gewiss lediglich gesagt, der Papst habe den Propheten verlästert. Das passt in das negative Bild, welches man sich vom Westen und seinen politischen wie religiösen Führern zu malen geneigt ist. Mit der Beteiligung an Massenprotesten kann man auch trefflich seine Unzufriedenheit mit der Gesamtsituation ausagieren.

Beide Richtungen

Die Verzerrung der Wirklichkeit durch die Medien wirkt aber in beide Richtungen. Auch die uns präsentierten Bilder aufgehetzter Muslime stellen nicht die ganze Wirklichkeit dar, sondern sind eine Verkürzung und Verzerrung. Sie sind ebenso aus dem Zusammenhang gerissen und werden zur Demonstration und Pflege eines bei uns üblichen Feindbildes benutzt. So, wie das verkürzte Zitat nicht die Inhalte von Ratzingers Vorlesung wiedergibt, so stellen auch diese Bilder keine zutreffende Beschreibung „der“ Muslime dar. Wer sie sich als stets gewaltbereite Eiferer vorstellen möchte, kann in diesen Bildern Bestätigung finden. Man sollte sich dabei aber bewusst sein, dass dies auf derselben Ebene geschieht, wie die gewaltbereiten Eiferer der Muslime ihr Feindbild bestätigt bekommen haben.

Die vielen Muslime, die ganz anders darauf reagiert haben, wurden nicht gezeigt, ebenso wie die vielen Worte nicht genannt wurden, die der Papst auch gesagt hat.

Damit ist das eine wie das andere nicht negiert: Es gibt durchaus gewaltbereite Muslime, die eine reale Bedrohung darstellen. Der Papst hat die umstrittenen Worte auch tatsächlich gesagt. Die Setzung eines solch schmalen Ausschnittes ist aber gefährlich, weil sie die Wahrnehmung verzerrt und im Ergebnis nur Feindbilder pflegt. Feindbilder brauchen Vereinfachung. Sie mögen nicht die komplexe Wirklichkeit. Sie brauchen ein schlichtes Muster von Gut und Böse.

Globalisierung

Die moderne Globalisierung bringt es mit sich, dass Muslime in aller Welt (theoretisch) plötzlich hören können, was ein Kirchenführer im fernen Regensburg gesagt haben soll. Diese öffentliche Dimension seiner Rede hat der Papst offensichtlich unterschätzt. Die deutschen Bürger wiederum vernehmen die Nachricht, dass im fernen Somalia eine katholische Nonne erschossen wurde. Dass beides miteinander im Zusammenhang steht, wurde bisher nur vermutet. Ob der Kausalzusammenhang wirklich besteht, oder andere Konflikte ursächlich waren, bleibt offen. So führt der weltweite Austausch von gefilterten Nachrichten nicht unbedingt zu einem besseren Verständnis der Völker untereinander, sondern eher zum Gegenteil.

Medienmarkt

Man kann versuchen, dies mit Gesetzen des Medienmarktes zu erklären. Da Medien hohe Leser bzw. Zuschauerzahlen anstreben, diese sich mit aufregenden Themen besser erreichen lassen als mit dem langweiligen Mittelmaß, haben Medien immer ein besonderes Interesse an Konflikten und ihrer Darstellung. Diese Erkenntnis sollte dafür sensibilisieren, eine gesunde Skepsis gegenüber reißerischen Berichten zu behalten, die ihrem Charakter nach vor allem eigene Vorurteile bestätigen. Bereits in dem Bemühen um ein umfassenderes Verstehen kann darum ein wichtiger Beitrag zum Frieden in der heutigen Zeit liegen.

Harald Lamprecht

Artikel-URL: https://www.confessio.de/artikel/62

Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 5/2006 ab Seite 17