Teuflisches Treiben auf dem Totenacker

Grabschändung und Satanismus

Der nachfolgende Artikel entstammt den Seiten der Schweizer Evangelische Informationsstelle „Kirchen - Sekten - Religionen“: http://www.relinfo.ch/satanismus/friedhof.html  

 

Immer häufiger kommt es in der letzten Zeit vor, dass Menschen, die an einem Wochenendmorgen auf dem Friedhof die Gräber ihrer Lieben besuchen wollen, eine unliebsame Entdeckung machen: Grabsteine sind beschmiert, manche gar umgestossen, Kreuze abgebrochen, Grabschmuck und Blumen ausgerissen - der Friedhof hat ganz offensichtlich nächtlichen Besuch erhalten. Die angebrachte Symbolik macht schnell klar, in welcher weltanschaulichen Ecke sich die Täterschaft positioniert. Kreuze wurden verkehrt herum wieder in den Boden gesteckt, Pentagramme - fünfzackige Sterne - und das Zeichen des Antichristen, die Zahl 666, prangen in noch frischem Farbspray gehalten auf den Grabsteinen. Offenbar ist hier eine satanistische Formensprache beabsichtigt.

Zumindest in der Schweiz scheint diese Form der Grabschändung in Mode gekommen zu sein. Alle paar Wochen wird ein Fall publik, dazu kommen zahlreiche weitere Taten, die aus Furcht vor Nachahmern und Trittbrettfahrern der Oeffentlichkeit nicht zur Kenntnis gebracht werden. Das jüngste Beispiel, die Aktion in Luzern vom 20. Juli 2001, welcher 86 Grabsteine zum Opfer fielen, zeigt als bisher umfangreichste Grabschändung in der Schweiz eine Eskalation auch betreffs der Menge der verunzierten Gräber.

Störung der Totenruhe schockiert. Deshalb ist den Tätern zweierlei gewiss: Ein ausgeprägtes Medieninteresse und eine durch diese Aufmerksamkeit der Oeffentlichkeit mitbedingte recht hohe Wahrscheinlichkeit, früher oder später gefasst zu werden. Meist zeigt sich dann, dass die Aktion mit Satanismus in organisierter Form weniger zu tun hatte, als ursprünglich vermutet wurde.

Im Folgenden sollen aus den Erfahrungen unserer Infostelle heraus einige Ueberlegungen zur typischen Täterschaft von satanistischen Grabschändungen, zu deren Motiven und zu allfälligen Möglichkeiten der Prävention dargelegt werden.

 

Täterschaft

Die in den letzten Jahren aufgeklärten Fälle von Grabschändungen mit satanistischer Symbolik weisen auf eine recht spezifische Täterschaft hin. Es handelt sich bevorzugt um junge Männer im Schulentlassenen- und Berufslehralter oder knapp darüber; die besuchte Schulstufe ist typischerweise eher tief; operiert wird in kleinen Gruppen von drei bis fünf Leuten. Oft handelt es sich um Ersttäter, die zuvor kaum durch satanistisches Interesse aufgefallen sind.

 

Motive

1. Protest

Dass sie protestieren wollten, gegen die Erwachsenenwelt und gegen deren Werte, ist das von Grabschändern meistgenannte Motiv. Grabschändung ist Protest, Protest gegen eine Gesellschaft, die den Grabschänder überfordert, ihm zuviel abverlangt, ihm Regeln auferlegt, denen er sich nicht beugen mag. Grabschänder sind oft beruflich wenig erfolgreiche junge Menschen. Es der Allgemeinheit heimzuzahlen ist der wichtigste Antrieb des Grabschänders.

Er sucht sich mit dem Friedhof einen der letzten Bereiche aus, welcher auch in unserer weltanschaulich pluralistischen Gesellschaft durch ein Tabu geschützt ist. Dass die Totenruhe gewahrt werden muss, dieser Maxime stimmen beinahe alle Menschen im Mitteleuropa der Jahrtausendwende zu, ganz egal, ob sie sonst atheistisch, christlich, jüdisch, muslimisch oder theosophisch-esoterisch denken. Mit einer Grabschändung ergibt sich für die Täterschaft folglich die Gelegenheit, den Grossteil der Mitmenschen zu schockieren - ohne jemanden an Leib und Leben gefährden zu müssen. Kaum ein anderes Ziel böte diese Möglichkeit.

Ganz ähnlich verhält es sich mit der satanistischen Symbolik. Auf den ersten Blick mag es eigenartig scheinen, dass der Satanismus im Osten Deutschlands ganz besonders im Schwange ist, wo die Christen eine Minderheit darstellen - wird doch der Satanismus gerne als Gegenbewegung zum Christentum wahrgenommen. Mit satanistischer Symbolik kann der junge Mensch allerdings nicht bloss seine christlichen Eltern beunruhigen, auch atheistische Eltern sehen es mit Besorgnis, wenn ihr Sprössling die Kraft der Vernunft derart plakativ verabschiedet und sich einer höheren Macht überantwortet, die traditionell für Irrationalismus und Hingabe an dunkle Gefühle steht. Der Bruch zwischen Atheismus und Satanismus ist nicht geringer als derjenige zwischen Satanismus und Christentum.

So wird auch klar, warum die satanistischen Grabschänder gewissermassen ihr Ziel verfehlen. Satanistischer Protest reinster Lehre müsste sich eigentlich gegen Kirchen richten, nicht gegen Friedhöfe. Auf Friedhöfen betrifft man alle, auch den einen oder anderen okkulten "Glaubensgenossen". Aber die Verunzierung von Kirchen birgt weit weniger gesamtgesellschaftliches Schockpotenzial in sich als die Störung der Totenruhe. Nicht nur aktive Kirchgänger - zu denen die eigenen Eltern und der Lehrmeister meist eben gerade nicht gehören - sollen mit der Aktion getroffen werden, sondern das Gros der Gesellschaft.

Oft zeigen die angebrachten Spuren auf den Friedhöfen deutlich, dass der Satanismus von der Täterschaft bloss angelernt wurde. Spezifische Symbole, die einige Fachkenntnis verlangt hätten, fehlen. Was sich findet, ist das, was unter jungen Menschen allgemein als satanistisch bekannt ist: das umgekehrte Kreuz, der fünfzackige Stern, auch Pentagramm genannt, und die 666 des Antichristen aus dem letzten Buch der Bibel, der Johannes-Offenbarung. Bei organisierten und gebildeten Satanisten haben zwei dieser Symbole, das umgekehrte Kreuz und die Zahl 666, eine eher untergeordnete Bedeutung. Aufgesprayt werden also nicht die für den Satanismus besonders wichtigen Symbole, sondern diejenigen, die allgemein dafür gehalten werden. Satanismus ist bei Grabschändungen Protest, kaum Ideologie.

 

2. Faszination des Todes

Viele Jugendliche, und um solche handelt es sich bei Grabschändern meist, interessieren sich intensiv für den Tod. Das zunehmende Bewusstsein der eigenen Indivudualität und deren Krisen macht die Frage nach dem Ende des Individuums und nach einem allfälligen Weiterbestehen nach dem Tod drängender. Mittels Gläserrücken wird versucht, die Existenz nach dem Tod quasi experimentell zu beweisen. Bei Wahrsageversuchen wird oft der Zeitpunkt des eigenen Todes nachgefragt. Manche junge Menschen erleben den Tod als Bereich der Ruhe, des Friedens, des Endes aller Zwänge oder des eigentlichen Seins und empfinden sich gewissermassen als "lebende Tote". Sie schliessen sich vielleicht der Gruftie- oder Gothic-Szene an, die zu ganz wesentlichen Teilen aus jungen Menschen besteht.

Der Friedhof ist für viele junge Menschen deshalb ein Ort besonderen Interesses. Und dies ist naturgemäss kein neues Phänomen. Schon die Jungmannschaften vergangener Jahrhunderte trafen sich gern auf dem Friedhof, und ihr dortiges Treiben verletzte die Totenruhe mitunter massiver als moderne Grabschändungen. So wird vom Ausgraben von Toten und vom Verzehr von Leichenteilen berichtet. Makabres Tun Jugendlicher auf dem Friedhof hat also Tradition, neu hinzugekommen ist in den letzten Jahren die satanistische Symbolik.

 

3. Mutprobe

Schon die Rituale von Jungmannschaften auf dem Friedhof trugen den Charakter der Mutprobe. Der Friedhof ist faszinierend und beängstigend zugleich. Diverse Zombie- und Gruselfilme trugen in den letzten Jahrzehnten das ihre dazu bei, dass zu nächtlichem Besuch des Friedhofs ein gerüttelt Mass Kaltblütigkeit dazugehört. Wer sich gar noch traut, die Toten in ihrem Frieden zu stören, muss - so das Plot mancher Filme - erst recht mit gespenstischen Gegenwirkungen rechnen. Der Grabschänder begegnet auf dem Friedhof eigenen Aengsten und überwindet sie. Er kann sich selbst als Held wahrnehmen.

 

4. Aggressionsstau

Grabschändung ist Vandalismus. Vandalismus ist eine gescheiterte, weil rein destruktive Form des Aggressionsabbaus. Mancher junge Mensch, beruflich und vielleicht auch privat wenig erfolgreich, kassiert Frust, ohne dass er über ein Ventil zum Abbau der Aggressionen verfügen würde. So entlädt sich das Angestaute in Zerstörung. Ganz offensichtlich nimmt der Vandalismus in der Schweiz parallel zu den Grabschändungen zu. Es scheint einer zunehmenden Zahl von Jugendlichen an Möglichkeiten zu fehlen, mit Aggressionen sinnvoll umzugehen.

 

5. Selbstwirksamkeit

Das öffentliche Interesse an Grabschändungen, so verständlich es ist, wirkt sich auf Folgetaten leider förderlich aus. Je mehr die Medien über Grabschändungen berichten, umso attraktiver werden Friedhofsverunstaltungen für die potenzielle Täterschaft. Durch die Medienberichte erhält der beruflich wenig erfolgreiche junge Mensch eine Chance, die er sonst nie hätte: Seine Tat, sein Werk erfährt öffentliche Aufmerksamkeit. Seine Graffittis werden im Fernsehen gezeigt. Experten mutmassen darüber, wer er sein könnte und was seine Motive sind. Die Polizei erlässt einen Zeugenaufruf. Der Täter ist gewissermassen "auf der Flucht." Der junge Mensch erfährt Selbstwirksamkeit, sein Tun hat Folgen für breite Kreise. Er ist nicht mehr bloss ein Getriebener im Strom des Lebens, er hat den Strom - wenn auch nur kurz - erheblich mitbeeinflusst. Das Streben junger Menschen nach Selbstwirksamkeit, nach der Erfahrung eigener Wirkung auf andere, wird durch Grabschändung ohne grossen Aufwand erfüllt. In diesem Licht ist die Zurückhaltung der Behörden bei der Publikation von Grabschändungen sicher sinnvoll.

 

Serien

Oft bleibt eine Grabschändung im Leben eines jungen Menschen Episode. Er kommt zusammen mit Kollegen im Alkoholrausch auf die Idee, mal ein paar Grabsteine zu versprayen und umzuhauen. Ist die Sache durch, hat mans gesehen. Satanistisches Interesse war weder vorher noch nachher im Spiel, die satanistische Symbolsprache wurde gewählt, um die Schockwirkung zu verstärken, und nicht zuletzt auch, um die Ermittlungsbehörden auf eine falsche Fährte, nämlich diejenige organisierter Satanisten, zu locken.

Es kann aber auch vorkommen, dass Grabschändung zur Serientat wird, dass es eine Gruppe junger Menschen nicht bei einer Aktion bewenden lässt, sondern immer wieder im selben Sinne tätig wird. Die erfahrene Entlastung von Aggression und die erlebte Selbstwirksamkeit heischen nach Wiederholung. Eine satanistische Weltanschauung muss auch bei Serientätern nicht gegeben sein.

Seltener geschieht es, dass sich Grabschädergruppen eine satanistische Ideologie zulegen, wie das bei der Ende der Neunzigerjahre aktiven Gruppe aus Horgen der Fall war. Beginnen sich junge Menschen, die zuerst aus dumpfem Protest und aus Aggressionen heraus sich an Friedhöfen vergriffen, für den Satanismus als Weltanschauung zu interessieren, dann wird es nicht bei Grabschändungen bleiben. Satan will nicht bloss Destruktion, er will auch aktiv verehrt werden - das Motto "do ut des", die Vorstellung, dass der Gottheit gegeben werden muss, damit sie einem Kraft und Unterstützung wiedergibt, findet sich auch im Denken jugendlicher Satanisten. Magische und Tieropferrituale werden folglich dazukommen und die destruktiven Aktionen vielleicht gar in den Hintergrund drängen. Die Aggression kann sich in Ekeltrainings gegen den Satanisten selbst richten. Am Ende kann sich eine Dynamik ergeben, die ohne Intervention von aussen nicht mehr zu stoppen ist.

 

Abgrenzungen

Gerne werden Grabschändungen mit zwei Strömungen in Verbindung gebracht, die zwar zu Friedhöfen eine gewisse Affinität aufweisen, als Grabschänder aber eher nicht in Frage kommen. Sowohl organisierte Gemeinschaften erwachsener Satanisten als auch Gruppen von Grufties kann man durchaus nächtens auf Friedhöfen antreffen, Beschädigungen verursachen sie jedoch in aller Regel nicht.

 

1. Organisierte Gemeinschaften erwachsener Satanisten

Die in der Schweiz vertretenen Gemeinschaften erwachsener Satanisten interessieren sich weniger für Friedhöfe als landläufig angenommen wird. Zwar mag mancher Friedhof als Kraftplatz gelten und sich als Standort für ein schwarzmagisches Ritual anbieten, in der Regel sind Plätze in der Natur oder auf vermuteten oder wirklichen alten Kultstätten aber interessanter. Wird ein Friedhof als Kraftort benutzt, wäre seine Zerstörung kontraproduktiv. Die magische Kraft des Ortes würde eliminiert. Und wer entlädt schon seine Batterie, bevor er sie in die Taschenlampe steckt?

Kommt dazu, dass die öffentlichkeitsfreudigen satanistischen Orden sich beobachtet wissen und penibel auf Einhaltung geltender Gesetze achten. Hier ist insbesondere Markus Wehrli alias Fra Satorius, der "Prior" des "Schwartzen Ordens von Luzifer" zu nennen, der sich durch seine Fernsehkamerafreudigkeit mittlerweile als "schwarze Uriella" (mit ähnlichem Unterhaltungswert) etabliert hat. Wehrli wird kaum den Fehler begehen, graffitisprayend durch die Lande zu ziehen. Die Problematik des "Schwartzen Ordens" liegt anderswo - bei der sozialdarwinistischen und vom Nazidenker Wiligut inspirierten Ideologie.

 

2. Grufties / Gothic People

Die Angehörigen der Gothic--Szene oder Grufties, wie man früher eher sagte, sind zweifellos diejenigen Menschen, die sich zu Friedhöfen am meisten hingezogen fühlen. Ihr dunkles Lebensgefühl, durch schwarze Kleidung und weisses Makeup zum Ausdruck gebracht, lässt Friedhöfe zu begehrenswerten Plätzen des Verweilens werden. Tod und Tote besitzen eine positive Ausstrahlung. Der Friedhof vermittelt Heimatgefühle. So bieten zahlreiche Gothic-Websites Bilder von Friedhöfen und Grabdenkmälern an. Manche Vertreter der Gothic-Szene machen von Friedhöfen zwar einen erotischen Gebrauch, der auch nicht ganz den Vorstellungen der Allgemeinheit über die Wahrung der Totenruhe entspricht, aber eine Verunzierung der Friedhöfe würde einer Destruktion des eigenen Wohnzimmers gleichkommen. Grufties besuchen Friedhöfe gerne, lassen sie aber in Ruhe.

 

Prävention

Grabschänder sind junge Menschen, die sich von der Gesellschaft vernachlässigt oder unterdrückt, beruflich und vielleicht auch privat überfordert und zu wenig beachtet fühlen. Zudem fehlt ihnen die Gelegenheit, Aggression abzubauen. An diesen Punkten muss Prävention einsetzen:

- "Hätte ich einen Kampfsport betrieben, so wäre ich nicht Satanist geworden," meinte der Anführer der Horgener Satanisten anlässlich einer Radiosendung. Dem ist wenig beizufügen. Die Beobachtung bestätigt sich in der Praxis immer wieder. Vandalismus ist ein Ventil junger Menschen, die über kein anderes verfügen.

- Vandalismus ist immer auch Ausdruck einer aktuellen Krise, die nicht mehr bewältigt werden kann. Hier braucht der junge Mensch Hilfestellung und Aufmerksamkeit seiner Umwelt.

- Das Gefühl, zumindest im persönlichen Umfeld "einen Unterschied zu machen", ist für junge Menschen unerlässlich. Wer den Eindruck erhält, ohne ihn gings genauso gut oder gar noch besser, muss Selbstwirksamkeit woanders beziehen.

- Zu Mutproben und Protest eignet sich der Friedhof bloss, weil das Tabu zwei Seiten hat. Der Friedhof ist tabu in dem Sinne, dass man ihn in Ruhe lässt - nicht nur physisch, sondern auch thematisch. Man spricht nicht drüber, wenn man nicht muss. Der Bereich des Todes wird dem Alltag enthoben, etwas Besonderes, das nicht zum Leben gehört. Wer zum Friedhof einen natürlichen, selbstverständlichen und vertrauten Zugang gewinnt, für den eignet sich der Friedhof für Protest ebensowenig wie z.B. das Spital. Eine Soap-Opera um einen Totengräber wird nicht abzudrehen sein, aber im Unterricht, insbesondere im kirchlichen, kann ein selbstverständlicher Umgang mit Sterben, Tod und Friedhof eingeübt werden.

 

Georg Otto Schmid, 2001

Artikel-URL: https://www.confessio.de/index.php/artikel/100

Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio Themenheft 01 ab Seite 18