Praxistipps für gelebte Ökumene

Hinweise von und für Kirchenvorstände

Die Spaltung der Christenheit in verschiedene Konfessionen ist theologisch ein Ärgernis und praktisch oft ein Hindernis für die Glaubwürdigkeit des Christentums. Glücklicherweise gibt es inzwischen in vielen Bereichen eine konfessionsübergreifende ökumenische Zusammenarbeit, die die Auswirkungen der Spaltung mindert. Die Würzburger Synode, in der 1971-1975 die katholischen Bistümer gemeinsam überlegten, wie die Impulse des 2. Vatikanischen Konzils in Deutschland umzusetzen seien, hatte diesbezüglich einen wegweisenden Beschluss gefasst: Künftig sollte nur noch das, was aus zwingenden theologischen oder praktischen Gründen in der eigenen Konfession erfolgen muss, dort durchgeführt werden, während alles andere ökumenisch organisiert werden sollte. Diese Absichtserklärung enthält eine Begründungsumkehr: Nicht die ökumenische Zusammenarbeit ist begründungspflichtig, sondern wo etwas nicht ökumenisch geschieht. In der Praxis wurde dies leider nur selten eingelöst. Der Normalfall ist, dass die ökumenische Arbeit oftmals wie ein 5. Rad am Wagen erscheint: Jeder macht seins, und dann gibt es noch zusätzlich für die besonders Engagierten extra ökumenische Veranstaltungen. Entsprechend schlecht besucht sind sie mitunter und werden als zusätzliche Last empfunden. Das muss nicht so sein. In der Charta Oecumenica wurde im Jahr 2000 das Prinzip der ökumenischen Priorität wieder aufgegriffen und erklärt: „Wir verpflichten uns, auf allen Ebenen des kirchlichen Lebens gemeinsam zu handeln, wo die Voraussetzungen dafür gegeben sind und nicht Gründe des Glaubens oder grössere Zweckmäßigkeit dem entgegenstehen.“ (Punkt 4 „Gemeinsam handeln“) Angesichts rückläufiger kirchlicher Ressourcen ist stärkere ökumenische Zusammenarbeit gerade im ländlichen Bereich ein Gebot der Stunde, das so gesehen nicht zusätzliche Arbeit, sondern tatsächlich Entlastung bedeuten kann. Das setzt voraus, dass manches nicht mehr von jeder Konfession für sich, sondern auch stellvertretend füreinander angeboten werden kann.

Nachahmenswertes

Beim sächsischen Kirchvorstehertag im Juni 2015 in Chemnitz gab es eine Veranstaltung, bei der Beispiele und Impulse aus der Praxis der Kirchgemeinden gesammelt und vorgestellt wurden, die zur Nachahmung anregen sollen. Dabei wurden drei Kategorien gebildet:
•A Einfach: relativ problemlos zu organisieren und vielerorts gängige Praxis,
•B Vorbildhaft: etwas höhere Anforderungen an institutionelle Kooperation, aber da und dort erfolgreich praktiziert,
•C Möglich: Ideen und Beispiele für weitergehende Zusammenarbeit, die grundsätzlich möglich, aber bislang selten in der Realität anzutreffen ist.

Ergänzt wurden die durch die Moderatoren Elisabeth Naendorf, Friedemann Oehme und Harald Lamprecht eingebrachten Beispiele durch Ideen, Erfahrungen und Wünsche der zahlreich anwesenden Kirchvorsteher.

Kategorie A - Einfaches

Gebetsangebote

• Bibelwoche und Bibelsonntag:

Die Bibelwoche gibt es in institutionalisierter Form seit 1935 und seit dem 2. Vatikanischen Konzil auch in ökumenischer Form. Die Handreichungen dafür werden von evangelischer Bibelgesellschaft und Katholischem Bibelwerk gemeinsam publiziert. Der letzte Sonntag im Januar wird seit 1982 bundesweit ökumenisch als Bibelsonntag begangen.
http://www.oekumene-ack.de/themen/geistliche-oekumene/bibel/oekumenische-bibelwoche/

• Weltgebetstag: Seit Ende des 19. Jahrhunderts wird ausgehend von Impulsen aus den USA und Kanada der Weltgebetstag begangen. Heute gibt es in über 170 Ländern Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die aus den Vorbereitungsmaterialien bessere Kenntnis von dem Land und seinen Lebensverhältnissen gewinnen, das im Zentrum dieses Gebetstages steht. Das Motto lautet: Informiert beten - betend handeln.
http://weltgebetstag.de/de/

• Allianz-Gebetswoche: Im Rahmen der Gebetsbewegung der Evangelischen Allianz kommen seit 170 Jahren in einer weltweiten Gebetswoche Christen zum Gebet zusammen. Bewusst werden dafür auch öffentliche Orte (Rathäuser, Kinos etc.) gesucht.
http://www.ead.de/gebet/allianzgebetswoche/

• Gebetswoche für die Einheit der Christen: Getragen vom ökumenischen Rat der Kirchen zusammen mit dem päpstlichen Rat für die Einheit der Christen wird jährlich vom 18. bis 25. Januar zur Gebetswoche aufgerufen. Alternativ kann sie auch zwischen Himmelfahrt und Pfingsten stattfinden.
www.oekumene-ack.de/themen/geistliche-oekumene/gebetswoche/2015/

• Ökumenische Gottesdienste sind vielerorts zu festen Terminen im Kirchenjahr im Programm. Besonders bieten sich an: Aschermittwoch, Pfingstmontag, Johannistag, Tag der Schöpfung, Reformationstag, Buß- und Bettag. Ferner können besondere Anlässe sinnvoll ökumenisch begangen werden, wie z.B. Gottesdienste aus Anlass von Stadtfesten, Vereinsfesten, Parteitagen und Katastrophen.
Zu unterscheiden sind dabei gemeinsam gestaltete Gottesdienste von gegenseitigen Einladungen zum Erleben der eigenen Gottesdienstform. Auch letzteres hilft zum gegenseitigen Kennenlernen und Verstehen.

• Ökumenische Friedensdekade: Seit 1980 wird in den 10 Tagen (=Dekade) vor dem Buß- und Bettag dazu aufgerufen, mit besonderen Veranstaltungen (Gebetsketten, abendlichen Friedensgebeten, Informations- und Diskussionsveranstaltungen) über den Frieden und seine vielfältigen Gefährdungen in ökumenischer Weite nachzusinnen.
http://www.friedensdekade.de

• Ökumenischer Jugendkreuzweg: Bereits Anfang der 1960er Jahre entstand der ökumenische Jugendkreuzweg, bei dem (nicht mehr nur) Jugendliche bei einem Weg durch den Ort oder in mehreren Kirchen während der Passionszeit das Kreuz Jesu in seiner Bedeutung für das eigene Leben bedenken. Dafür gibt es ein gemeinsames Materialheft von der Arbeitsgemeinschaft evangelischer Jugend (aej) und dem Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ).
http://jugendkreuzweg-online.de

Kirche in der Öffentlichkeit

• Nacht der Kirchen: Die christlichen Gemeinden eines Ortes öffnen ihre Türen und Kirchen werden Orte der Begegnung auch für die Nachbarschaft.
Beispiel: www.nacht-der-kirchen-dresden.de

• Martinstag: Rings um den 11. 11. sind vielerorts Veranstaltungen etabliert, die von einem Lampionumzug begleitet die Legende um St. Martin thematisieren. Diese haben eine sehr starke Außenwirkung in die Gesellschaft hinein und werden auch von etlichen Nichtchristen (mit Kindern) besucht. Wo Anfangs- bzw. Endpunkt des Zuges in der Gemeinde einer anderen Konfession liegen, bekommt das Fest eine ökumenische Dimension.

• öffentliche Auftritte von Kirchen bei gesellschaftlichen Anlässen (Friedensgebete, Dorf- und Stadtfeste, Stände und Angebote z.B. beim Tag der Sachsen oder auch gemeinsame Stellungnahmen (zur Flüchtlungsproblematik, zum Rechtsextremismus etc.) gewinnen an Glaubwürdigkeit und Wirkkraft, wenn sie ökumenisch verantwortet werden.

• regionale Webseiten für die Kirchen einer Region sind mancherorts schon in ökumenischer Breite aufgebaut (z.B. Kirche-Chemnitz.de, Kirche-Leipzig.de) und verzeichnen nicht nur die Gemeinden einer einzelnen Konfession, sondern der Mitgliedskirchen der ACK.

Diakonische Aktivitäten

• Obdachlosen-Nachtcafé ist ein Projekt, das von November bis März an jedem Abend in der Woche von 20 bis 7 Uhr an mehreren (wechselnden) Orten Obdach, Mahlzeit und Waschdienst für wohnungslose Menschen anbietet. Getragen wird es konfessionsübergreifend durch ehrenamtliche Teams aus den benachbarten Gemeinden und von Diakonie und Caritas begleitet.

• Flüchtlingsbetreuung geschieht an vielen Orten in ökumenischer Zusammenarbeit. Schon früh hat sich z.B. in Schneeberg eine diesbezügliche ökumenische Initiative zusammengefunden, um die in der ehemaligen Kaserne untergebrachten Flüchtlinge zu unterstützen.

Gemeinsame Aktionen

• Studierendengemeinden: gerade an kleineren Hochschulstandorten bieten sich konfessionsübergreifende Kooperationen bei den Studierendengemeinden an. So gibt es z.B. in Chemnitz ein gemeinsames Programm von ESG und KSG. Noch einen Schritt weiter geht Freiberg mit der EKSG, wo sich beide Gemeinden auch organisatorisch zusammengeschlossen haben.
Beispiel: http://eksg.tu-freiberg.de

• Gemeindeabende: Sie planen einen besonderen Gemeindeabend? Warum nicht konfessionsübergreifend dazu einladen und auf diese Weise das ökumenische Miteinander fördern? Es ist nur wenig Mehraufwand aber ein großer Nutzen.

• Chorprojekte, Kirchenkino, Fußball-Open-Air etc. lassen sich mit Gewinn für alle ökumenisch organisieren, ebenso gegenseitige Besuche in Hauskreisen…

• Fasching und Feiern: Die besten Faschingsfeiern gibt es bei den Katholiken, aber richtig gut wird die Stimmung auch dort, wenn die evangelische junge Gemeinde mit dabei ist.

Kategorie B - Vorbildhaftes

• Gemeinsame Weiterbildungstagungen: Die jährliche Weiterbildungswoche für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jugendarbeit/jugendpastoral aus Landeskirche und Bistum findet in Sachsen schon seit Jahren gemeinsam statt. Dabei wird der Reichtum unterschiedlicher Ansätze erfahrbar, Ressourcen werden gebündelt, Kosten geteilt.
http://www.evlks.de/aktuelles/nachrichten/23306.html

• Kindergarten mit ökumenischer Ausrichtung: Auch wenn ein ökumenischer Trägerverein für einen Kindergarten vor vielen juristischen Hürden steht, ist eine ökumenische Ausrichtung gleichwohl möglich - sowohl durch Auswahl des Personals wie der aufzunehmenden Kinder und die inhaltliche Gestaltung des Programmes.
Beispiel: http://www.oekukigameissen.de

• Domladen Bautzen: Als in Bautzen die evangelische wie die katholische Buchhandlung aus wirtschaftlichen Gründen vor der Schließung standen, fand sich ein ökumenischer Trägerverein, der erfolgreich ein gemeinsames Folgeprojekt mit erweitertem Themenspektrum gestaltet.
http://www.domladen-bautzen.de

• Konfessionelle Kooperation im Religionsunterricht: Ein entsprechendes Erprobungsmodell ist in Coswig gelaufen. Angesichts geringer Schülerzahlen kann konfessionelle Kooperation einen wesentlich attraktiveren Religionsunterricht ermöglichen, als wenn die Konfessionen auf getrennte Veranstaltungen bestehen.

• Eine-Welt-Läden und -Gruppen können gut durch Christen aus verschiedenen Gemeinden getragen werden. Auch hier gilt: Ressourcen werden gebündelt, Kosten geteilt.

Kategorie C - Möglich, aber (noch) selten

• Besuchsdienste ökumenisch: Einen gemeinsamen Begrüßungsbrief für Neuzugezogene gibt es in Mainz. Wo es gelingt, auch Geburtstagsgrüße und Besuchsdienste ökumenisch zu organisieren, zeugt das von einem gewachsenen Vertrauen der Konfessionen zueinander, in diesen sensiblen Bereichen nicht für die eigene Konfession abzuwerben, sondern sich gemeinsam als Christen vor Ort zu verstehen.

• Gemeindebrief übergreifend: Einen gemeinsamen Gemeindebrief für Kirchgemeinden, Heimatvereine, Männergesangsverein, Grundschulhort und Jugendfeuerwehr, der an alle Haushalte verteilt wird, gibt es in Dresden-Wilschdorf.

• Gemeinsame Gemeinde: Unter den Bedingungen der Diaspora in China gelingt, was andernorts nur auf dem Papier steht: In Shanghai besteht eine organisatorisch gemeinsame deutsche Gemeinde mit einem evangelischen und einem katholischen Gemeindeteil, die abwechselnd von der evangelischen Pfarrerin und vom katholischen Priester besucht werden. Es gibt einen gemeinsamen Kirchenvorstand, Konfirmationen und Firmungen, und jeder bleibt in seiner Konfession, aber lebt in einer gemeinsamen Gemeinde.
http://www.dcgs.net

• Rahmenvereinbarungen zwischen Bistümern und Landeskirchen über die mögliche und gewollte ökumenische Zusammenarbeit in den Gemeinden vor Ort können Entlastung durch Kooperationen befördern.

Harald Lamprecht

 

 

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Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 3/2015 ab Seite 18