Adventisten in der Ökumene

Eindrücke vom Besuch einer Pastorentagung der Berlin-Mitteldeutschen Vereinigung

Die Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten trägt noch nicht lange die Selbstbezeichnung „Freikirche“. Die Umbenennung wurde im Dezember 2005 vom Leitungsgremium den Gemeinschaften empfohlen. Das weist auf innere Veränderungsprozesse hin, die seit über 40 Jahren im Gange, aber noch nicht vollständig abgeschlossen sind. Von daher stellt sich auf den verschiedenen Ebenen der Begegnung immer wieder die Frage, wie die ökumenische Stellung der Adventisten zu beurteilen ist.

Wurzeln: Miller und das himmlische Heiligtum

Ihren Ursprung hat die Gemeinschaft der Siebenten-Tags-Adventisten in der Miller-Bewegung. William Miller (1782–1849) war nicht nur der Meinung, dass das Buch Daniel als prophetische Vorausschau der Gegenwart zu lesen sei, sondern berechnete auch als konkreten Termin für die Wiederkunft Christi das Jahr April 1843 bis März 1844. Dies löste eine große Bewegung aus. Nach dem Verstreichen des ursprünglich errechneten Termines wurde noch einmal nachgerechnet und der 22. Oktober 1844 als definitiver Termin für die Wiederkunft Christi bekannt gegeben. Aus der Unruhe nach dem ereignislosen Verstreichen dieses Termins entstanden - neben zahlreichen kleineren - zwei noch heute bedeutsame Gemeinschaften:

a) die Zeugen Jehovas und

b) die Gemeinschaft der Siebenten Tags Adventisten.

Während die Zeugen Jehovas das Jahr 1914 als neu errechneten Termin für den Anbruch des himmlischen Friedensreiches propagierten, verzichteten die Adventisten auf neue Berechnungen und bevorzugten eine andere Deutung: Am 22. Oktober 1844 sei Christus nicht wie ursprünglich erwartet aus dem himmlischen Heiligtum auf die Erde gekommen, sondern im himmlischen Heiligtum vom Heiligsten ins Allerheiligste getreten. Damit habe eine zweite Phase seines Wirkens als himmlischer Hohepriester begonnen. Seinem neuen Dienst im Heiligtum komme der Charakter eines Untersuchungsgerichtes zu, bei dem festgestellt wird, wer an den Geboten Gottes festgehalten und den Glauben an Jesus bewahrt hat. Die Naherwartung sowie die Bedeutung des Datums 1844 wurden damit beibehalten, ohne dass ständige Neuberechnungen mit neuen Terminierungen der endzeitlichen Erwartung erfolgen. Durch den Einfluss von Siebenten-Tags-Baptisten kam die Sabbatheiligung in das Profil und den Namen der Gemeinschaft. Bedeutsam für die weitere Entwicklung wurden auch die Prophezeihungen von Ellen Gould Harmon-White (1827–1915). Ihre Visionen und Schriften gelten als inspiriert und beeinflussten die junge Bewegung stark. Nicht zuletzt aufgrund einer ihrer Visionen steht die aktive Gesundheitspflege und vegetarische Ernährung bei Adventisten hoch im Kurs. Darin sind auch Einflüsse der amerikanischen Lebensreformbewegung erkennbar. Ihr Buch „Der große Kampf“ wird immer noch intensiv beworben.

Abgrenzung und Öffnung

Die ersten Jahrzehnte adventistischen Wirkens waren von einer Abgrenzung gegenüber den bestehenden Kirchen geprägt. Viele Adventisten verstanden sich als „die Übrigen“ (Offb. 12,17), während sie in den anderen Kirchen die „Hure Babyolon“ zu erkennen meinten (Offb. 14,8) trägt.

Seit ca. 40 Jahren, genauer: seit adventistische Beobachter beim zweiten Vatikanischen Konzil zugegen waren und dort persönliche Kontakte zu vielen Vertretern anderer Kirchen knüpfen konnten, hat sich eine deutliche Annäherung zwischen Adventisten und anderen Christen ergeben. Einerseits haben Adventisten gelernt, die christliche Spiritualität anderer Kirchen zu achten. Andererseits haben auch die traditionellen Konfessionskirchen erst allmählich im Rahmen der ökumenischen Bewegung lernen müssen, dass das Gespräch mit Christen in anderen Gemeinschaften nicht nur Anfechtung und Irrtum, sondern auch Anregung und Bereicherung beinhalten kann. Äußere Bedingungen haben diesen Prozess des Aufeinander-zu-Wachsens in unterschiedlicher Weise gefördert oder behindert. In der Folge dessen gibt es z.T. deutliche regionale Unterschiede im ökumenischen Engagment adventistischer Gemeinschaften in Deutschland. Im Osten Deutschlands waren während der DDR-Zeit die Christen der verschiedenen Konfessionen stärker aufeinander angewiesen. In der Schule oder bei der Armee empfanden sie sich im Gegenüber zum betont atheistischen Staat als für eine gemeinsame Sache engagiert. Dies hat zu persönlichen Kontakten und vielerorts zu selbstverständlich gelebter Ökumene geführt. In den westlichen Bundesländern fehlt vielfach diese Lernerfahrung. Besonders in Süddeutschland sind die traditionellen Kontroversen inbesondere zwischen Adventisten und römisch-katholischer Kirche noch sehr lebendig. Noch intensiver und schärfer werden die alten Gegensätze von den adventistischen Splittergruppen vertreten, welche die ökumenische Öffnung zur Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten nicht mit vollzogen haben.

Stärkung der gemeinsamen christlichen Basis

In Bezug auf die Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten ist jedoch zu spüren, dass sie den Weg von der Sekte zur Freikirche bewusst weiter gehen möchte. Belege dafür gibt es viele. Neben den Rückmeldungen über ein weitgehend gutes Miteinander aus den Gemeinden und aus der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK), in der die Adventisten seit etlichen Jahren im Gaststatus mitarbeiten, stehen auch publizistische Äußerungen.

Durch ihre zentralistische Struktur sind die Adventisten der Römisch-Katholischen Kirche in manchem ähnlicher als sie es vielleicht mögen. Jedenfalls kann man feststellen, dass hier wie dort alte Glaubenssätze zwar nicht offiziell revidiert, aber doch neuen Interpretationen unterzogen und in veränderte Kontexte gestellt werden. Dadurch erscheinen manche Äußerungen in einem anderen Licht. Beobachten kann man diesen Vorgang z.B. in einem Artikel aus der Mitgliederzeitschrift „Advent-Echo“ 3/2006 zum Thema „Die Übrigen“. Zwar zitiert der Artikel ohne Widerspruch den adventistischen Glaubensartikel, dass in der letzten Zeit, einer Zeit weit verbreiteten Abfalls, eine Schar der Übrigen herausgerufen sei, um an den Geboten Gottes festzuhalten und den Glauben an Jesus zu bewahren. Aber er wendet sich explizit gegen die traditionelle Engführung, diese Übrigen seien nur der kleine Rest der Adventisten. Anhand einer ganzen Reihe von Bibelstellen wird demonstriert, dass „die Übrigen“ in der Bibel meistens nicht den kleinen, treuen und heiligen Überrest des Volkes Gottes, meinen. „So paradox es auf den ersten Blick erscheinen mag: „die Übrigen“ sind nicht ein kleiner Rest, sondern eine riesige Menge. So bezeichnete Paulus den christusgläubigen „Überrest“ seines Volkes als „das ganze Volk Israel“ (Rö 11,5.26) und verband damit seinen Traum von der endzeitlichen Bekehrung der Juden (Rö 11,5.25.26). Siebenten-Tags-Adventisten sind noch dabei, ihre ursprüngliche, kurzsichtig-verengte Auffassung von der „kleinen Schar“ verfolgter und versprengter Sabbathalter der weitsichtigen „Offenbarung Jesu Christi“ anzugleichen.“ Ein solcher Umgang mit der eigenen Tradition macht ökumenisch dialogfähig. Er verleugnet nicht das eigene Profil, gestaltet es aber offen und durchlässig für andere Konfessionen.

Pastoren mit Selbstkritik

Bereits die Tatsache, dass die Berlin-Mitteldeutsche Vereinigung sich den Sektenbeauftragten der Ev.-Luth. Landeskirche als Hauptredner ihrer internen Pastoren-Weiterbildungstagung eingeladen hat, kann als weiterer Beleg für eine offene Grundhaltung gesehen werden. Dies verstärkt sich noch, wenn man das Thema der Tagung bedenkt: Fundamentalismus und Geistlicher Missbrauch. Adventistische Pastoren hatten diese Referate in anderen Zusammenhängen gehört und empfanden sie auch im Blick auf die eigene Gemeinschaft als hilfreich. Das zeigt sowohl die Anerkenntnis, dass solche Dinge in der eigenen Organisation eine Rolle spielen können als auch den Wunsch, sich kritisch damit auseinander zu setzen. Es lohnt kaum noch zu erwähnen, dass die Tagung in einem katholischen Haus stattfand (dem Mariapolizentrum der Fokolar-Bewegung in Zwochau bei Leipzig).

Christliche Gemeinschaft

Zu allen Andachten, die ich während dieser Tage erlebte, konnte ich aus vollem Herzen „Amen“ sagen, denn die Ansprachen behandelten grundlegende christliche Themen und kamen völlig ohne Bezug auf traditionelle adventistische Sonderlehren aus. In den vielfältigen Gesprächen konnte ich die Hoffnungen und Sorgen, aber auch die individuelle Verschiedenheit der adventistischen Pastoren in einer offenen Atmosphäre ohne Feindschaft oder Geheimniskrämerei kennenlernen. Dabei war beeindruckend, wie freundschaftlich die Pastoren auch mit ihren internen Meinungsverschiedenheiten umgingen.

Differenzen

Theologische Differenzen sind mit einem freundschaftlichen Umgang aber nicht aus der Welt. Adventisten taufen nur Erwachsene und durch Untertauchen. Über die Menge des nötigen Taufwassers lässt sich diskutieren, die Anerkennung von Säuglingstaufen steht aber momentan nicht in Aussicht. Bei allem aufrichtigen Bemühen um Abkehr von fundamentalistischen Verhaltensweisen gehörte ein strenger Kreationismus doch zu den festen Überzeugungen der anwesenden Pastoren und natürlich gehört die Sabbatheiligung zum Kern des adventistischen Selbstverständnisses. Solange solches aber nicht mit exklusivem Anspruch vertreten wird, darf die Tür zu ökumenischen Begegnungen offen stehen.

Harald Lamprecht

Artikel-URL: https://www.confessio.de/artikel/180

Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 2/2008 ab Seite 10