Die christliche Musterfamilie

Ivo Saseks Sommertournee 2004

Es ist schon ein beeindruckendes Bild, die Familie Sasek mit ihren vielen Kindern, aufgereiht wie die Orgelpfeifen von 5 bis 20 Jahren souverän auf der Bühne agieren zu sehen. Während andere Kinder ihre Sommerferien am Strand oder in den Bergen verbringen, singen Simon, David, Loisa, Noemi, Sulamith, Elias, Joschua, Jan-Henoch, Anna-Sophia und Ruth Elpida auf verschiedenen Bühnen in Deutschland, Österreich und der Schweiz von ihrer Beziehung zu Gott.

„Seht, so harmonisch kann christliches Familienleben sein, das stets und in allem mit dem Geist Gottes in Verbindung steht.“ Das ist die beabsichtigte Botschaft dieser Veranstaltung. Familie Sasek ist die christliche Vorzeigefamilie der „Organischen Christus-Generation“ (OCG). So nennen die Anhänger des schweizer Predigers Ivo Sasek ihre Organisation. Der Leib Christi soll dadurch gesunden, dass die kleinsten Zellen, die Familien, organisch in die gottgegebene Ordnung eingefügt werden. Ivo Sasek zeigt wie es geht.

In Nürnberg, Chemnitz, Landau, Hamburg, Enns, Zürich und Berlin kann man das Familien-Oratorium „Fragen und Antworten“ und einen selbstproduzierten Film mit dem Titel „Das Geheimnis Gottes“ erleben.

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Die erste, der man nach dem Betreten des Foyers in die Augen schaut, ist eine Kameralinse. Eine Videokamera filmt alle eintretenden Personen. Weitere Kameras sind im Aufführungssaal stationiert, mehrere mit Blick auf die Bühne, andere von den Emporen sind in den Zuschauerraum gerichtet. Insgesamt waren ca. sieben Kameras im Dauereinsatz. So lässt sich nicht nur das Geschehen auf der Bühne per Leinwand vergrößern, sondern auch jede Reaktion des Publikums in Ruhe auswerten.

Da der Inhalt der Verkündigung diesmal nicht nur in den Ansprachen zwischen den Liedern, sondern stärker in den Texten der Lieder selbst liegen sollte, wurde die Technik auch zur Einblendung von Untertiteln in deutsch und englisch genutzt - für Nichtschweizer gewiss eine Erleichterung.

Kein Streit, keine Kritik = Frieden mit Gott

Eine immer wiederkehrende Kernaussage der Lieder bestand darin, dass schon die kleinste Abweichung, das kleinste Vergehen, der kleinste Unfriede dazu führen kann, dass alles auseinanderbricht. Dies sei letztlich auch die Ursache für Streit und Krieg in der Welt.

David schilderte in starker Kontrastierung wie die ganze Welt vom Bösen getrieben sei (Alkohol, Zigaretten...) und sang davon, dass die Lüste des Lebens von Gott trennen (unterschiedslos: Zigaretten, Alkohol, Joint, Sex, Partys, Kaffee, fette Karren, Geld, TV, DVD, Radio, Games, Clique, Rocker, Skins, Punks, Hiphop, Style, Klamotten). Ebenso war es für die jüngste Sasek-Tochter eine Sünde, die von Gott trennt, Milch statt Tee zum Frühstück zu trinken und Lust auf frische Brötchen, die Pralinen im Schrank oder eine Stange Kaugummis zu haben. So sang Ruthli im Refrain „Es gibt nichts schöneres auf der Welt, als völlig frei zu sein, von allen Begierden, von allem, was ich will.“

Zur Durchsetzung innerer Geschlossenheit wird das biblische Bild vom Sauerteig bemüht. So sei dies in Organismen, erklärte Annie Sasek: wenn nicht alle miteinander dasselbe tun, geht der Friede raus. Zum Beispiel wenn jemand schlechte Stimmung verbreitet (Murren, Widerspenstigkeit, was Sünde sei), schlage sich dies auf alle nieder. Wenn also in der Familie irgendwas nicht gut läuft, hat bestimmt irgendjemand in der Familie (oder Gruppe) eine versteckte Sünde, die erst aufgedeckt und ausgeräumt werden muss. „Ein wenig Sauerteig durchsäuert den ganzen Teig. Fegt den alten Sauerteig hinaus...“ wird zur Bestätigung 1. Kor 5,6 zitiert.

Mit Handschlag in den Dienst

Der dynamische Höhepunkt des Vormittagsprogrammes war ohne Zweifel die evangelistisch arrangierte Motivation zum Eintritt in die Dienstgemeinschaft der OCG. Mit eindringlichen Worten schilderte Ivo Sasek die endzeitliche Dramatik des gegenwärtigen Geschehens: Gott sei derzeit wie einst Noah dabei, seine Arche zu füllen. Es werde nur noch zwei Lager geben: in Christus oder nicht in Christus. So solle man die Bewegung Gottes in diesen Tagen erkennen und in diese neue Taufe eingehen, die mit der OCG durch die Welt geht. Johannes der Täufer brachte eine Entscheidung zur Umkehr, wer ihr nicht folgte, hatte seinen Ratschluss verwirkt. So auch jetzt: „Wer mit diesem Geheimnis nicht Schritt hält, befindet sich außerhalb der Arche, die Christus heißt.“ Während des letzten Liedes sollten beim Refrain alle aufstehen, die sich zu dieser neuen Taufe und zu Ivo Sasek bekennen. „Wenn du dich zu meinem Namen bekennst, wird Gott sich auch zu dir bekennen.“ Wer sich darüber hinaus noch in besonderer Weise in den Dienst von Ivo Sasek zu stellen bereit war, wurde danach auf die Bühne gebeten, um dies mit Handschlag zu besiegeln. Etwa 16 Personen gaben daraufhin Ivo Sasek die Hand und empfingen einen Umschlag mit Informationsmaterial.

Das Geheimnis Gottes: Bibel + Sasek

Am Nachmittag stand ein Film auf dem Programm, der mit ca. zweieinhalb Stunden Dauer den Zuschauern einiges abverlangte. Inhalt war im wesentlichen eine Verfilmung der Apostelgeschichte. Dabei hielt sie sich jedoch nicht ausschließlich an den Text der biblischen Überlieferung. Drehbuchautor und Regisseur Ivo Sasek nutzte vielmehr die Gelegenheit, den agierenden Autoritäten etliches von seinen Sonderlehren in den Mund zu legen. Diese Mischung bestimmte den Charakter des Filmes, der mit viel Engagement und Hingabe von ca. 400 Anhängern produziert wurde.

Aus Kritik gelernt?

Im Vergleich zu der Aufführung des ersten sogenannten „Novatoriums“ mit dem Titel „Lemuel“ vor zwei Jahren fiel wohltuend auf, dass die Zentrierung auf die Person Ivo Saseks etwas nachgelassen hat. Lemuel bestand aus einer lediglich leicht kaschierten Selbstdarstellung von Ivo Sasek und seinem Anspruch, von Gott erwählter Retter der verdorbenen Christenheit zu sein. Demgegenüber brachte es in diesem Jahr der Stoff der Verfilmung der Apostelgeschichte mit sich, dass es dort zu weiten Teilen auch um anderes als Ivo Saseks Person ging.

Eine Gesamtbewertung fällt nicht leicht. Es ist viel Richtiges gesagt und gesungen worden, dem vom christlichen Standpunkt zuzustimmen ist. An etlichen Stellen schimmern aber immer wieder Radikalisierungen und Übertreibungen hindurch, die Anlass zur Sorge geben.

Es ist ja richtig, dass kleine Ursachen manchmal große Wirkungen nach sich ziehen können. Eine solche Betonung des Gehorsams auch im Kleinsten kann aber leicht zu totalitärer Enge auswachsen, die keine Toleranz gegenüber individuellen Herangehensweisen und Meinungen mehr zulässt. Die Gefahr des Abrutschens in ein vom Alles-oder-Nichts-Prinzip bestimmtes Schwarz/Weiss-Denken war an mehreren Stellen deutlich.

Mit Schrecken erfüllt mich die oft polemisch verzerrte negative Sicht auf die ökumenische Gemeinschaft der Christen. Für Ivo Sasek gilt Ökumene als menschengemachte Verschmelzung gegen Gottes Willen. Demgegenüber präsentiert er seine Bewegung als Sendung in andere Denominationen hinein. Leider fand ich diesen Ansatz in der Praxis nicht bestätigt. Die Mehrheit meiner Gesprächspartner hatte eben keine andere Gemeindebindung mehr als zur OCG und war aus der Kirche ausgetreten. Hier muss sich auch der Anspruch an der Wirklichkeit messen lassen.

Harald Lamprecht

Artikel-URL: https://www.confessio.de/artikel/188

Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 4/2004 ab Seite 05