Ein Konservativer mit Dialogerfahrung

Konfessionskundliches Institut zur Wahl von Benedikt XVI.

Herausragender Theologe und Garant von Kontinuität

Mit Kardinal Joseph Ratzinger ist ein herausragender Theologe in das Papstamt gelangt, der zugleich den Anspruch der Theologen in seine Grenzen wies: „Dies ist Seine Kirche und kein Experimentierfeld für Theologen.“ Das machte Ratzinger zu einem Konservativen, aber unter den Konservativen war er derjenige mit der stärksten Dialogfähigkeit. Bereits als progressiver Konzilstheologe sah er die Ambivalenz eines Aufbruchs der Kirche zur Moderne und warnte unmittelbar nach dem Konzil vor einer „Weltzuwendung der Kirche, die ihre Abwendung vom Kreuz darstellen würde“. Reformbewegungen wie der „Kirche von unten“ warf er vor, sich eine gefällige Kirche und ein Christentum ohne Anstoß zu konstruieren. „Kirche gibt es, damit Gott gesehen wird“, dafür stand nach seiner Überzeugung gerade das hierarchische Amt der Kirche. Hierarchie, so belehrte er die Kritiker, heiße nicht „heilige Herrschaft“, sondern „heiliger Ursprung“. Sie ist für ihn Durchlass und Vergegenwärtigung des Anfangs, damit die Kirche aus der immer neu gegenwärtigen Quelle leben könne.

Kirche ist gerade in ihrer institutionellen Gestalt für Ratzinger wirksames Zeichen der Endgültigkeit der Offenbarung Gottes in Jesus Christus. Er konnte zugeben, dass dieses Kirchenverständnis heute schwer zu vermitteln ist, sah aber darin den Ausdruck dessen, dass die Kirche „aus dem Nicht-Selbergemachten lebt“. Auf Seiten des Menschen entspreche der Selbstbindung Gottes „die Möglichkeit des Endgültigen“ im Priesterzölibat oder im Sakrament der Ehe. Kirchenrechtliche Lockerungen etwa im Blick auf die wiederverheirateten Geschiedenen dürften daher von Papst Benedikt XVI. kaum zu erwarten sein.

Klare Alternative zwischen Kirche und Zeitgeist

Wie sein Vorgänger sieht der neue Papst die Situation der Zeit durch eine klare Alternative bestimmt: Entweder neue Hinwendung zur Wahrheit des Seins oder Diktatur des Relativismus, der in scheinbarer Toleranz den Glauben als intolerant erklärt. Mit dieser Botschaft wurde Ratzinger auch bei nachdenklichen Zeitgenossen außerhalb der christlichen Kirche gehört. Der Intellektuelle im Kardinalspurpur wollte der „Wahrheitsfrage wieder Eingang verschaffen in die öffentliche Debatte“. Vernunft werde ohne den Glauben nicht heil, Glaube ohne die Vernunft nicht menschlich. Wo Erkennen unmöglich sei, bleibe nur blinde Orthopraxie oder frommer Irrationalismus. Man darf erwarten, dass Ratzinger auch als Benedikt XVI. der kühle theologische Kopf bleibt, der im Sinne einer Hierarchie der Wahrheiten zu gewichten weiß zwischen den wirklichen Grundfragen und persönlichen Akzentuierungen, wie sie etwa Johannes Paul II. mit seiner Marienverehrung gepflegt hat.

 

Kenner reformatorischer Theologie und kompromissloser Ökumeniker

Mit Papst Benedikt XVI. ist erstmals ein gründlicher Kenner der reformatorischen Theologie auf den Stuhl Petri gelangt. Schon als Kommentator der Konzilstexte hatte er von Luthers Kreuzestheologie her kritische Fragen an die konziliare Sicht auf Kirche und Welt formuliert. Als katholischer Vorsitzender der „Gemeinsamen Ökumenischen Kommission“ war Ratzinger anfangs an dem Projekt der Aufarbeitung der Lehrverurteilungen des 16. Jahrhunderts beteiligt und konnte sich sogar eine evangelisch-katholische Fortsetzung des Leuenberger Modells vorstellen. Als Präfekt der Glaubenskongregation hat er die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre (GER) trotz anfänglicher Bedenken schließlich gebilligt und auch gegen katholische Kritik verteidigt.

In der Ablehnung theologischer Schummelei war sich Ratzinger mit den protestantischen Ökumenekritikern stets einig. Karl Rahners Vorschlag, im Blick auf den tatsächlich gelebten Glauben in den Kirchen die ökumenische Hürde zu senken, war bei ihm auf scharfe Kritik gestoßen. Man könne Konfessionen nicht wie auf dem Kasernenhof zueinander dirigieren, ohne zu fragen, was in den Köpfen vorgehe. Im evangelischen Glaubens- und Kirchenverständnis sieht Ratzinger einen individualistischen Subjektivismus, der Glauben und Evangelium vom Amt und der Gemeinschaft der Kirche isoliert. Man möchte wünschen, dass Ratzinger auch an der Spitze der katholischen Weltkirche aufgrund seiner Erfahrungen in Deutschland die ökumenische Situation nicht aus dem Auge verliert. Wie Johannes Paul II. wird er allerdings vor konkreten ökumenischen Schritten auf kompromissloser theologischer Klärung bestehen. Es bleibt zu hoffen, dass das in der Ökumene vor Ort praktizierte Miteinander dadurch nicht beeinträchtigt wird.

Benedikt - ein Programm?

Überraschungen sind freilich nicht ausgeschlossen. Der letzte Träger des Papstnamens, den Ratzinger jetzt gewählt hat, Benedikt XV. (1914-1922), führte die römisch-katholische Kirche nach den Auseinandersetzungen um den Modernismus wieder in ruhigeres Fahrwasser. Er bemühte sich intensiv um den Weltfrieden und schuf mit der Approbation des Codex Iuris Canonici (CIC) von 1917 die kirchenrechtliche Basis eines kurialen Zentralismus.

Benedikt XIV. (1740-1758), wie Ratzinger ein persönlich bescheidener und glänzend begabter Oberhirte, hatte neben Reformen in Liturgie und Bußpraxis Ausnahmeregelungen im Kirchenrecht für konfessionsverschiedene Ehen vorgesehen, die bis 1906 in Kraft waren.

Walter Schöpsdau in Zusammenarbeit mit Walter Fleischmann-Bisten, Alexander Gemeinhardt, Martin Schuck

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Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 3/2005 ab Seite 18