Benedikts Welthorizont

Papst-Interview ökumenisch enttäuschend (2006)

Mit großer öffentlicher Aufmerksamkeit wurde das Interview bedacht, dass Papst Benedikt XVI am 5. August 2006 ARD, ZDF, Radio Vatikan und der Deutschen Welle gewährte. Die Konstellation war absolut neu in der Geschichte des Papsttums. Dass ein Papst gleich vier Fernsehsendern auf einmal ein Interview gewährte, in welchem es zudem nicht um ein genau begrenztes Thema geht, sondern offen zu allen Bereichen gefragt werden kann - das hat es noch nie gegeben. Soweit der spektakuläre Teil. Das Interview selbst brachte keine weltbewegenden Neuigkeiten zu Tage - das war auch nicht ernsthaft zu erwarten. Der Vatikan pflegt Neuerungen nicht zuerst vor Fernsehjournalisten zu präsentieren. Insofern gab es eine ordentliche und als solche durchaus sehenswerte röm.-kath. Selbstdarstellung.

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Ratzinger brillierte durch schnelle Antworten und kluge Sätze, die vor allem eins deutlich werden ließen: sein Kontext, sein Horizont ist die Weltkirche. Sein Anliegen ist die Verkündigung des Evangeliums, die Öffnung der Menschen in der Welt für den christlichen Glauben und die Mahnung an die kriegführenden Mächte, dass Krieg immer nur Verlierer produziert. Diese Aussagen waren von einer christlichen Weite, in der sich auch evangelische Christen vorbehaltlos wiederfinden können.

Speziell auf die Ökumene zwischen Protestanten und Katholiken angesprochen, auf die aus Deutschland große Hoffnungen gesetzt werden und für die man sich von einem deutschen Papst wenn nicht sogar Einsatz, so doch wenigstens Verständnis wünscht, sah die Reaktion allerdings anders aus. Ratzinger erwähnte zunächst die innere Zerrissenheit des Protestantismus in Lutheraner, Reformierte, Unierte und Freikirchen. Daraufhin verwies er auf die Möglichkeit und Aufgabe gemeinsamer Aktionen im ethischen Bereich. Das ist für evangelische Beobachter enttäuschend. Was Ratzinger anführte, könnte man auch mit Muslimen gemeinsam unternehmen. Dass evangelische und katholische Kirche in langer theologischer Arbeit viele wichtige kontroverstheologische Differenzen abgebaut haben und auch in vielen Fragen theologisch mit gemeinsamer Stimme sprechen können, fiel hier rundweg unter den Tisch.

Nun darf man solch ein Interview auch nicht zu sehr auf die Goldwaage legen. Die Antworten sind spontan formulierte Sätze, keine wohlgesetzten Äußerungen einer Enzyklika. Dennoch, oder gerade deshalb, zeigen sie eine Grundrichtung und Schwerpunkte. Die liegen im Wirken von Papst Benedikt XVI bei Fragen der weltweiten Verantwortung und Verankerung des Christentums. Es geht um Mission und die Herausforderung des Säkularismus, es geht um AIDS in Afrika und die Umwälzungen in Lateinamerika. Es geht darum, einer weithin gottlosen Welt, deren religiöse Suche gerade neu erwacht, den Gott zu zeigen, der als Mensch uns nahe gekommen ist. Es geht - auch wenn das kein Thema des Interviews gewesen war - um eine Verständigung mit der Orthodoxie. Aber es geht nur sehr am Rande um das Häuflein Protestanten und ihre Probleme. Das wird man nüchtern feststellen müssen, will man sich nicht großen Illusionen hingeben. Das heißt nicht, dass Ratzinger rundweg ein Feind der Ökumene wäre. Schließlich hat er als Leiter der Glaubenskongregation der „Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ mit zugestimmt. Aber seine Prioritäten sind momentan anders verteilt. Dies hat das Interview deutlich gemacht.

Der Wortlaut des Interviews wurde von Radio Vatikan vollständig veröffentlicht:

http://www.oecumene.radiovaticana.org/TED/Articolo.asp?c=91050

Harald Lamprecht

Artikel-URL: https://www.confessio.de/index.php/artikel/82

Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 4/2006 ab Seite 16