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Papst als Häretiker?

Konservative Kritiker publizieren „Zurechtweisung“ als Reaktion auf Amoris laetitia

Konservative Kräfte innerhalb der römisch-katholischen Kirche betonen gern die hierarchische Verfasstheit der Kirche mit dem Papst als absoluter Leitungsinstanz an ihrer Spitze, dem unbedingter Gehorsam zu leisten sei. Höhepunkt dieses Kirchenbildes war das 1. Vatikanische Konzil (1869/70), in dessen Verlauf die Unfehlbarkeit des Papstes bei sogenannten Ex-cathedra-Entscheidungen verkündet wurde.

Die Praxis zeigt nun aber, dass auch den größten Freunden des Papstamtes der Gehorsam gegenüber dem Papst nur solange wichtig erscheint, wie er das verkündet, was sie selbst für gut und richtig halten. Anderenfalls sind sie ganz schnell dabei, dem Papst den Gehorsam aufzukündigen. So geschah es nach dem 2. Vatikanischen Konzil (1962-65) mit der Abspaltung der Priesterbruderschaft St. Pius X. In die gleiche Richtung geht ein aktueller Vorgang, der zwar noch nicht zur offenen Abspaltung, aber doch zur öffentlichen Rebellion aufruft und dem Papst die Verbreitung von Irrlehren vorwirft.

„Kindliche Zurechtweisung“

Unter dem Titel „Correctio filialis de haeresibus propagatis“ - Kindliche Zurechtweisung wegen der Verbreitung von Irrlehren - wurde ein Schreiben publiziert, das von 62 konservativen Kritikern des Papstes unterzeichnet wurde. Begleitend wird auf mehreren Webseiten für Unterschriften geworben.1 Der Text reagiert auf das päpstliche Schreiben „Amoris laetitia“ von 2016. Darin hatte der Papst u.a. das Verbot der Zulassung von wiederverheirateten Geschiedenen zur Kommunion etwas gelockert und Ausnahmen in die Entscheidungsgewalt der Bischöfe gestellt. Die Form des Schreibens folgt einem Muster, das im Jahr 1333 zuletzt zur Anwendung kam, als Theologieprofessoren Papst Johannes XXII in einer Frage zur Lehre der Heiligen widersprachen.

Das 40-seitige Schreiben besteht aus vier Teilen: 1. Einer Anrede an den Heiligen Vater mit Zitation der strittigen Aussagen in „Amoris Laetitia“ und darüber hinaus, 2. die eigentliche „Correctio“ mit 7 Thesen in lateinischer Sprache, 3. die Liste der Unterzeichner - Theologen und Philosophen aus verschiedenen Ländern, der einzige Bischof dabei ist der Vorsteher der Piusbruderschaft Bernard Fellay, und 4. eine „Erklärung“ zu den vermuteten Hintergründen der beklagten angeblichen Irrtümer.

Dilemma

Der Vorspruch in Briefform enthält das Dilemma der Kritiker, dass sie einerseits behaupten, sie würden der Lehre von der päpstlichen Unfehlbarkeit „bedingungslos zustimmen“, andererseits meinen, diese gegen den Papst verteidigen zu müssen: „Unsere Zurechtweisung ergibt sich zwingend aus der Treue zu den unfehlbaren päpstlichen Lehren, die mit einigen Aussagen Eurer Heiligkeit unvereinbar sind.“ (S. 5) Aus Sicht der konservativen Kritiker stecken nämlich die Katholiken in einer Zwickmühle: Entweder sie glauben, was der Papst lehrt (was diese für falsch halten), oder sie glauben es nicht und zweifeln dafür am Papstamt. Beides wären „katastrophale Irrtümer“.

Thesen

Herzstück der Erklärung sind sieben lateinisch abgefassten „häretischen Thesen“, deren Verurteilung die Unterzeichner einfordern. Indem auch in den Übersetzungen der sonstigen Teile dieser Abschnitt auf Latein verbleibt, wird ein Verständnis und eine Diskussion außerhalb der Gelehrtenkreise erschwert. Es fällt auf, dass die Zulassung wiederverheirateter Geschiedener lediglich die Spitze des Eisberges darstellt. Das Fundament des konservativen Angriffes liegt hingegen im Widerspruch zu Aussagen in der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre, wenn These 1 darlegt, dass auch von Gott gerechtfertigte Menschen (Homo iustificatus) Sünder bleiben, d. h. nicht in der Lage sind, alle Gebote des göttlichen Gesetzes zu halten. Die weiteren Thesen handeln vom Naturrecht, von Todsünden und Sündhaftigkeit in Dilemma-Situationen und Gewissensentscheidungen.

Modernismus und Luther

In ökumenischer Hinsicht ist neben der eigentlichen Correctio besonders die Erklärung im vierten Teil von Interesse, denn dort werden als „Vehikel der Häresien“ und „Quellen des Irrtums“ zwei Bereiche genannt: 1. der Modernismus und 2. die Lehren Martin Luthers. Unter der Überschrift „Das Problem des Modernismus“ geht es vor allem um das Offenbarungsverständnis. In 16 Thesen wird hier versucht, eine konservative katholische Lehrposition des 19. Jahrhunderts wiederzubeleben, die von einer absoluten Unveränderlichkeit der kirchlichen Lehre ausgeht, weil diese der göttlichen Offenbarung entspräche. Im Blick auf den Einfluss Martin Luthers wird „auf eine beispiellose Sympathie Eurer Heiligkeit für Martin Luther sowie auf eine Ähnlichkeit zwischen den Ideen Luthers über das Gesetz, die Rechtfertigung und die Ehe und jenen, die von Eurer Heiligkeit in Amoris laetitia und anderswo gelehrt und begünstigt werden“ hingewiesen. (S. 33) In diversen päpstlichen Äußerungen - sowohl beim Gottesdienst in Lund am 31. Oktober 2016, als auch in Fatima am 12. Mai 2017 wurde die lutherische Sicht des Glaubens und der Rechtfertigung in päpstlichen Äußerungen entdeckt.

Papst Franziskus hat auf diese Aktivitäten nicht reagiert. Es ist seine Linie, diese Kritik nicht durch Widerspruch zu adeln. Aus evangelischer Sicht ist an dem Vorgang bedeutsam, dass hier anti-ökumenische Kreise indirekt die Frucht von 50 Jahren ökumenischer Arbeit bestätigen, die eben doch zu einer substanziellen Annäherung der Kirchen zueinander geführt hat. Wie sehr die Kritiker gegen ihre Intention selbst evangelische Anliegen transportieren, indem sie mit dieser Aktion das Papstamt und seine Äußerungen dem Urteil der Gläubigen zu unterwerfen versuchen, ist ihnen offenbar nicht bewusst.


1 correctiofilialis.org, katholisch-bleiben.de

Dr. Harald Lamprecht

ist Beauftragter für Weltanschauungs- und Sektenfragen der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens und Geschäftsführer des Evangelischen Bundes Sachsen.

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