Wille zur Einheit zwischen Ost und West

Papst Benedikt XVI. in der Türkei - ein Kommentar von Reinhard Thöle
Mit seinem Besuch in der Türkei hat Papst Benedikt XVI. zwei Akzente gesetzt: Sein ursprüngliches Ziel, zu einem Dialog der Religionen in Respekt, Rationalität und Toleranz aufzurufen, trat wieder in den Vordergrund und erneuerte den Willen zur Einheit für die fast eintausend Jahren getrennten Kirchen der östlichen und westlichen Traditionen. Aber auch Protestanten sollten die Botschaften des Papstbesuches nicht überhören, denn die Kirchen der Reformation saßen unausgesprochen mit am Tisch.

Interreligiöse und politische Signale


Ursprünglich war der Besuch von Papst Benedikt XVI. im Phanar, dem Sitz des Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios I. von Konstantinopel in Istanbul, als Antrittsbesuch des Papstes in der seit den 1960er Jahren üblichen Reihe gegenseitiger Pastoralbesuche zu den Apostelfesten des Hl. Andreas und der Hll. Petrus und Paulus vorgesehen gewesen. Er wurde aber darüber hinaus zu einem politischen Ereignis, bei dem es dem Papst auf der Ebene eines Staatsbesuches der Türkei gelungen ist, die Wogen zu glätten, die seine Regensburger Rede seit September hatte hoch schlagen lassen. Durch politische Zeichen und Begegnungen, durch seinen Besuch beim Leiter der Religionsbehörde und durch das ehrfürchtige Betreten bedeutender islamischer Gotteshäuser konnte er auch in der islamischen Bevölkerung einen Stimmungsumschwung erreichen.

Bei seinem Treffen mit dem Armenischen Patriarchen von Istanbul und der Türkei sprach Benedikt XVI. die heikle Frage des Genozids an den Armeniern an. Bei einer ursprünglich nicht vorgesehenen Begegnung mit dem syrisch-orthodoxen Metropoliten wies er auf den mangelnden Rechtstatus dieser nicht unter den Schutz des Lausanner Vertrages von 1923 stehenden Kirche.

Patriarch und Papst als Amtsbrüder


Der vom Ökumenischen Patriarchen und dem Papst gemeinsam gespendete Segen von einem Balkon des Phanars machte deutlich, dass das Oberhaupt der katholischen Kirche und das Ehrenoberhaupt der orthodoxen Kirchengemeinschaft ein besonderes Zeichen setzen wollten. In einer gemeinsamen Erklärung bekunden sie den Willen zur Einheit für die nun an die tausend Jahre getrennten Kirchenzweige. Dass die "Kircheneinheit zwischen Ost und West theologisch grundsätzlich möglich sei, aber spirituell noch nicht genügend vorbereitet und daher praktisch noch nicht reif" sei, urteilte vor kurzer Zeit der katholische Frankfurter Ostkirchenexperte Archimandrit Michael Schneider. Der jetzt bekundete Wille beider Kirchenleiter, könnte ein Anstoß sein, den Reifungsprozess des Dialoges zu beschleunigen. Jedenfalls ist der gemeinsame Wille Ausdruck eines langjährigen vertrauensvollen Verhältnisses zwischen Rom und Konstantinopel, das auch in den Jahren der Krise nach der politischen Wende in Osteuropa Bestand hatte. Ob die anderen Leiter der selbständigen orthodoxen Kirchen diesen Willen ihres Ehrenoberhauptes teilen, wird die Zukunft zeigen. Die Bearbeitung der theologischen Probleme wurde an die panorthodox-katholische Gemeinsame Kommission verwiesen, die nach einer etwa zehnjährigen Unterbrechung in diesem Jahr erstmals wieder in Belgrad zusammenkam. Hier sind die eigentlichen theologischen Unterschiede zu bearbeiten, die die Kirchentrennung zwischen Ost und West verursachten und vertieften.

Protestanten sitzen unausgesprochen mit am Tisch


Für die reformatorischen Kirchen ist der Fortgang des Dialoges zwischen Katholizismus und Orthodoxie äußerst interessant und wichtig, da auf ihm wesentliche Punkte verhandelt werden, die auch im katholisch- reformatorischen Dialog noch nicht gelöst sind. Dazu gehören das Selbstverständnis des Papst- und Bischofsamtes, die Bedeutung der katholischen Definitionen zur Mariologie, aber auch das Verhältnis von Glaube und säkularisierter Welt. Die Evangelischen sitzen sozusagen unausgesprochen mit am Tisch der katholisch-orthodoxen Verhandlungen. Evangelische Kirchen müssten ihrerseits alles tun, das Gespräch zwischen ihnen und der Orthodoxie nicht zu vernachlässigen, obwohl es auf den ersten Blick schwieriger zu sein scheint als der katholisch-orthodoxe Dialog, da die theologischen Grundanliegen der Reformation primär gegenüber dem Katholizismus definiert wurden. Es darf dabei aber nicht vergessen werden, dass die Reformation des 16. Jahrhunderts ja für sich die orthodoxe Kirche gewissermaßen als die ältere Schwesterkirche entdeckte und sich zur damaligen Zeit wie auch in der Gegenwart um einen Dialog mit der Orthodoxie bemühte. Evangelische und orthodoxe Kirchen haben nicht nur im Zuge des zusammenwachsenden Europas sondern aus in der Reformation angelegten Gründen zu klären, ob eine Einheit zwischen ihnen theologisch und spirituell möglich, aber auch kirchenpolitisch erwünscht ist.


Professor Dr. Reinhard Thöle ist Wissenschaftlicher Referent für Ostkirchenkunde am Konfessionskundlichen Institut Bensheim.

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Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 6/2006 ab Seite 19