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Demokratische Freikirche auf Facebook

Impfgegnerkirchen

Vom Missbrauch der Religionsfreiheit

Die Religionsfreiheit hat im Grundgesetz einen sehr hohen Stellenwert. Darum gibt es einige Situationen, in denen auf Religion besondere Rücksicht genommen wird. Das motiviert manche Gruppen zu dem Versuch, die Privilegien der Religionsfreiheit für andere Zwecke zu missbrauchen: 

  • Bekanntestes Beispiel ist die Scientology-Organisation, die ihren Psychokurs bewusst äußerlich als „Kirche“ stilisiert hat, um in den Genuss von Steuererleichterungen und reduzierter staatlicher Kontrolle zu kommen.
  • Einige Fans von Filesharing gründeten 2011 in Schweden die „Missionary Church of Kopimism“ in der irrigen Hoffnung, mit der Stilisierung des Filesharing zur Religion den Urheberrechtsverfolgungen entgehen zu können (www.confessio.de/news/654).
  • Es gibt weitere Kuriositäten: Pastafari ist eine Religionspersiflage, die Religionsfreiheit in Anspruch nehmen will, um sie abzuschaffen, weil sie Religion grundsätzlich für absurd hält. (www.confessio.de/artikel/337)

 

Infektionsschutzvermeidungsabsicht

Die Corona-Pandemie hat verschiedene weitere Bemühungen hervorgebracht, die Freiheit zur Religionsausübung zu missbrauchen, um damit staatliche Auflagen zum Infektionsschutz unterlaufen zu können. Während in der 3. Welle zeitweise politische Versammlungen und Kundgebungen untersagt waren, gab es im Umfeld von „Querdenken“ mehrfach Versuche, solch illegale Versammlungen kurzerhand zu „Gottesdiensten“ umzulabeln, um damit der polizeilichen Auflösung zu entgehen. Teilweise waren diese Versuche anfänglich sogar erfolgreich. Dann hatte aber die Polizei dazugelernt. Mehrere teils neu gegründete Religionsgemeinschaften sind nun dadurch auffällig geworden, dass sie sich gezielt an Menschen richten, die die Covid19-Schutzimpfungen ablehnen.

 

Keltisch-druidische Glaubensgemeinschaft

Die keltisch-druidische Glaubensgemeinschaft ist ihrem Wesen nach eine Impfgegner-Religion im Umfeld von Esoterik, Verschwörungsideologien und Reichsbürgern. Sie besteht schon deutlich länger als die Corona-Pandemie: Gegründet wurde sie 2012 von dem Bayreuther Edelmetallhändler Benjamin Ernst. Unverblümt wird auf der Webseite der Zweck der Gründung erklärt: „Die Keltisch-Druidische Glaubensgemeinschaft wurde ins Leben gerufen, um uns vor einigen staatlichen Verpflichtungen zu schützen …“ (https://keltisch-druidisch.de/keltisch-druidisch/grundsaetze/uber-uns)

„Wir sehen durch diese Glaubensgemeinschaft mehrere Möglichkeiten, uns vor äußeren Einflüssen zu schützen, weil eine Religion im Gesetz einige Freiheiten genießt. Unsere Religion schützt uns beispielsweise vor einer gesetzlichen Impfpflicht, die einen massiven Eingriff in die körperliche Unversehrtheit und das Selbstbestimmungsrecht des Menschen darstellt.“ (keltisch-druidisch.de/)

Zum Zeitpunkt der Gründung gab es keine Impfpflicht in Deutschland. Eine mögliche Masern-Impfpflicht für den Besuch von Kindertagesstätten und Schulen begann sich abzuzeichnen. Die Gründung der keltisch-druidischen Religionsgemeinschaft ist eindeutig mit diesem Anliegen verbunden, die Religionsfreiheit als Abwehrrecht umzufunktionieren. Dass man selbst eigentlich gar keine Religion sein will, wird ebenso freimütig bekannt. „Unsere Gemeinschaft ist keine Kirche. Es gibt in der KDG keine Rituale, Priester oder an Hierarchien gebundene Verpflichtungen, Gebete, Verbote usw.“ (https://keltisch-druidisch.de/keltisch-druidisch/grundsaetze/uber-uns)

Praktisches Gemeindeleben ist keins erkennbar. Hauptinhalt scheint der Verkauf eines Mitgliedsausweises zu sein. Dieser ist bewusst als „Lichtbildausweis“ ähnlich einem Personalausweis gestaltet, damit er diesen in bestimmten Kontexten ersetzen könne. Diese Absicht hängt mit der Verwurzelung der Gemeinschaft im Reichsbürgermilieu zusammen. So wurde der Verein nach seiner Gründung nicht im Vereinsregister, sondern zunächst nur bei der „Kommissarischen Reichsregierung“ in deren Pseudo-Vereinsregister angemeldet. (www.belltower.news/keltisch-druidische-glaubensgemeinschaft-kelten-impfen-nicht-123915/)

 

Die Reisenden

Die „Glaubensgemeinschaft der Reisenden“ behauptet eine Gründung bereits im April 2014, tritt allerdings erst ab August 2021 sichtbar in Erscheinung. Sie ist inzwischen zu einer Anlaufstelle für Impfgegner geworden, trägt aber einen anderen Charakter als die keltisch-druidische Religionsgemeinschaft. Sie scheint keine reine Fassadenorganisation zur gezielten Ausnutzung von Religionsprivilegien zu sein, sondern entstammt dem persönlichen Gefühlsleben des Gründers Johannes Gerhardt aus Radebeul bei Dresden. Ein Porträt der Sächsischen Zeitung von 2015 zeichnet von ihm ein Bild als glückloser Unternehmer, der sich als Kinobetreiber und Spirituosenhändler versucht hatte. Es gab Schulden in fünfstelliger Höhe, Privatinsolvenz und Gerichtsurteile wegen Bedrohung und Betruges. Er war in der Reichsbürgerszene aktiv und stand als militanter Tierschützer vor Gericht, wurde erneut wegen Verleumdung, versuchter Nötigung und Kennzeichenmissbrauch verurteilt. (www.saechsische.de/der-selbsternannte-tierschutz-guru-3253045.html)

Er selbst schildert auf der Webseite der Reisenden seine Entwicklung als inneren Vorgang, ohne diese äußeren Lebensumstände zu erwähnen. So habe er seit dem Jahr 2000 plötzlich „Visionen, komische Gedankengänge und eine veränderte Wahrnehmung“ sowie „luzide Träume und viele Déjà-vus“ erfahren. Er berichtet von Depressionen und einem Ärztemarathon über 13 Jahre. Schließlich habe ein Brief eines berühmten Astrophysikers ihm zu folgender Deutung seines Schicksals verholfen:

„ICH BIN EIN REISENDER. Meine veränderte Wahrnehmung, meine Visionen und meine Träume sind real und nicht eingebildet, es ist keine psychische Erkrankung. Ich gehöre zu denen, welche nach dem Tod in einem anderen Universum wiedergeboren werden. Die Multiversumstheorie in Reinform, ungeschönt und wahrhaftig. Bei jeder Reise - und ich kann nicht beantworten, wie oft ich bereits gestorben bin - bleibt ein kleiner Rest des Vorlebens in meinen Erinnerungen erhalten, tief verborgen im Unterbewusstsein.“ (www.die-reisenden.com/geschichte)

Verschiedene Meditationen und Gespräche mit Buddhisten und „hochrangigen Geistlichen“ hätten ihm ermöglicht „Fiktion (Gott) und Realität“ zu trennen. Seitdem sieht er es als seine Aufgabe an, den Menschen aufzuzeigen, was sie nach dem Tod erwarten kann. Eine Religion wollen die Reisenden nicht sein. Die grundlegende Religionskritik erinnert etwas an alte DDR-Propaganda. Entsprechend sei es ein „Glaubensbekenntnis, welches auf physikalischen und wissenschaftlichen Grundlagen beruht.“ Das Glaubensbekenntnis beinhaltet u.a. den Glauben „an die Unsterblichkeit der Seele im immer wiederkehrenden Kreislauf der Reinkarnation“ und „die spirituelle Weiterentwicklung der Seele im Laufe einer jeden Inkarnation“ sowie „das Prinzip des daraus resultierenden Karmas“. Ganz so eng wird es mit den „physikalischen und wissenschaftlichen Grundlagen“ also doch nicht gesehen. Die Gemeinschaft ist offen für alle, die bereits einen festen Glauben haben oder einer Religion angehören. Doppelmitgliedschaft ist kein Problem.

Auf der Internetseite der Gemeinschaft sind 22 „Gebote“ aufgeführt, die wenig stringent formuliert sind und vor allem ethische Lebensratschläge enthalten. Die Befreiung von Giften wird mehrfach genannt. Der Glaube wird als Schicksal gesehen, zu dem man sich folglich bekennen müsse. Gebot Nr. 20 erklärt: „Naturheilkunde steht immer über der schulmedizinischen Methodik“. Impfungen seien „sehr kritisch zu betrachten, da diese die Unversehrtheit des Körpers beeinträchtigen. Diese sind in unserem Glauben nicht zulässig“ (17. Gebot).

Der Beitritt zu den Reisenden kann über ein Formular auf der Webseite geschehen, auf der Name, Adresse, Telefon und eMail abgefragt werden – schon ist man „als vollwertiges Mitglied“ in die Glaubensgemeinschaft aufgenommen. Damit seien weder Kosten noch sonstige Verpflichtungen verbunden. Neben dieser Anmeldung wird eine V.I.P.-Chipkarte für 50€ p.P. verkauft, die als Identifikationskarte gilt und Nachlässe in befreundeten Unternehmungen anderer Reisender verschaffen soll. Genannt werden Tattoostudio, Nageldesign, Heilmittel, Ernährungscoaching, Polsterreinigung, Massagen u.a.m.

In der Corona-Pandemie führte die alternativmedizinische Grundhaltung der „Reisenden“ diese auch in eine ablehnende Haltung zu wesentlichen Schutzmaßnahmen: Mund-Nasen-Schutz, Testung mit Nasenabstrich und Covid-19-Schutzimpfungen. Die Begründung ist eine eigentümliche Mischung aus (teilweise falschen) medizinischen Aussagen und religiösen Ansichten. Auffällig ist aber eine offensichtlich kompromissfähige Grundhaltung und das Fehlen einer verschwörungsideologischen Argumentation. Die impfkritische Position, die eigentlich nur ein Aspekt unter anderen war, hat der Gemeinschaft in der Corona-Pandemie offenbar erheblichen Zulauf beschert. Am 09.12.2021 wurde gemeldet, dass „die Grenze von 250.000 angemeldeten Reisenden durchbrochen“ sei. Auf der Startseite sieht man sich genötigt zu erklären:

„Wir sind und bleiben eine unpolitische, unkomplizierte und freie Glaubensgemeinschaft. Wir sind keine Systemgegner oder irgendwelche Spinner auf der Suche nach Anerkennung oder im Kampf gegen das System. Wir haben unseren Glauben in Wissenschaft und spirituellen Erkenntnissen gefunden, wir haben uns entschieden ohne Angst zu leben, wir haben uns für das Leben entschieden. Nochmals muss ich ausdrücklich wiederholen, dass die wenigsten in unserer Gemeinschaft die klassischen Impfgegner sind. Viele würden sich gern impfen lassen, aber unsere Gebote sprechen dagegen. Natürlich haben wir auch dementsprechend einen Schwund an Gläubigen, welche sich gegen Corona impfen lassen wollen und daraufhin unsere Glaubensgemeinschaft verlassen.“ (www.die-reisenden.com)

 

Demokratische Freikirche

Mit der Gründung am 29.11.2021 ist die „Demokratische Freikirche“ (DFK) der jüngste Neuzugang unter den Impfgegnerkirchen. Tobias Fink, Koch in einem Restaurant in Annweiler am Trifels in der Pfalz, hat sie gegründet, weil aus seiner Sicht alle bestehenden Glaubensgemeinschaften in der Corona-Krise versagt hätten. So erklärt er es in einer Video-Ansprache auf Facebook. Tobias Fink ist schon seit Monaten in der Querdenker-Szene aktiv, u.a. mit dem Telegram-Kanal „Toby informiert“, auf dem er auch krasse Verschwörungserzählungen verbreitete. Sein Restaurant ist inzwischen geschlossen.

In der Pressemitteilung von der Gründung heißt es, die Symbole der DFK seien „das Kreuz Jesus Christus und das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland.“ Zweck sei – neben der Verbreitung des Wortes Christi und der Demokratisierung – die Unterstützung von Opfern von Verfolgung, wobei ausdrücklich die „medizinische Vita“ mit als Verfolgungsgrund genannt wird. Den Mitgliedern sei es „nicht erlaubt ihr Gesicht oder ihr Antlitz zu verhüllen, um keine Hürden zwischen ihnen und Gott aufzubauen, sofern es die Witterungsverhältnisse zulassen“. In einer früheren Fassung der Satzung wurde die direkte Unterstützung der Partei „Die Basis“ im Vereinszweck mit genannt.

In weiteren Pressemitteilungen, die im eigenen Telegram-Kanal verbreitet wurden, kritisierte Tobias Fink die vom Bundestag beschlossene Impfpflicht „aufs aller Schärfste“ als „Ausgrenzung und Benachrichtigung [sic] von Ungeimpften“ und „bewusste Spaltung der Gesellschaft“. Demgegenüber stehe die demokratische Freikirche „für die unheilbare, bedingungslose Liebe Gottes und gegen die Ausgrenzung von Menschen, egal aus welchem Grund“ (PM Nr. 3 vom 10.12.2021). Zentrales Anliegen dieser Neugründung – das wird aus dem Kontext und den Äußerungen der Beteiligten offensichtlich – ist es, diverse Coronaschutzmaßnahmen wie Maskenpflicht und Kontaktbeschränkungen mit Verweis auf ihre Religionsfreiheit zu unterlaufen. Dr. Daniel Langhans, Kommunikationstrainer aus Ulm erklärt die Gründe für seinen Beitritt in einem Videobeitrag und stellt heraus: „Das Allerwichtigste, das sehe ich darin, dass es möglich ist in der Demokratischen Freikirche sich zu treffen. Das heißt auch analoge Treffen abzuhalten…“. Zugleich artikuliert er diffus seine Ablehnung der gegenwärtigen Demokratie. Wenn er als Ziel benennt „dass wir wieder demokratische Verhältnisse bekommen in unserem Land“ unterstellt er, dass solche nicht mehr existieren würden.

 

Tragik

Es ist leicht, sich über das dürftige intellektuelle Niveau und die vielen Fehler in Orthografie und Wortwahl und mangelndes theologisches Grundverständnis bei der „Demokratischen Freikirche“ lustig zu machen. Das führt aber nicht weiter. Wichtiger wäre es, die Tragik zu sehen, dass sich hier Menschen faktisch zu Gegnern von Demokratie und Menschenrechten radikalisieren, die eigentlich genau diese Werte verteidigen möchten. Das Ganze ist in höchstem Maß selbstwidersprüchlich. Tobias Fink beruft sich auf das Grundgesetz und sucht zugleich Kontakt zu den Rechtsextremisten bei den „Freien Sachsen“. Seine emotionale Schutzreaktion ist die konsequente Ignoranz des Virus und seiner Gefahren. Getrieben von Wunschdenken und Beraten von Quatschjuristen flüchten er und seine Freunde in ein Konstrukt und meinen, sich damit ihren eigenen Rechtsrahmen frei erfinden zu können. Das ist Unsinn.

 

Grenze an anderen Grundrechten

Weil die Religionsfreiheit keinem Gesetzesvorbehalt unterliegt, kann sie nicht einfach durch Gesetze eingeschränkt werden. Dennoch gilt sie nicht grenzenlos. Sie findet – wie alle Grundrechte – ihre Beschränkungen in den Grundrechten anderer. Dazu gibt es inzwischen eine umfangreiche Rechtssprechung. Im Übrigen gelten die normalen Gesetze natürlich auch für Menschen in Religionsgemeinschaften. Ein Nudist könnte vielleicht seine Nacktheit zur Religion erklären und als Glaubensgebot empfinden. Trotzdem müsste er sich in der Öffentlichkeit bekleiden. Kein Klischee-Satanist  könnte der Strafverfolgung entgehen, indem er Menschenopfer als Religionsausübung deklarierte. Auch Priester müssen an roten Ampeln halten usw. Der Versuch, mit einer erfundenen Religionsdeklaration jegliche unliebsame Maßnahmen abzuwehren, ist daher in der Regel wenig erfolgreich. Selbst wenn sie kurzfristig mitunter Verwirrung stiften konnten, erschaffen solche Konstruktionen keinen Freiraum für phantasievolle Eigengesetzlichkeit nach Lust und Laune.

 

Religionsrecht in Deutschland

Die Religionsfreiheit des Grundgesetzes ist ein individuelles Grundrecht. Sie gilt für jeden einzelnen Menschen, nicht für eine Religionsgemeinschaft, denn sie schützt u.a. auch das Recht, eine Religionsgemeinschaft zu kritisieren oder zu verlassen. Es gibt in Deutschland (anders als in Österreich) kein reguläres Verfahren für eine staatliche Anerkennung von Religionsgemeinschaften, denn für den Genuss der Religionsfreiheit braucht es keine staatliche Anerkennung. Sie gilt sofort und individuell, hebt aber nicht die Rechtsordnung auf.

Zwei Rechtsformen sind für Religionsgemeinschaften üblich:

  1. Als eingetragener Verein (e.V.) unterscheiden sich Religionsgemeinschaften strukturell nicht von Kegel- oder Heimatvereinen: Sie brauchen mind. 7 Mitglieder. Wenn sie in ihrer Satzung die Kriterien erfüllen, können sie (müssen aber nicht) die Gemeinnützigkeit beantragen und dann Steuererleichterungen bekommen und Spendenbescheinigungen ausstellen.
     
  2. Sofern die Größe und Bedeutung das ermöglichen (üblicherweise: 10 Jahre Bestand, mehr als ein Promille der Bevölkerung des Bundeslandes an Mitgliedern) kann der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts beantragt werden. Mit dem Körperschaftsstatus sind weitergehende Privilegien verbunden, u.a. können ein beamtenähnlicher Status für bestimmte Mitglieder und (innerhalb der Grenzen des bestehenden Rechtes) eigene Gesetze erlassen und Steuern für Mitglieder erhoben werden. Neben evangelischer und katholischer Kirche haben z.B. auch die Neuapostolische Kirche, der Bund freikirchlicher Pfingstgemeinden, Jehovas Zeugen, jüdische Gemeinden, die Bahai oder auch der Humanistische Verband Berlin solche Körperschaftsrechte.

 

Trennung von Staat und Religion

Wegen der in Deutschland bestehenden Trennung von Staat und Religion mischt sich der Staat nicht in die inneren Belange der Religionsgemeinschaften ein. In Sachsen hat der Freistaat bisher auch in seinen Corona-Schutzverordnungen meistens darauf verzichtet, den Bereich der Religionsausübung so kleinteilig zu regeln, wie andere Bereiche des öffentlichen Lebens. Das ging, weil die Kirchen und Freikirchen selbst meistenteils mit großer Verantwortung in der Pandemie agiert haben. Das betrifft durchaus auch kleinere Gemeinschaften. So hatte z.B. die Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten schon vor der 3. Welle ein eigenes Ampelsystem mit Regeln für Kontaktbeschränkungen entworfen, die an die jeweiligen Inzidenzen gekoppelt waren. Juristisch ist es weitgehend unstrittig, dass der Schutz von Leib und Leben als in der Menschenwürde begründetes höchstwertiges Grundrecht auch eine Einschränkung der Religionsausübung rechtfertigt. Solange die Religionsgemeinschaften allerdings in eigener Verantwortung dem Genüge leisten, muss der Staat nicht eingreifen.

 

Religionsmissbrauch

Dieser Freiraum und insbesondere die Möglichkeit zu legalen Zusammenkünften trotz Lockdown für Ungeimpfte, sofern sie als „Gottesdienst“ deklariert werden, sind erklärtermaßen das zentrale Motiv für die Gründung der „Demokratischen Freikirche“. Damit handelt es sich um klassischen Missbrauch. Es ist ein Wolf im Schafspelz. Analog wie bei der Keltisch-Druidischen Religionsgemeinschaft wird ein Religionsmäntelchen um Bestrebungen gehängt, die im Kern eben nicht religiös sind. Der Wirt möchte seine Gaststätte offen halten und Gäste bewirten – ein verständlicher Wunsch, aber kein religiöses Anliegen. Immerhin könnten ja all diese Menschen in den bestehenden Religionsgemeinschaften nach bisheriger Rechtslage durchaus die Gottesdienste besuchen, sofern sie sich an die dort geltenden Regeln (Test + Maske) halten. Es gibt auch neuheidnische Gemeinschaften, die ihre Rituale sehr verantwortlich auf die Pandemiebedingungen umgestellt haben. Außerdem gelten die bisher gewährten Freiräume nur für den eigentlichen Bereich der Religionsausübung (d.h. Gottesdienste). Gruppen, Kreise und Gremien unterliegen denselben Bedingungen wie alle anderen Zusammenkünfte. Das wird auch gern von denen übersehen, die Religionsfreiheit als Wunschfabrik missverstehen.

 

Medizin und Religion

Ob eine bestimmte Impfung nützlich ist oder nicht, ist keine religiöse Frage, sondern eine wissenschaftliche. Natürlich ist es erlaubt, subjektiv bestimmte irrige Meinungen zu pflegen, die auch im Widerspruch zum wissenschaftlichen Konsens sein können. Daraus leitet sich aber kein Recht ab, das Leben anderer zu gefährden. Genau das geschieht aber wesenhaft bei Widerstand gegen begründete Infektionsschutzmaßnahmen in einer Pandemie.

Bei den Zeugen Jehovas wurde auch eine medizinische Frage zur Glaubensfrage hochstilisiert. Die Gemeinschaft lehnt Bluttransfusionen unter Verweis auf eine Bibelstelle ab. Die Rechtssprechung dazu ist in Deutschland gefestigt: Als individuelle Entscheidung ist dies zu respektieren. Sobald aber das Leben anderer tangiert wird, wiegt das Lebensrecht schwerer als religiöse Überzeugungen. Eltern, die ihren Kindern eine ggf. lebensrettende Bluttransfusion verweigerten, haben das Sorgerecht im Blick auf diese Entscheidung entzogen bekommen.

 

Religionsfreiheit: ja, Rechtsfreiheit: nein.

Was folgt daraus für die konkreten Fälle von „Demokratischer Freikirche“, „Reisenden“ und „Keltisch-Druidische Gemeinschaft“? Selbstverständlich können alle diese in Deutschland ihren individuellen Glaubensüberzeugungen folgen – im Rahmen der für alle geltenden Gesetze. Wenn Tobias Fink statt zu kochen lieber Gottesdienste feiern möchte, verbietet ihm das kein Gesetz, sofern seine Gottesdienstbesucher sich an die derzeit geltenden Bestimmungen halten: 3G-Nachweise vorlegen und ordentlich mit FFP2-Maske und 1,5m Abstand voneinander Platz nehmen. Auf das Christentum sollte er sich bei einer solchen Kirchenspaltung aber besser nicht berufen. Mit der Botschaft von Jesus, der Nächstenliebe und Rücksichtnahme haben seine Aktivitäten kaum etwas zu tun.

 


Hinweis:

In der Folge „Was sonst noch war“ #20 hat sich der (hörenswerte!) Podcast „Secta.fm“ parallel zu und unabhängig von diesem Artikel ebenfalls mit der Demokratischen Freikirche und der Keltisch-Druidischen Glaubensgemeinschaft befasst.

*Die Aussagen zum Gründungsdatum der „Reisenden“ wurden nachträglich präzisiert (19.04.2022).

Dr. Harald Lamprecht

ist Beauftragter für Weltanschauungs- und Sektenfragen der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens und Geschäftsführer des Evangelischen Bundes Sachsen.

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