Heilige Knochen

Abschluss des Paulusjahres der röm.-kath. Kirche mit Reliquienkult

Papst Benedikt XVI. rief am 28. 6. 2008 das Paulusjahr aus und eröffnete damit die in der röm.-kath. Kirche vergleichsweise seltene Besinnung auf den Apostel der Völker.

Petrus und Paulus

Traditionell steht auf römischer Seite eher Petrus im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, gilt er doch als Gründungsfels der Kirche und Bewahrer der Schlüssel (vgl. Matthäus 16,18) und die Tradition sieht ihn als ersten Bischof von Rom. Demgegenüber ist Paulus üblicherweise mehr der Apostel der Protestanten. Luther hatte seine „reformatorische Entdeckung“ bei der Lektüre des Römerbriefes von Paulus bekommen und die Botschaft von der Rechtfertigung, von der Annahme durch Gott allein aus Glauben und ohne menschliche Vorleistungen zieht sich wie ein roter Faden durch die Schriften dieses Apostels.

Natürlich gibt es da keine harte Trennung, auch Protestanten achten Petrus und auch Katholiken respektieren Paulus. In der Wertschätzung konnte man jedoch durchaus deutliche Schwerpunktbildungen feststellen. Von daher hat allein die Tatsache, dass der Papst ein Paulusjahr ausruft, in dem in der ganzen röm.-kath. Weltkirche Verantstaltungen und Ansprachen nun den Apostel Paulus und damit auch seine Theologie bedenken, eine ökumenische Bedeutung.

Heiligenkult

Dieses Paulusjahr hätte ein weiterer Schritt bei der Annäherung der Konfessionen werden können. Aber viele der Chancen wurden vertan. Die Theologie des Paulus stand weit weniger im Mittelpunkt, als man hatte hoffen können. Statt dessen wurde er als Person in traditionell katholischer Weise als Heiliger instrumentalisiert. Die Ansetzung und Ausgestaltung des Festjahres war auch nicht mit anderen Kirchen, etwa mit dem Ökumenischen Rat der Kirchen oder den konfessionellen Weltbünden abgesprochen. Das Paulusjahr ist ein römischer Alleingang – und sollte es wohl auch sein, wenn man die inhaltlichen Akzentsetzungen betrachtet.

Neuer Ablass

Die für das Ablasswesen zuständige Apostolische Pönitentiarie erließ bereits im Mai 2008 ein Dekret, welches Wallfahrern in die Päpstliche Basilika von St. Paulus in Rom den vollen Ablass der zeitlichen Strafe für ihre Sünden gewährte. Dieses erneute Verkündigen eines Ablasses wurde von den Medien - auch den kritischen protestantischen - kaum beachtet und zeigt, dass dieses Relikt katholischer Theologie noch nicht überwunden ist.

Sensationeller Fund?

Auf dieser Linie liegt nun auch der Abschluss des Paulusjahres, bei dem mit viel Medienrummel der angebliche Sarkophag des Paulus untersucht und darin tatsächlich alte Knochen gefunden wurden. „Sensationeller Fund in Rom“ titelten (nicht nur) katholische Zeitungen und Papst Benedikt XVI. erklärte feierlich: „Dies scheint die einmütige und unwidersprochene Tradition zu bestätigen, dass es sich um die sterblichen Überreste des Apostels Paulus handelt.“ In Rom erwartet man nun einen stärkeren Zustrom von Pilgern zur Verehrung dieses Heiligen. Die katholische Wochenzeitung „Tag des Herrn“ schreibt dazu: „Wenn Paulus in der katholischen Kirche nun auch wieder verstärkt als Heiliger und Fürsprecher entdeckt und sein Grab zum Pilgerziel von Millionen wird, dann hat Papst Benedikt XVI. daran einen erheblichen Anteil.“ (Nr. 27, 5. Juli 2009, S. 4). Dies ist aber ein Weg, der die Ökumene der Christen nicht fördert, sondern behindert.

Nicht in Paulus‘ Sinn!

Was soll dieser Mummenschanz um alte Knochen, welcher der Glaubwürdigkeit des Christentums in keiner Weise förderlich ist? Es gibt keine wissenschaftlich gesicherten historischen Belege, dass Paulus überhaupt in Rom gestorben ist. Die Apostelgeschichte schweigt darüber, sie endet noch während der Gefangenschaft des Paulus. Der erste Clemensbrief erwähnt lediglich den Tod des Paulus, nachdem er „vor den Führenden Zeugnis abgelegt” hat. Dies kann man auf den römischen Kaiser deuten - zwingend ist dies aber keineswegs. Dass seine Knochen zusammen mit Gold und Purpur in einem Steinsarg in einer römischen Kirche liegen ist zwar nicht absolut unmöglich, aber doch historisch ausgesprochen unwahrscheinlich. Doch selbst wenn es so wäre - was würde es bedeuten? Jedenfalls nicht, dass die räumliche Nähe zu seinen Knochen eine besondere Nähe zu Gott bringen würde. Noch weniger bedeutet es, dass seine Fürsprache als Mittler zwischen den Gläubigen und Christus nötig wäre. Paulus hat dafür gelebt und ist dafür gestorben, dass die Botschaft von der unmittelbaren und bedingungslosen Zuwendung Gottes verbreitet wird – ohne fromme Ablassleistungen und Reliquienkult.

Paulus lesen

Bereits in seinem Ökumenischen Jahresbericht 2008 hatte der Leiter des Konfessionskundlichen Institutes in Bensheim, Dr. Walter Fleischmann-Bisten die Einschätzung abgegeben, dass dieses Jubeljahr der römischen Profilschärfung, aber nicht der Ökumene dient. Leider sollte er damit recht behalten. Als Glück im Unglück bleibt, dass Paulus sich nicht so einfach instrumentalisieren lässt. Denn zum Glück hat er ja Briefe hinterlassen und für viele Katholiken ist das Paulusjahr auch Anlass, diese intensiver zu studieren. Das hilft dann wieder der Ökumene.

 

Dr. Harald Lamprecht

ist Beauftragter für Weltanschauungs- und Sektenfragen der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens und Geschäftsführer des Evangelischen Bundes Sachsen.

Artikel-URL: https://www.confessio.de/artikel/231

Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 4/2009 ab Seite 18