Mormone als Präsident der USA?

Republikanischer Präsidentschaftskandidat gehört zur Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage

Bei den bisherigen Vorwahlen in den USA hat er seinen Anspruch auf die republikanische Präsidentschaftskandidatur gut verteidigen können: Mitt Romney, früherer Gouverneur von Massachusetts, ist aktives Mitglied der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage, bekannt als „Mormonen“. Falls er gewinnt, wäre er der erste mormonische Präsident der USA. Für die Mormonen wäre das ein großer Gewinn an Ansehen und Bekanntheit.

Die einzige wahre Kirche?

In dem offiziellen Namen der „Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage“ ist der Anspruch ausgedrückt, die wahre Kirche Jesu Christi zu repräsentieren. Mormonen nehmen Bezug auf viele Begriffe und Vorstellungen, wie sie auch in der übrigen Christenheit von Bedeutung sind. Aber sie stellen der Bibel neue Offenbarungen zur Seite und interpretieren viele Dinge in grundlegend anderer Weise. Es wird überliefert, dass sich der spätere Kirchengründer Joseph Smith als Jugendlicher mit der Frage quälte, welcher der zahlreichen christlichen Denominationen er sich anschließen solle. Im Gebet sei ihm daraufhin Jesus Christus in einer Vision erschienen und habe ihm erklärt, die bestehenden Kirchen seien alle im Irrtum und er solle erst die wahre Kirche begründen. Später soll ihm der Engel Moroni gezeigt haben, wo goldene Platten mit einer Geheimschrift vergraben sind. Daraus hat Smith in einem visionären Vorgang das Buch Mormon „übersetzt“.

Neue „Offenbarungen“

Das Buch Mormon gilt aus Sicht der Gemeinschaft als der Bibel gleich gestellte Offenbarungsquelle. Hinzu kommen weitere Heilige Schriften wie „Die köstliche Perle“ und „Lehre und Bündnisse“.

Grundsätzlich ist aus der Sicht der Mormonen die göttliche Offenbarung nicht mit der Bibel abgeschlossen, sondern kann ständig weitergehen. Jeder amtierende Präsident der Mormonenkirche hat das Recht, neue Offenbarungen zu empfangen. Darum trägt er den Titel „Prophet“.

Prinzip des Fortschritts

In diesem Umgang mit den Heiligen Schriften zeigt sich ein Grundprinzip mormonischer Heilslehre: die Vorstellung einer ständigen Entwicklung. Dies betrifft sogar Gott, der seinem Wesen nach lediglich ein erhöhter Mensch sei, der sich erst zu Gott entwickelt habe. Gott gilt auch nicht als der Schöpfer der Materie, sondern er habe sie lediglich geordnet. Der Weg zum Heil führt nicht über die Rechtfertigung durch den Glauben, sondern nur wer die göttlichen „Gesetze und Verordnungen“ erfüllt, kann selig werden, heißt es in den „Glaubensartikeln“. Geht es in der Verkündigung der anderen christlichen Kirchen im Kern um die gute Botschaft, dass Gott (in Jesus) Mensch wurde, so scheint bei den Mormonen die gegenteilige Denkrichtung im Zentrum zu stehen: Wie kann der Mensch zu Gott werden?

Tempelrituale

Ein Teil dieser Verordnungen wird in den mormonischen Tempeln nach geheim gehaltenen Ritualen durchgeführt. Dazu gehört u.a. die Versiegelung der Ehe, damit sie auch nach dem Tod in der himmlischen Welt gültig bleibt. Bekannter ist die Praxis der stellvertretenden Taufe für verstorbene nichtmormonische Familienangehörige. Zu diesem Zweck wird von Mormonen umfangreiche Ahnenforschung betrieben.

Mormonen in Sachsen

In Freiberg in Sachsen steht bereits seit 1985 ein Mormonentempel – seinerzeit der erste im Ostblock. Mit der Erlaubnis zu dessen Bau wollte DDR-Führung demonstrieren, dass religiöse Minderheiten nicht völlig unterdrückt werden. 2002 wurde er noch einmal erweitert und vergrößert. In Deutschland gibt es etwa 36 000 Mormonen. In den Bundesländern Hessen und Berlin haben sie den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts.

Zu anderen Kirchen gibt es keine ökumenischen Kontakte – sind die Mormonen doch der Meinung, dass die Urkirche nach dem Tod der Apostel untergegangen ist und erst 1830 mit ihrer eigenen Organisation wieder neu begründet wurde.

Sind Mormonen Christen?

Mormonen selbst empfinden sich als Christen – schließlich sind sie aus dem protestantisch geprägten Christentum hervorgegangen. Allerdings haben sie sich davon weit weg entwickelt. Die Tempelrituale weisen eine starke Prägung durch freimaurerische Elemente auf. Die mormonische Taufe ist nicht als christliche Taufe anerkannt. Angesichts der großen Unterschiede in grundlegenden Glaubensvorstellungen stellen manche die Frage, ob es sich bei dem Mormonentum nicht vielmehr um eine eigene, nachchristliche Tempelreligion handele. Die Unterschiede sind jedenfalls weitaus größer, als ein flüchtiges Gespräch mit den Missionaren der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage in der Regel deutlich macht.

Harald Lamprecht

 

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Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 1/2012 ab Seite 14