Missbrauchte Engel

Die Konjunktur der Engel in der Esoterik

In der Advents- und Weihnachtszeit werden sie wieder hervorgeholt und aufgestellt: die Engel. Den Rest des Jahres bleiben sie auf dem Dachboden oder dürfen noch ein paar Barockaltäre schmücken. Engel fristen in der Kirche ein Dasein am Rand. Sie waren schon immer in der Volksfrömmigkeit wichtiger als in der Theologie. Allerdings vollzieht sich in der Gegenwart ein erstaunlicher Wandel. Die Volksreligiosität ist immer weniger christlich geprägt. Aber auch wo das Christentum fast völlig vergessen ist: die Engel bleiben - oder kommen zurück.

Verschwommenes Gottesbild

Sie füllen den oft als zu groß empfundenen Abstand zu Gott. Engel werden wichtig, wenn Gott fern ist und Christus als Mittler zwischen Gott und Menschen nicht im Bewusstsein präsent ist. Gott steht zwar manchmal irgendwie noch im Hintergrund, wenn von Engeln die Rede ist. Aber er ist so fern, so allgemein und konturlos, dass er eher ein letztes Urprinzip repräsentiert, welches jeder mit seinen Vorstellungen anfüllt. Zu einem Prinzip kann man aber nicht beten und von ihm keine konkrete Hilfe erwarten. Darum ersetzt die Engelbeziehung die Gottesbeziehung.

Jesus statt Engel

Es gibt christliche Gruppen, die eine intensive Jesus-Frömmigkeit pflegen. Sie leben mit der Zusage: „Ich bin bei euch, alle Tage, bis an der Welt Ende.“ (Mt. 28,20 ) Sie beten zu Jesus, sie rufen ihn an in der Not, sie empfinden eine vertraute Nähe, weil Jesus als Mensch die Not des Menschseins erlebt und erlitten hat. Sie vertrauen seiner Hilfe, weil Jesus als wahrer Gott nicht von Gott Vater zu trennen ist. In diesen Gruppen spielen erfahrungsgemäß Engel kaum eine Rolle. Anderenorts werden andere Mittlergestalten wichtig. In der röm.-kath. Kirche haben die Heiligen oft eine solche Mittlerfunktion: sie haben als Mensch gelebt, stehen jetzt aber vor Gott und werden darum um Fürbitte angerufen.

Engel-Magazin

Außerhalb dieser beiden Milieus bleiben nur die Engel. Und diese erfreuen sich wachsender Beliebtheit, vor allem in der Esoterik-Szene. Dort fungieren sie nicht mehr wie in der Bibel beschrieben als Boten Gottes (griech. angellos = der Bote), sondern stehen allgemein als Mittler zu spirituellen Sphären zur Verfügung. Sie werden zur Projektionsfläche einer esoterisch gestimmten Sehnsuchtsreligiosität und verkommen zu unsichtbaren Maskottchen, die für vieles herhalten müssen.[2] Anschauliches Beispiel für diesen Trend ist das neue „ENGELmagazin“ (www.engelmagazin.de). Für 4,30 Euro gibt es über 80 Seiten mit Engelbotschaften und angeblich jenseitigen Lebenstipps mehr oder weniger spiritueller Art. Herausgeber Wulfing von Rohr war Anfang der 1980er Jahre Beauftragter von Sant Thakar Singh für Deutschland und Europa, distanzierte sich jedoch 1984 von der Bewegung und wurde danach im Esoterikbereich aktiv. Das Engelmagazin zeigt die eigentümliche Mischung von christlichen und esoterischen Elementen, die diesen Übergang kennzeichnet.

Engelbotschaften

Einerseits befinden sich darin über 8 Seiten ein Interview und Engel-Meditationen des bekannten Benediktinerpaters Anselm Grün, der es in bewundernswerter Weise versteht, auch in einem esoterisch geprägten Umfeld die christliche Botschaft klar zu verkündigen. Gerahmt sind seine Betrachtungen aber von Ausführungen, die einen anderen Charakter tragen. Jana Haas, die angeblich „seit ihrer Jugend hellsichtig“ sei, übermittelt unter dem Motto „Mehr Licht. Mehr Inspiration. Mehr Lebensfreude“ auf 18 Seiten für jeden Tag im November und Dezember eine „Engelbotschaft“, die ihr angeblich von den „Erzengeln“ durchgegeben wird. Die Inhalte sind eher banale Aussagen im Stil von Zeitungshoroskopen. Beispiel: „Es gäbe viel zu tun. Die Welt ist voller Möglichkeiten. Entscheide dich, was du willst und öffne dich!“ Nun ja, braucht man dafür einen Erzengel? Wulfing von Rohr gibt zu jeder dieser Botschaften einen Kommentar „wie Sie diese Botschaften leben können“, worin sich esoterisches Denken zeigt. Am 1. Advent wird zum Beispiel die Unterscheidung von Schöpfer und Geschöpfen unterschwellig aufgehoben, wenn es heißt, die Kerze am Adventskranz sei „ein Symbol für das göttliche Licht, das sich sowohl in Christus als auch in Ihnen und in uns allen auf der Erde manifestiert.“

Größenwahn und Spiritismus

Deutlicher in diese Richtung geht Mike Dooley, Autor des Buches „Grüße vom Universum“, dessen wichtigste Botschaft auf Seite 10 vorgestellt wird: „Jeder von uns ist ein Teil Gottes. Und jeder von uns besitzt demzufolge auch göttliche Intelligenz und göttliches Bewusstsein. Ein Instrumentarium, mit dem sich jeder seine eigene Realität erschaffen kann.“ So deutlich kann man esoterischen Größenwahn, der – wenn ernst genommen – zwangsläufig in den Realitätsverlust führt, nicht immer ausgesprochen finden. Stärker von hinduistischer Philosophie durchdrungen wirkt der im Engelmagazin beworbene Autor Deepak Chopra, der schreibt „Der menschliche Geist wird herabgewürdigt, wenn wir uns auf die Spanne eines einzigen Lebens begrenzen und uns auf die Einschließung durch einen physischen Körper beschränken. Wir sind zuallererst Geist und Spirit, und das stellt unser Heim jenseits der Sterne.“ (S. 55) Nach ein paar netten Rezepten für Weihnachtsplätzchen folgt ein Interview mit Gordon Smith, der als bekanntestes englisches Medium (The Psychic Barber) vorgestellt wird. Was er von sich gibt, ist schlichter Spiritismus in Reinkultur. Er plaudert darüber, wie er mit den Geistern Verstorbener Kontakt aufnimmt und wie es in den jenseitigen Welten angeblich zugeht. Das kann auch missverständlich und makaber werden: „Wenn Menschen sich zum Beispiel lieben und dann sterben, können sie sich „drüben“ viel besser miteinander verbinden und sogar verschmelzen, als das hier auf der Erdenebene möglich ist.“ Mit Engeln hat das nichts zu tun. Aber es zeigt, wofür die Engel in der Esoterikszene in Anspruch genommen werden.

Kommerzengel

Wie die Engel zur Förderung des finanziellen Umsatzes herhalten müssen, zeigen nicht nur die blumigen Inserate im Engelmagazin. Auch in Dresden benutzt das Innenstadtmarketing ohne Scheu Engel zur Werbung für verkaufsoffene Sonntage in der Adventszeit. Ein größerer Missbrauch ist schwer vorstellbar: Die Boten Gottes sollen für eine Verachtung der Gebote Gottes (speziell: 3. Gebot) werben.

Dr. Harald Lamprecht

ist Beauftragter für Weltanschauungs- und Sektenfragen der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens und Geschäftsführer des Evangelischen Bundes Sachsen.

Artikel-URL: https://www.confessio.de/index.php/artikel/210

Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 6/2008 ab Seite 07