Scientology und der Streit um die Religion

Diskussionsveranstaltung an der TU Dresden

Was ist Religion? Diese scheinbar einfache Frage ist nicht so leicht zu beantworten. Religionswissenschaftler streiten seit Jahrzehnten über die angemessene Definition von Religion und sind von einer Lösung weit entfernt. Scientology bemüht sich hartnäckig darum, aus dieser Situation Gewinn zu schlagen - für das eigene Ansehen und zur Vermeidung von Kritik. Wie das funktioniert, das konnte man zum Beispiel auch am 19. 11. 2009 in Dresden erleben.

Vortragsveranstaltung

Der Verein für studentische Kultur e.V. hatte zu einer Diskussionsveranstaltung über Scientology namhafte Referenten eingeladen. Dafür waren der Bayrische Ministerpräsident a.D. Günter Beckstein, der sich als Politiker intensiv mit Scientology auseinandergesetzt hatte, sowie Ursula Caberta von der Hamburger Senatsstelle nach Dresden gekommen, um über ihre Erfahrungen im Umgang mit Scientology zu berichten. Ebenfalls angereist und im Publikum vertreten war Sabine Weber, Präsidentin der „Scientology Kirche Berlin e.V.“

Macht und Geld statt Religion

Zunächst gab Ministerpräsident a.D. Beckstein eine kurzgefasste Einführung zu der Problematik mit Scientology, wie sie sich gegenüber staatlicher Arbeit, insbesondere aus Sicht eines ehemaligen Innenministers, darstellt. Beckstein fand dabei deutliche Worte. Scientology ist nach seiner Einschätzung „keine Religion, sondern ein Unternehmen, dem es um Geld und Macht geht.“ Deutlich wird dies auch daran, dass L. Ron Hubbard, der Gründer von Scientology, zunächst selbst auch nicht von einer Religion gesprochen hatte, sondern in seinem Buch „Dianetik“ eine Technik zur Persönlichkeitsveränderung dargestellt hatte. Erst später wurde begonnen, Scientology als Religionsgemeinschaft zu stilisieren, weil damit handfeste Vorteile verbunden waren: Steuererleichterungen sowie der Entzug vor staatlicher Kontrolle.

Amerikanische Steuerbehörde belagert

In einem zweiten Teil brachte Frau Caberta ihre Erfahrungen bei der Arbeitsgruppe Scientology der Hamburger Innenbehörde ein. Sie berichtete von den Gründen, die zur Einrichtung dieser Stelle geführt hatten: ein wachsendes Engagement von Scientology im Immobiliensektor, vor allem durch das „World Institut of Scientology Enterprises“ (WISE), sowie geplante Gründungen scientologischer Privatschulen.

Für den Gesprächsgang wichtig wurden ihre Erläuterungen zur Steuerbefreiung von Scientology in den USA. Immer wieder wird von Scientology die angebliche Diskriminierung in Europa angeprangert, während die Gemeinschaft in den USA als Religion anerkannt sei. Dies ist aber so nicht ganz korrekt, denn es handelt sich nicht um eine „Anerkennung“ als „Religion“, sondern um den Akt der Steuerbefreiung. Wie dieser zustande kam, ist allerdings auch höchst beachtenswert. Aktuelle Berichte hochrangiger Aussteiger bestätigen offiziell, was von Scientology lange versucht worden war geheim zu halten: Scientology hatte über Jahre hinweg einen regelrechten Krieg gegen die Steuerbehörde geführt. Es wurden Initiativen gegründet, um angebliche Korruptionsfälle in der Steuerbehörde aufzudecken. Auf Mitarbeiter wurden Privatdektive angesetzt. Die gesamte Steuerbehörde wurde mit hunderten Klagen eingedeckt. Dann gab es ein direktes Gespräch zwischen dem Leiter der Steuerbehörde und David Miscavige von Scientology in dessen Folge eine geheime Vereinbarung entstand, welche Scientology von der Steuer befreite, wenn die Klagen und Angriffe gegen die Steuerbehörde aufhören. Der Verfassungsschutz von Nordrhein-Westfalen hat diese Vorgänge in einer Broschüre ausführlich dargestellt.

Podiumsdiskussion

Die anschließende offene Podiumsdiskussion, an der auch der Verfasser dieser Zeilen beteiligt war, wurde von Stefanie Gargosch vom ZDF moderiert. Dabei konnte man erleben, warum Scientology dieses Insistieren auf dem Religionscharakter außer der Steuerersparnis so wichtig ist. Es ist nämlich ein hervorragendes Ablenkungsmanöver. Ministerpräsident a.D. Beckstein hatte in seinen Ausführungen eine Reihe konkreter Punkte benannt, weshalb Scientology nach Einschätzung der Bayrischen Behörden eine Gefahr für die Demokratie darstellt. Sabine Weber von Scientology aus Berlin bemühte sich mehrfach, eine Gegenstellungnahme abzugeben – allerdings nicht, um in irgendeinerweise konkret auf die Vorwürfe einzugehen, sondern lediglich, um die angebliche Diskriminierung der Scientology-Religion zu beklagen und darauf zu verweisen, wo und von welchen Gerichten Scientology als Religion anerkannt sei. Damit ist man dann plötzlich bei einem ganz anderen Thema. Dann geht es nicht mehr um überzogene Preise für psychologische Kurse, dann wird nicht mehr von der Ausbeutung der Mitarbeiter, von den überzogenen Erwartungen an einen Clear gesprochen, nicht der Umgang mit Kritikern von Scientology thematisiert. Dann rätselt man friedlich über eine angemessene Religionsdefinition und sinniert über die Grenzen der Religionsfreiheit.

Keine religiöse Konkurrenz

Um es ganz deutlich zu sagen: In Deutschland besteht Religionsfreiheit. Auch für Scientologen, Ufologen, Verschwörungstheoretiker etc. Wir sind ein freies Land, wo freie Gedanken möglich sind. Das ist nicht das Problem. Die sogenannte „Scientology-Religion“ ist für die Kirchen auch keine religiöse Konkurrenz. Sie fordert keinen Kirchenaustritt, sie hat keine attraktiveren Gottesdienste – nein, die Herausforderungen liegen wirklich auf einem völlig anderen Gebiet. Das Problem bei Scientology ist im Bereich der Ethik angesiedelt. Die Herausforderung gilt für die Gesellschaft insgesamt, weil der Herrschaftsanspruch von Scientology totalitär ist und die Umdefinition der Werte für die Mitglieder die ethischen Maßstäbe verschiebt. Darum darf man sich nicht von dem Scheingefecht um den angeblichen Religionscharakter von Scientology ablenken lassen.

Dr. Harald Lamprecht

ist Beauftragter für Weltanschauungs- und Sektenfragen der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens und Geschäftsführer des Evangelischen Bundes Sachsen.

Artikel-URL: https://www.confessio.de/index.php/artikel/239

Dieser Beitrag ist erschienen in Confessio 6/2009 ab Seite 14